Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne
Ohne Frauen läuft in der Techno-Stadt nichts
Unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli hat es satt, dass vor allem Männer im Scheinwerferlicht stehen – und zeigt, welche Frauen die Zürcher Partyszene in den letzten Jahrzehnten geprägt haben.
Der Aufschrei war gross, als Konstantin vom Giegling vor zwei Jahren in einem Interview meinte, weibliche DJs hätten es leichter, an Bookings zu kommen. Auch wenn Konstantin seine Äusserung später zu relativieren versuchte, zeigte der Vorfall: Im Nachtleben stehen meist Männer im Scheinwerferlicht. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild der Realität. Denn hinter den Kulissen sind die Frauen stark präsent. Sie kümmern sich nicht nur an der Garderobe oder an der Bar um das Wohl der Gäste. Sie spielen auch eine wichtige Rolle, wenn es um die Entwicklung der Zürcher Technokultur und deren Aufnahme in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes geht. Auf dieser Liste finden sich lebendige kulturelle Ausdrucksformen, die Identitäten prägen und den Zusammenhalt von Gruppen und Gemeinschaften stärken.
Doch nicht nur hinter dem DJ-Pult, sondern auch hinter den Kulissen haben Frauen wichtige Rollen eingenommen.
Los ging es in den frühen 90er-Jahren. Damals schwappte die Technowelle auf Zürich über. Besonders aktiv war das Kisag-Kollektiv, zu dessen Gründungsmitgliedern auch Viola Zimmermann zählt. Sie war nicht nur als DJ Viola aktiv, sondern organisierte auch Raves. Damals existierten erst wenige Clubs, es war also schwierig, geeignete Locations zu finden. Violas Spürsinn und Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, dass an legendären Orten wie beim Gaswerk in Schlieren gefeiert werden konnte. An der ersten Street Parade 1992 organisierte Viola auch das Brothas & Sistas Lovemobil.
Zu den Pionierinnen kann auch Manuela Ardayfio gezählt werden, die seit 1996 als DJ Ajele auflegt und auch Teil des Zürcher Elektro-Musik-Netzwerks «Chicks behind the desk» war. Schnell erlangte Ajele internationale Beachtung, 2007 war sie gar Resident des legendären Pacha-Clubs auf Ibiza. Einer etwas härteren Gangart der elektronischen Musik – dem puren Techno – hat sich zur selben Zeit Mikky B gewidmet. Mikky B war nicht nur Resident im Rohstofflager und in der Spidergalaxy. Sie spielte auch an der Energy Party im Hallenstadion und am legendären Mayday in Dortmund. An der Energy schon fast zu Hause war Tatana, die zu den Weltstars im Bereich der Trance-Musik zählte. Ihr 2003 veröffentlichtes Album «Wildlife» schaffte es gar auf Platz 1 der Schweizer Hitparade. Alle drei Frauen sind weiterhin als DJs aktiv, doch ihre Auftritte sind rarer geworden. Wer schon einmal das Glück hatte, dabei zu sein, der kommt in den Genuss von Perlen aus ihrem beeindruckenden Platten-Fundus.
Doch nicht nur hinter dem DJ-Pult, sondern auch hinter den Kulissen haben Frauen wichtige Rollen eingenommen. Sei es Marion Meier, die für die Bookings des über die Landesgrenzen hinweg bekannten Rohstofflager zuständig war und heute das Programm des Zürich Openair ausrichtet. Oder Leila Benaissa von Dekadance und Kopf hinter dem Vision-Festival. Leila holte schon früh bekannte DJs wie Richie Hawtin, Carl Cox oder Sven Väth in die Schweiz. Ihre Partys waren wie ein Kokon, in dem sich das Publikum wohlfühlte und sich die DJs wie Schmetterlinge entfalteten. Die Vision wird übrigens dieses Jahr, gemeinsam mit neuen Partnern, wieder durchgeführt.
Seit Beginn der 90er ist auch Manon aktiv. Anfangs hauptsächlich als DJ, begann sie schnell damit, ihre eigenen Events zu organisieren. Heute ist Manon auch Teil des Hive – nicht nur als Resident, sondern auch als Organisatorin ihrer eigenen Veranstaltungsreihe.
Eli Verveines DJ-Karriere begann anfangs 2000er-Jahre in der Dachkantine. Heute zählt sie zu den Zürcher DJs mit den meisten Bookings im Ausland und tritt dabei auch für das Berliner Label Tardis auf. Internationales Flair brachte auch Nathalie Brunner, DJ Playlove, aus Wien nach Zürich. Doch nur DJ zu sein, war ihr schnell zu wenig, weshalb sie sich an den Aufbau eines Kultur-Netzwerks machte. Der 2013 gegründete Verein Les Belles de Nuit setzt sich dabei für die Förderung und Vernetzung von Frauen und anderen Minderheiten in der elektronischen Musik- und Kulturszene ein. Heute zählen über 100 Artists aus dem In- und Ausland zum weitherum anerkannten Netzwerk.
Die Nachtkultur hat mehr Weiblichkeit nötig.
Isabelle (Isi) von Walterskirchen sorgte immer wieder für Neuerungen in der Zürcher Partyszene – zum Beispiel als Teil der Deconstruction-Club-Events und des Rhyzom Festivals. Jetzt ist sie Party- und Club-Verantwortliche der Roten Fabrik. Ihr ist es zuzutrauen, die Location aus dem «Raveschlaf» zu wecken.
Zürich ist also gut aufgestellt, wenn es darum geht, die Erfolgsgeschichte der weiblichen Zürcher Technokultur weiterzuschreiben. Doch klar ist auch: Die Nachtkultur hat mehr Weiblichkeit nötig – Gender Equality ist noch lange nicht Realität. Dazu braucht es nicht nur eine grössere Bereitschaft der männlichen Exponenten, das Scheinwerferlicht zu teilen. Es braucht auch mehr Bookings von weiblichen DJs und den Willen, Frauen auch in Leitungspositionen einzubinden. Doch um Karrieren von Frauen in der Nacht zu fördern, braucht es auch eine Gesellschaft, die dafür bereit ist – und zum Beispiel Krippenplätze anbietet für Kinder, deren Eltern in der Nacht arbeiten.