Menschen & Leben

«Dank Jay-Z haben wir ein Sprudelbad»

Interview: Adrian Schräder Fotos: Jasmin Frei

Wir holen Zürcher Promis ab und begleiten sie irgendwohin. Zum nächsten Termin, zum Auftritt, zum Coiffeur, zur Studio Session. Auf dem Weg bieten wir ihnen ein Bier an und quatschen. Den Anfang macht der Musiker Bruno Spoerri.

Es ist nicht ganz einfach, Bruno Spoerris Wirken in ein paar Sätzen zusammenzufassen – der Mann ist einfach zu produktiv. Aber versuchen wir’s: Ursprünglich ist er Psychologe und wirkte als Berufsberater, aber was ihn wirklich umtrieb, war die Musik. Neben dem Jazz entwickelte der Saxophonist in den 60ern ein Interesse für elektronische Klangerzeugung. Eine Zeit lang war er vor allem in der Werbung tätig: «Ich habe alles gemacht, was mit Ton zu tun hatte. Heute nennt man das Sound Designer.» Und als er entdeckte, dass es schlauer ist, sich in Tantiemen statt Lohn bezahlen zu lassen, konnte er sich auch plötzlich seinen lang gehegten Traum verwirklichen und einen Vorläufer des Synthesizers kaufen. «Man muss sich das vorstellen: Die Leute, die elektronische Musik gemacht haben, kannten sich eigentlich alle. Das waren vielleicht 40 auf der ganzen Welt», erzählt der 89-Jährige. Kurz: Bruno Spoerri ist ein Pionier und in gewissen Kreisen auf der ganzen Welt eine absolute Legende. Ich hole ihn in seiner Wohnung an der Freiestrasse ab und wir spazieren in sein Studio an der Neptunstrasse.

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«Lustig! Ich habe auch nichts dagegen, wenn man meine Musik verwendet und daraus etwas Neues macht.»

Bruno, wie wär’s mit einem kühlen Bier?

Nein, danke.

Du trinkst keinen Alkohol?

Doch, hin und wieder ein Glas Wein. Aber mit Bier habe ich abgeschlossen. Das schmeckt mir irgendwie nicht mehr. Wahrscheinlich weil wir in den Fünfzigern einfach zu viel davon getrunken haben.

Du hast immer schon gern zitiert in deiner Musik. Jetzt wirst du selbst zitiert: Deine Platten werden neu aufgelegt, Hip-Hop- und Elektronik-Produzenten sampeln deine Stücke.

Ja, das ist sehr lustig.

Lustig oder ärgerlich?

Lustig! Ich habe auch nichts dagegen, wenn man meine Musik verwendet und daraus etwas Neues macht. Nur wenn man damit Geld verdient, dann sollte man mich fragen und das Ganze bei der Suisa anmelden. Und erst recht, wenn man damit einen Grammy gewinnt.

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So geschehen bei Jay-Z und dem Album «Magnum Charta Holy Grail». Das Stück «Versus» besteht praktisch nur aus einem Sample deines Stücks «On The Way».

Ja. Aber ich habe das selbst gar nicht gemerkt. Ein befreundeter DJ schrieb mir, dass ein bekannter Rapper mein Stück verwende. Dann ist lange gar nichts passiert. Erst als eine Schweizer Urheberrechtsanwältin sich für mich einsetzte, kam Bewegung in die Sache.

Und heute verdienst du mit.

Ja, aber die Tantiemen belaufen sich auf ein paar Fränkli pro Jahr. Viel wichtiger war: Ich wurde entschädigt. Dank Jay-Z haben wir jetzt eine neue Dusche und ein Sprudelbad zu Hause.

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Gefällt dir das Stück eigentlich?

Nein. Ich finde es wenig originell. Der Produzent hat ja einfach ein paar Sekunden aus dem Intro des Stücks genommen und sie etwas schneller gemacht – mehr nicht.

Und der Rap?

Der ist okay. Aber für mich als Musiker ist Rap nicht wirklich spannend. Es ist halt rhythmisches Sprechen – und als Sprechkunst manchmal auch grossartig. Aber eigentlich hat das der Kabarettist César Keiser schon in den Sechzigern gemacht.

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«Ich war bei der Geburt des Werbefernsehens und bei jener der Computermusik dabei.»

In den Sechzigern?

Sehr früh. Wann, weiss ich gar nicht mehr genau. Aber jedenfalls so früh, dass ich einen Lachkrampf bekommen habe, als mich in den Achtzigern ein Werbeleiter anrief und meinte, er habe eine gute Idee: Man könnte ja rappen in einem Werbespot. Ich glaube, das war der Anfang vom Ende meiner Werbemusik-Karriere.

Aber du warst damals dann schon weiter und hast Film um Film vertont. Woher hast du eigentlich dieses Pioniergen?

