«Blue Note Records: Beyond the Notes»: bahnbrechend
Die Schweizer Dokumentarfilmerin Sophie Huber erzählt die Geschichte des legendären Jazz-Labels Blue Note mit neuen und alten Interviews, mit neuen und alten Bildern von Studiosessions und natürlich mit viel Musik.
Ich sag jetzt nicht, das Beste an dem Film über das bekannte Jazz-Label Blue Note sei die Musik. Ich finde nämlich, das Beste sind die Schwarzweissfotos, die Francis Wolff während der Aufnahmesessions gemacht hat. Der karge Kontrast zwischen Licht und Schatten, die in ihr Spiel vertieften Musiker – das wirkt geradezu ikonisch. Dies natürlich auch deshalb, weil viele dieser Fotos für Plattencovers verwendet wurden. Die Schweizer Regisseurin Sophie Huber zeigt das in rhythmischen, auf die Musik zugeschnittenen Vorher-nachher-Sequenzen.
Vielleicht ist es etwas ungerecht der Filmemacherin gegenüber, diese Fotos so herauszustreichen. Aber sie wirken nun mal wie das Herz des Films. Und sie bringen Vergangenheit und Gegenwart zusammen. «Ich wollte den Film aus der Gegenwart heraus erzählen», meint Sophie Huber, die zuvor den wunderschönen Dokumentarfilm «Harry Dean Stanton: Partly Fiction» (2012) gedreht hat. «Nichts zeigt den nachhaltigen Einfluss so klar wie die heutigen Musiker, die auf diesem Erbe aufbauen, ihre eigene Stimme und Zeit mit einbringen und die Musik weiterentwickeln.»
Das Verankern in der Gegenwart gelingt dem Film gut. Er macht bewusst, dass die Blue-Note-Aufnahmen von Musikern wie Herbie Hancock, Miles Davis oder Wayne Shorter zu den im Hip-Hop meistgesampelten Platten gehören. «Blue Note steht für Gestern, Heute und Morgen», sagt der Musiker und Hip-Hop-Produzent Terrace Martin. «Es wird immer etwas anders gemacht und der nächsten Generation etwas gezeigt, das ihr Leben verändern kann.»
«Blue Note steht für Gestern, Heute und Morgen.»
Terrace Martin
Etwas vom Verblüffendsten, das der Film aufzeigt, ist die Tatsache, dass die deutsch-jüdischen Flüchtlinge Alfred Lion und Francis Wolff das Label 1939 nicht gründeten, um mit Platten Geld zu verdienen, sondern schlicht und einfach, weil sie Jazz liebten. Sie liessen den Musikern alle Freiheiten und ermöglichten gerade dadurch bahnbrechende Aufnahmen, die bis heute einflussreich bleiben. Unter anderem nahmen sie den Pianisten Thelonious Monk, der von allen anderen Labels abgelehnt wurde, unter Vertrag.
Was auch ins Auge sticht, sind diese zwei weissen Herren, die ständig mit schwarzen Musikern im Studio sind. Rassismus war ganz offensichtlich kein Thema, weder in die eine noch in die andere Richtung. «Alfred Lion und Francis Wolff entwickelten im Laufe der Jahre viele sehr starke Freundschaften unter den Musikern», erklärt der Produzent und Historiker Michael Cuscuna im Film. «Ich erinnere mich, dass der Vibraphonist Bobby Hutcherson sagte, dass sie nie wie Aussenseiter wirkten, sie spielten kein Instrument und hatten einen starken deutschen Akzent, aber sie gehörten zu uns. Sie gingen aus, um Musik zu hören, assen mit den Jungs und hingen mit ihnen ab. Die Musiker akzeptierten sie.»
Rassismus war ganz offensichtlich kein Thema, weder in die eine noch in die andere Richtung.
Diese Offenheit zieht sich bis heute durch. Heute ist der weisse Produzent Don Was Präsident von Blue Note Records. Auch er arbeitet meistens mit schwarzen Musikern zusammen. Die Interviews mit ihnen verankern das Ganze ebenso im Heute wie die Filmaufnahmen einer groovenden Blue-Note-All-Star-Studiosession.
«Blue Note Records: Beyond the Notes» mag als Dokumentarfilm zwar nicht so bahnbrechend sein wie die Musik auf seiner Tonspur, aber er lässt die Freude der Label-Gründer am Jazz nachempfinden und wirkt wie ein Plädoyer für Toleranz und künstlerische Freiheit, ohne je den Zeigefinger zu erheben.
Reto Baers Bewertung
«Blue Note Records: Beyond the Notes» läuft ab dem 14. Juni in folgendem Zürcher Kino: