Wie der Flamingo zu meinem Freund wurde
Fast hätte mich meine Bastelphobie davon abgehalten, die Art Night zu besuchen. Doch schliesslich habe ich einen Abend lang mit anderen Kunst-Neulingen Flamingos gemalt – und damit meine Mutter glücklich gemacht.
«Dein Erlebnis. Dein Kunstwerk.» lautet der Slogan der Art Night. Ursprünglich stammt die Veranstaltungsreihe aus Deutschland. Dieses Jahr soll die Art Night in 50 Städten weltweit stattfinden – unter anderem auch in Zürich. Für die Organisation in der Schweiz sind die Geschwister Mario und Saskia Iten verantwortlich.
Gemalt wird ziemlich alles - von bunten Tieren über verstorbene Prominente bis hin zu Blumenmädchen.
Das Prinzip der Art Night ist weltweit das gleiche: In lokalen Bars und Restaurants finden rund zweistündige Kunstworkshops statt. Diese werden von einer Künstlerin oder einem Künstler durchgeführt und richten sich auch an Anfänger. Gemalt wird ziemlich alles – von bunten Tieren über verstorbene Prominente bis hin zu Blumenmädchen. Online entscheidet man sich für ein Sujet und meldet sich für den Kurs an.
Meine Wahl fiel auf den «Flamingo». Der neben dem Anmeldeformular abgebildete Vogel sah mit seinem kecken Blumenschmuck und den gekonnten Farbverläufen ziemlich anspruchsvoll aus. Ob ich einen so perfekten Poster-Bird hinkriegen würde? Mit Schrecken dachte ich an meine bisherigen Do-It-yourself-Traumata – missratende Fensterbilder im Chindsgi, zu flache Schalen im Töpferunterricht und Currys, die optisch eher an Erbrochenes erinnern.
Ob ich einen so perfekten Poster-Bird hinkriegen würde?
Heute ist es so weit: Ich gehe zum Pic-Chic, einem Streetfood-Lokal in der Nähe der Bahnhofstrasse. Heute wird es zu einem Atelier. Die Basler Künstlerin und Kursleiterin Stephanie Künzli hat Leinwände, Farben und Pinsel bereitgestellt. Auch Schürzen liegen auf den Bänken. Um das Getränk kümmert sich jeder selbst.
Als die weiteren Teilnehmerinnen und ein Teilnehmer da sind, stellt Stephanie sich und die Art Night vor. Dann geht es los. Als Erstes müssen wir mit Bleistift den Vogel auf der Leinwand skizzieren. Gar nicht so einfach. Stephanie geht um den Tisch und gibt Tipps: Auge höher, Schnabel dicker. Irgendwann passt es bei jedem einigermassen. Ich kämpfe gegen das erste Motivationstief.
An den Kunstunterricht in der Schule erinnert der Abend definitiv nicht. Auch weil die meisten Wein und Bier trinken.
Wir drücken Farben auf einen Papierteller und mischen sie. Stephanie erklärt uns, wie wir am besten mit dem Pinsel arbeiten: wenig Farbe, viel Wasser. Wir malen den Flamingo aus. Ich kriege etwas Hoffnung. Doch kein Flamingo-Fail?
Es folgen die Details. Wieder macht Stephanie vor. Klärt Fragen, gibt Tipps. Sie lässt uns jedoch künstlerische Freiheiten. An den Kunstunterricht in der Schule erinnert der Abend definitiv nicht. Auch weil die meisten Wein und Bier trinken.
Nach knapp eineinhalb Stunden lassen wir unsere Vögel kurz trocknen. Wir gucken die anderen Kunstwerke an, machen Smalltalk und füllen unsere Gläser nach. Danach geht es mit den Details weiter: Der Kopfschmuck wird gemalt und kleine Patzer ausgebessert. Mich packt der Ehrgeiz. Doch Stephanie erinnert uns, dass die zwei Stunden bald vorbei sind. Ich male also die Blumen fertig und signiere das Bild.
Ich fotografiere mein Werk und schicke das Foto meiner Mutter. Sie findet den Flamingo «Jöö».
Zum Abschluss gibt es noch ein Gruppenfoto von uns und unseren Bildern. Jeder Flamingo sieht anders aus – und keiner wie die Vorlage: Es sind nicht mal alle pink geworden. Entspannt gehe ich nach Hause. Ich fotografiere mein Werk und schicke das Foto meiner Mutter. Sie findet den Flamingo «Jöö». Auch meine Kollegen wollen mit ihm das Büro schmücken. Vermutlich muss ich mich bald wieder an eine Art Night anmelden. «Marylin with Gum» würde sich gut neben dem Drucker machen.