Keine Ahnung. Ich war einfach immer vielseitig interessiert. Dadurch bin ich da immer irgendwie reingeraten. Ich bin in den Jazz geraten, als er in der Schweiz Fuss gefasst hat. Ich war bei der Geburt des Werbefernsehens und bei jener der Computermusik dabei. Und beim Aufkommen der Schweizer Popmusik.

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Das klingt alles nach einem absolut geradlinigen Weg zum Erfolg.

Jesses, nein. Ich bin mehrmals pleite gegangen. Ich habe mich in den Siebzigern mit Schweizer Musik ruiniert. Wir haben immer wieder für 50’000 Franken und mehr Alben produziert, die dann niemand kaufen wollte. Damals habe ich mir geschworen: Ich produziere nie mehr Schweizer Musiker auf meine Kosten.

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«Alle, die damals irgendwas mit elektronischer Musik zu tun hatten, waren vernetzt. Das waren auch nur ein paar Dutzend Leute auf der ganzen Welt.»

Und dann haben irgendwann Yello bei dir geklingelt.

Ja, allerdings bevor sie berühmt wurden.

Erzähl!

Es war 1980. Wir waren gerade frisch in ein Bauernhaus in Oetwil am See gezogen und ich hatte mir mein Studio provisorisch im alten Weinkeller eingerichtet. Ganz feucht und nicht unbedingt ideal für die Geräte – darunter der erste Drum-Computer, den es gab: der Linn LM-1. Das war ein tolles Ding, den hat Prince dann ja auch sehr oft eingesetzt. Irgendwie sprach sich das herum, dass ich den zu Hause hatte. Ich erhielt einen Anruf von drei jungen Typen, die meinten, sie wollten ihn sich anschauen. Sie standen dann bei mir im Weinkeller und rümpften die Nasen. Und der Linn hat sie gar nicht interessiert. Sie meinten dann, sie hätten eine Million Franken zu Verfügung, um ein Tonstudio einzurichten. Ob ich schon mal etwas von einem Musikcomputer aus Australien, dem Fairlight, gehört hätte. Hatte ich: Alle, die damals irgendwas mit elektronischer Musik zu tun hatten, waren vernetzt. Das waren auch nur ein paar Dutzend Leute auf der ganzen Welt. Also habe ich ihnen den Kontakt gegeben. Und sie haben sich den Fairlight gekauft.

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Was hat der gekostet?

Rund 60’000 Franken damals.

Wie ging es weiter mit Spoerri und Yello?

Gar nicht. Ich habe nie mehr etwas von ihnen gehört. Aber sie haben sich dann ein tolles Studio eingerichtet in der Roten Fabrik. Und Boris Blank machte dann schon tolle Dinge.

Yello sind fast jeder und jedem ein Begriff – aber in Musikerkreisen ist der Name Spoerri mindestens so wohlklingend. Du hast an anderer Stelle allerdings gesagt, du seist dir sicher, dass du nach deinem Tod schnell vergessen seist – wieso das?

Ja, da bin ich mir sicher. Einfach weil ich viel fantastische Musiker:innen gekannt habe, die heute niemand mehr kennt. Wer würdigt heute etwa noch das Werk von George Gruntz?

Das stimmt – allerdings wird deine Musik seit ein paar Jahren von Connaisseur-Labels wie WRWTFWW und Finders Keepers wiederaufgelegt.

Ja, das sind Wahnsinnige! Die finden immer wieder Aufnahmen von mir, die ich schon vergessen hatte. 2021 haben sie zum Beispiel meine allererste Filmmusik ausgegraben.

«Das waren alles Jazzer, die Unterhaltungsmusik gemacht haben. Deshalb nannten wir die LP «Musiques Légères».»

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Du meinst «Der Würger vom Tower»?

Ja, genau. Ein schrecklicher Film. Vielleicht der schlimmste Film, den es je gegeben hat. Ich glaube, ich habe den Auftrag nur bekommen, weil die richtigen Komponisten alle abgesagt haben.

Die Filmmusik sprüht vor Ideen und Groove – genau wie «Musiques Légères», eine Sammlung deiner Stücke, die das Genfer Label WRWTFWW – kurz für We Release Whatever The Fuck We Want – vor ein paar Monaten herausgegeben hat. Was ist damit gemeint?

Den Titel hat der Labelbetreiber Olivier Ducret erfunden. Er hat mir vor Jahren mal gesagt, er wolle eine Platte mit Stücken von mir herausgeben, die in Genf entstanden sind. Dort gab es ein Radioorchester, mit dem ich Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger immer wieder mal zusammengearbeitet habe. Das waren alles Jazzer, die Unterhaltungsmusik gemacht haben. Deshalb nannten wir die LP «Musiques Légères».

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Ein schöner Titel!

Finde ich auch. Er fasst wohlklingend zusammen, was ich immer schwerpunktmässig gemacht habe: Unterhaltungsmusik.

Was machst du heute?

Nur noch, worauf ich Lust habe. Ich trete hie und da auf und sortiere mein Archiv, aber für das Komponieren auf Auftrag hat mich der Mut verlassen. Das mit dem Termindruck tue ich mir nicht mehr an.

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