Menschen & Leben | Stylische Zürcher:innen
«Ich bleibe ein Aussenseiter»
Gerold Brenner trägt gerne Röcke. Damit fällt der Modedesigner nicht nur in Zürich auf. Mit uns hat der gebürtige Deutsche über Freiheit, Mut und Nachhaltigkeit gesprochen.
Gerold, du warst einige Jahre Chefdesigner bei Manor. Wieso hast du diesen Posten aufgegeben?
Ich habe immer mehr realisiert, dass Nachhaltigkeit nicht wirklich umgesetzt wurde und mein Beruf überhaupt nicht mehr meiner Kreativität entsprach. Die Kollektionen im Kommerzbereich sehen jedes Jahr gleich aus und haben nichts mit dem Zeitgeist zu tun. Die wirtschaftlich Verantwortlichen verstehen die Trends von morgen oft nicht. Sie haben Angst, dass sich neue Kreationen nicht gut verkaufen lassen. Ich musste mich als Designer immer stärker verbiegen.
Wie meinst du das genau?
Ich konnte meinen individuellen Stil in dieser Zeit nicht ausleben. Ich habe mich eigentlich meine ganze Karriere lang optisch und kreativ anpassen müssen – bereits in meiner Lehrzeit als Schneider! Sonst wurde ich als kreativer Spinner abgetan und nicht ernst genommen. Seit meinem Ausstieg nehme ich mir die Freiheit, mich genau so zu kleiden, wie ich es möchte. Mein Stil ist inzwischen ein Mix aus verschiedenen kulturellen, historischen und genderneutralen Elementen. Ich bezeichne ihn als Fushion Style.
«Ich möchte Menschen aus den gesellschaftlichen Zwängen befreien.»
Der Männerrock ist heute dein Markenzeichen.
Ich habe schon als Kind nicht begriffen, weshalb Mädchen Hosen tragen dürfen, aber Jungs keine Röcke. In Asien oder Afrika tragen Männer oft rockähnliche Kleidungsstücke. In der westlichen Welt ist das dagegen ein völliges Tabu, das ich brechen will.
Und klappt es?
Ich halte immer wieder auch Vorträge zu diesem Thema. So konnte ich vor zwei Jahren an der Modemesse in Amsterdam meine Kollektion zum Thema «Dress like a man – wear a skirt» zeigen. Auf der Strasse und auf Medien wie Instagram erhalte ich neben positivem Zuspruch aber auch immer wieder negatives Feedback. Ich stelle jedoch fest, dass sich in den letzten Jahren vieles verändert hat. Ich leiste meinen Beitrag dazu.
Wie reagierst du auf Hassnachrichten?
Meistens schreiben mir Menschen, die in religiösen und patriarchalen Strukturen verhaftet sind, solche Nachrichten. Diese kann ich mit meinen Argumenten oft nicht erreichen. C’est la vie!
Wie trägst du den Männerrock am liebsten?
Ich kombiniere die Röcke meist mit traditionell-maskulinen Kleidungsstücken wie beispielsweise Vestons. Durch meinen Bart ist auch ganz klar ein Männerbild transportiert. Das sorgt für Irritation. Aber ich finde es auch toll, wenn Männer mit anderen weiblichen Elementen wie transparenten Stoffen oder Spitze spielen. Wieso soll vieles nur Frauen vorbehalten sein?
Wo kann man denn Männerröcke kaufen?
In Zürich nirgends. Selbst in Metropolen wie London oder Paris ist es schwierig. Die Einkäufer*innen haben zu grosse Angst, dass sie die Röcke nicht loswerden. Man muss deshalb zum Schneider gehen oder leider online bestellen. Auch ich mache immer wieder Röcke für Kunden.
«Ich kombiniere die Röcke meist mit traditionell-maskulinen Kleidungsstücken.»
Du betreibst den Schaufensterklub mit und verkaufst deine eigene Mode. Was zeichnet diese aus?
Eigentlich ist es ganz einfach: Es muss mir gefallen. Nachhaltigkeit ist mir das Allerwichtigste: Woher kommen die Stoffe? Wie wurden sie gefärbt? Wer hat sie wie gefertigt? Ich produziere eigentlich alles selbst, manchmal werde ich dabei von einem Freund unterstützt.
Wer zählt zu deinen Kund*innen?
Das ist ganz unterschiedlich, ich mache viele Unisex-Sachen. Grundsätzlich sind es eher Kund*innen über 40 Jahre alt. Handgemachtes ist nicht gerade billig und ein Kauf ist eine langfristige Investition. Keine Klamotten für ex und hopp! Aber der Altersdurchschnitt verändert sich gerade. Ich habe auch immer wieder Aufträge aus Japan. Dort wird Handwerk noch viel mehr geschätzt als hier. In der Schweiz können viele nicht verstehen, weshalb eine Handtasche oder ein Kleidungsstück aus Upcycling-Materialien 800 Franken kostet. Dabei nähe ich an solchen Teilen 40 Stunden und mehr – und bei einem bekannten Luxuslabel ist man bereit, das Vielfache dafür zu bezahlen.
«Wie viele meiner Kolleg*innen kann ich nicht vom Kleidermachen leben.»
Was bedeutet das für dich?
Wie viele meiner Kolleg*innen kann ich nicht vom Kleidermachen leben. Auch weil ich nicht mehr bereit bin, kommerzielle Zugeständnisse zu machen. Ich halte deshalb auch immer wieder Vorträge, häufig über Nachhaltigkeit in der Mode, und mache Beratungen. Ich biete im Laden auch Upcycling an. Gern würde ich dazu Kurse halten, doch leider fehlt der Platz.
Gehen Nachhaltigkeit und Mode überhaupt zusammen?
Vielen Leuten ist es selbst heute noch komplett egal, ob ihre Kleidung nachhaltig ist oder nicht. Und in den letzten Jahren hat sich diese «Pseudo-Nachhaltigkeit» etabliert – die Baumwolle ist vielleicht noch Bio, die Arbeitsbedingungen sind aber weiterhin prekär. Aber so oder so: 100 Prozent nachhaltig geht gar nicht. Es gibt immer einen Haken. Deshalb müssen wir alle unseren Konsum minimieren. Ich kaufe kaum Neues, auch weil mich vieles langweilt.
Letztes Jahr wurdest du in Düsseldorf zum «Mode Mut Mann» ausgezeichnet. Eine grosse Ehre?
Es hat mich natürlich sehr gefreut. Und es bestärkt mich, weiter meinen Weg zu gehen. Doch letztlich werde ich immer ein Aussenseiter bleiben.
Auch in einer Stadt wie Zürich?
Zürich meint, wie viel andere Städte, offen zu sein. Es lässt sich hier ungestört leben, wenn man den anderen nicht in seiner Freiheit stört. Ich erhalte auch immer wieder mal ein schönes Kompliment. Leider regiert hier wie an vielen Orten heutzutage das Geld. Viele wollen einfach dazugehören und mit Labels das Prestige untermauern.
«Ich erhalte auch immer wieder mal ein schönes Kompliment.»
So schlimm?
Natürlich gibt es auch kreative und interessante Leute hier. Es ist mir wichtig zu zeigen, dass man nicht angepasst sein muss. Ich bekomme immer wieder Feedback von den verschiedensten Menschen, dass ich sie ermutige, sich selbst zu sein. Ich möchte Menschen aus den gesellschaftlichen Zwängen befreien. Ich engagiere mich deshalb mittlerweile auch für die LGBTQI+ Community. Konventionen und Stereotypen müssen überall überwunden werden. Lust soll gelebt werden können!