Kultur & Nachtleben

Garantiert keine Handyfotos

Text: Reto Baer

Wie sah Zürich vor 100 Jahren aus? Diese Frage beantwortet die Ausstellung «Zürich – Schwarz auf Weiss», die in der Photobastei vom 6. September bis 28. Oktober eine Zeitreise in die Vergangenheit der Limmatstadt ermöglicht.

Wer ist in der Stadt schon den Plakaten «Zürich – Schwarz auf Weiss» begegnet? An über 230 Standorten hängen historische Aufnahmen aus dem Baugeschichtlichen Archiv der Stadt Zürich und zeigen, wie der jeweilige Ort vor rund 100 Jahren ausgesehen hat. Somit kann man alle 22 Stadtquartiere nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich erwandern. Und man kann das Gestern mit dem Heute an Ort und Stelle vergleichen.

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Die Utobrücke, Enge und Wiedikon verbindend, mit Blick auf die Giesshübelstrasse 2 (Baugeschichtliches Archiv 1909); mit Google Street View anschauen

Dieser Vergleich ist in der Photobastei natürlich nicht möglich. Dafür kann man in der Ausstellung «Zürich – Schwarz auf Weiss» 140 Stadtansichten aus den Jahren 1890 bis 1920 garantiert trocken bestaunen. Und man muss zwischen zwei Bildern auch keinen Fussmarsch hinlegen. Zu entdecken gibt es dörfliche Szenen, Baustellen an der Sihl, eine Golfpartie im Dolder, Stadtzürcher Wohnzimmer, städtebauliche Grossprojekte wie die Quaianlagen und vieles mehr. Manche Aufnahme lässt sich noch heute verorten, andere sind Geschichte und somit Zeugnis der Veränderungen, die Zürich in den letzten 100 Jahren erfahren hat.

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Ruderclubhäuser des Centralverbands nautischer Clubs am Mythenquai 75 (Baugeschichtliches Archiv, um 1902); mit Google Street View anschauen

Die Ausstellung lässt die Vielfalt der Sammlung im Baugeschichtlichen Archiv erahnen: Architekturaufnahmen, Postkartenansichten, Bilder von Interieurs, Wohn- und Arbeitssituationen sowie Porträts. «Jede dieser Fotografien ist interessant», meint Romano Zerbini, Gründer und Direktor der Photobastei. «Ob sich nun 200 Männer des Ruderclubs inszenieren (Frauen waren noch nicht zugelassen) oder ob eine Strasse gebaut wird, wo weit und breit noch keine Häuser stehen. Weit oben steht ein einzelnes Haus. Heute ist das die Rigistrasse (siehe Titelbild, Google Sreet View). Wenn du vor dieser Aufnahme stehst, überlegst du unweigerlich, wie die Stelle heute aussieht.»

Die riesigen, mit Glasplatten bestückten Fachkameras und deren lange Belichtungszeiten machten das Fotografieren zu einem Spektakel, das Zuschauer anlockte.

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Romano Zerbini ist Gründer und Direktor der Photobastei.

Auf vielen Bildern präsentieren sich neugierige Leute vor einem Haus oder in Fenstern. Denn ein Fotograf, der Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts unterwegs war, erregte Aufmerksamkeit. Die riesigen, mit Glasplatten bestückten Fachkameras auf Stativen und deren lange Belichtungszeiten machten das Fotografieren zu einem Spektakel, das Zuschauer anlockte. Das kann man sich heute, wo jeder mit seinem Handy Fotos schiesst, kaum mehr vorstellen. Tatsächlich werden heute täglich zwei Milliarden Fotos online gestellt. Wo steht in dieser Bilderflut ein Ausstellungsort wie die Photobastei?

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Blick auf das Utoquai, den Bellevueplatz und die Quaibrücke (Fotografie Baugeschichtliches Archiv 1896); mit Google Street View anschauen

«Die Photobastei hat drei Teile», erklärt Zerbini. «Einen grossen Museumsteil, in dem analoge Fotografie gezeigt wird, einen Mietteil, der allen offensteht, und es gibt das Kabinett, das wir entweder an grössere Institutionen vermieten oder Berufsfotografen überlassen. Mir liegen zum Beispiel Reportagen am Herzen, die in der heutigen Bilderflut etwas zu kurz kommen.»

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Geschäftshaus an der Bahnhofstrasse 70, links die Grossbaustelle für die Amtshäuser an der Uraniastrasse, die das Kloster Oetenbach ersetzen (Baugeschichtliches Archiv 1904); mit Google Street View anschauen

Die Photobastei wurde 2014 gegründet und zeigte als Zwischennutzungsprojekt im Hochhaus zur Bastei beim Paradeplatz in acht Monaten 460 Ausstellungen. Ein Jahr später wurde die Photobastei am Sihlquai unweit des Museums für Gestaltung neu eröffnet. Auch diese Nutzung ist bis Ende 2020 oder 2021 befristet. Romano Zerbini arbeitete nach seinem Germanistikstudium als Kultur-Promoter. Über die Betreuung des Schweizer Fotopreises fand die Fotografie, die zuvor «nur» eine private Leidenschaft war, den Weg in sein Leben.

«Ich merkte, dass Berufsfotografen einen Raum brauchen, wo sie ihre Langzeitprojekte und ihre künstlerische Seite zeigen können.»

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«Viele Fotografen wurden meine Freunde», erzählt der 55-Jährige. «So merkte ich, dass die Berufsfotografen einen Raum brauchen, wo sie ihre Langzeitprojekte und ihre künstlerische Seite zeigen können. Also gründete ich 2010 die Photogarage in einer alten Busgarage an der Werdstrasse.» Als das Ganze 2014 überbaut werden sollte, wechselte Zerbini den Ort und fuhr unter dem neuen Namen Photobastei fort. Diese ist bis heute ein Freiraum rund um Fotografie, der im Kulturleben Zürichs nicht nur eine feste Grösse, sondern mit seiner Kombination aus Museum, experimentellem Raum für Profis und mietbarem Raum für Amateure einmalig ist.

Adresse

Photobastei
Sihlquai 125
8005 Zürich

Infos

Vernissage: 6. September ab 18 Uhr
Ausstellung: 7. September bis 28. Oktober

Öffnungszeiten
Mittwoch bis Samstag, 12 bis 21 Uhr
Sonntag, 12 bis 18 Uhr

Eintritt Fr. 12.–/8.–

Die Infos zur Ausstellung findest du hier.