Kultur & Nachtleben | LGBT-Kolumne
Unwetter statt Regenbogen
Einmal im Monat schreibt Anna Rosenwasser, wie sie in Zürich lebt und liebt. Im Juni erzählt die Geschäftsführerin der Lesbenorganisation vom Sturm während des Pride Festivals.
Die Pride Zürich ist mittlerweile so gross, dass sie umziehen musste. Also, einen Umzug hatte sie ja schon, höhö. Aber das Festival, also der zweitägige Anlass rund um den Demo-Umzug, bezog einen grösseren Ort: den Sechseläutenplatz und den Bürkliplatz. Mitten in der Innenstadt: Trans-Flaggen auf Strassenschildern! Die Quaibrücke hiess Gaybrücke! Und die Zebrastreifen am Bellevue wurden regenbogenfarben! (Was einige Menschen dazu motivierte, zu behaupten, das gefährde die Verkehrssicherheit. Honey, wenn dich Regenbogen so durcheinanderbringen, dass du ein schlechterer Verkehrsteilnehmer wirst … dann gehörst du vielleicht auch an die Pride.)
Mitten in der Innenstadt: Trans-Flaggen auf Strassenschildern!
Übrigens: Der Bürkliplatz heisst eigentlich gar nicht Bürkliplatz. Der kurze Streifen vorne am See heisst Bürkliplatz. Aber der grosse Platz, wo diverse Anlässe und eben auch ein Teil des Pride Festivals stattfanden, heisst … Stadthausanlage. Was für ein lahmer Name. Kein Wunder, sagen wir alle einfach Bürkliplatz. Was ist eigentlich ein Bürkli? Die Verniedlichung von Burk? Und was ist ein Burk?
Item. Auf dem Bürkliplatz moderierte ich an der Pride eine Bühne. Alles klappte, alle waren gay as in happy, es traten Frauenstreik-Aktivistinnen, HIV-Aufklärer, Poetry Slammerinnen und Drag Queens auf. Manchmal interviewte ich sie: Ist «Inter» nicht dieser Fussballverein? Gibt es bisexuelle Männer? Wenn ich jetzt AIDS kriege, wie viele Tage bleiben mir noch? (Die Antworten gibt’s am Ende dieses Texts.)
Dann evakuierte ich den Bürkliplatz.
Oft aber überliess ich den Queers einfach die Bühne. Bis zum frühen Samstagabend: Ein Sicherheitsmann empfing mich ernsten Blickes in meiner dreiminütigen Pause und erklärte, dass für Zürich ein Unwetter vorausgesagt sei. Stufe Violett. Meine Aufgabe als Moderatorin sei es, das Publikum zu informieren: Bitte verlasst den Platz. «Moment», sagte ich zum Sicherheitsmann, während vor meinem inneren Auge bereits der Himmel violett wurde, «und wann mach ich diese Durchsage?» – «Jetzt.» Ich deutete auf den Redner, der auf der Bühne stand. «Jetzt?» – «Jetzt. Du musst ihn unterbrechen.»
Dann evakuierte ich den Bürkliplatz. Ich unterbrach tatsächlich den Klimaaktivisten – wie passend: wegen extremer Wetterbedingungen! – und erklärte dem Publikum, dass es gehen müsste. Auf Hochdeutsch, auf Englisch, dann wieder auf Schweizerdeutsch, und die Leute erhoben sich langsam. Erstaunlich langsam.
Als ich von der Bühne trat und der Regen zu strömen begann, gab mir der Sicherheitsmann einen kollegialen Fistbump zum Abschied. In der Stadt wäre der Ausgang in dieser Nacht so queer wie nie gewesen. Aber meine Laune war mehr im After als in der Afterparty.
Und wen die Antworten auf die Interviewfragen interessieren: «Inter» ist nicht nur ein Fussball-Verein, sondern auch die Bezeichnung für Körper, die nicht eindeutig einem Geschlecht zugewiesen werden können. Bisexuelle Männer gibt es viele, aber die Welt hält sie einfach für schwul. Und wer heutzutage HIV-positiv ist und regelmässig die richtigen Medikamente nimmt, hat die gleiche Lebenserwartung wie HIV-negative Menschen.
Wir haben also viele Gründe, zu feiern. Nächstes Jahr dann wieder. Hoffentlich mit Regenbogen statt Stufe Violett.