Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Frühe Zürcher Partygänger und französische Truppen

Heute hat Zürich mit seinen rund 180 Bars und Clubs eines der grössten und relevantesten Nachtleben-Angebote Europas. Doch vor einigen Hundert Jahren wollte die Regierung den Ausgang gar verbieten, wie unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli weiss.

Heute ist Zürich eine «Little Big Party City» und zieht pro Wochenende rund 100’000 externe Nachtschwärmer an. Doch bereits im 16. und 17. Jahrhundert vergnügten sich die Leute nachts in der Stadt – auch wenn die Regierung puritanische Regeln aufgestellt hatte: Dazu gehörte zwischenzeitlich ein Tanzverbot, aber auch Glücksspiele und Saufgelage waren untersagt. Die Sperrstunde wurde auf 17 Uhr angesetzt, pendelte sich dann aber wieder um 21 Uhr ein. Schützenhilfe erhielten die Zürcher Nachtschwärmer von unerwarteter Seite – und zwar von den sonst unbeliebten französischen Truppen, die 1798 in Zürich lagerten. Da den Soldaten nach Wein gelüstete, öffnete in der Stadt eine Weinschenke nach der anderen.

Gastronomen, welche die Polizeistunde einhalten wollten, wurden von ihren Gästen bedroht.

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Auch wenn der Puritanismus immer unbedeutender wurde, spaltete das Nachtleben weiterhin die Gemüter. Regelmässig erhielt die Obrigkeit Lärmklagen. Sittenmandate regelten die nächtliche Ordnung, rund 20 Nachtwächter patrouillierten in Ergänzung zur Bürger- und Stadtwache durch die Nacht. Ihre erste Pflicht bestand darin, die Uhrzeit zu verkünden. Sie markierten mit ihren lautstarken Rufen in der Nacht auch obrigkeitliche Präsenz und vermittelten den Bewohnern der Stadt ein Gefühl von Sicherheit. Die Nachtwächter meldeten verdächtige Vorfälle, die sie auf ihren Rundgängen entlang, aber auch innerhalb der Stadtmauer entdeckten, unverzüglich dem zuständigen Wachtmeister. Die Nachtwächter konnten Ruhestörer gegebenenfalls selbst nach Hause weisen oder gar ins Rathaus führen. Doch die Nachtwächter erfüllten ihre Aufgaben nicht im gewünschten Mass. Sie schlenderten mit den Bürgerwächtern zusammen durch die Gassen und verursachten selbst nächtlichen Lärm. Verschiedenste Disziplinierungsversuche des Rates und Reformbemühungen blieben erfolglos.

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Insbesondere Jugendliche prägten bereits damals das Zürcher Nachtleben. Ihre nächtlichen Aktivitäten sorgten regelmässig für Klagen, besonders das «Gassenlaufen». Die jungen Burschen und zum Teil auch die Mädchen, die sich den Wirtshausbesuch nicht leisten konnten, zogen bis spät nachts durch die engen Gassen der Stadt und machten mit Schreien und Jauchzen auf sich aufmerksam. Sie betätigten auch die Hausglockenzüge, um sich bei der schlafenden Bevölkerung bemerkbar zu machen.

Nahezu ein Dauerärgernis war damals auch das «Übersitzen» der Polizeistunde, im Fachjargon «Überhöckle» genannt. Zwar verfügte die Obrigkeit die abendliche Schliessung der Gaststätten und Zunfthäuser schon um 20 oder 21 Uhr, doch durchsetzen liessen sich die Verbote nie. Die Bürgerwächter sahen keine Veranlassung, gegen das Übersitzen einzuschreiten, da sie ja ausserdienstlich selber gern ein Wirtshaus besuchten. Gastronomen, welche die obrigkeitliche Polizeistunde einhalten wollten, wurden von ihren Gästen bedroht. So herrschte trotzdem auch in der Nacht rege Betriebsamkeit.

1000

Wirtschaften existierten um 1900 in der Stadt Zürich.

Der Übergang vom illegalen zum legalen Nachtleben ist indes eine lange Geschichte. Eine wesentliche Voraussetzung war die Strassenbeleuchtung – von den ersten Öllampen Ende des 18. Jahrhunderts bis hin zur Gaslaterne und dem elektrischen Licht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Nacht verlor mehr und mehr ihre Bedrohlichkeit. Die immer verbreitetere Lohnarbeit sowie die Freizeit ausserhalb des Familienbunds steigerten die Nachfrage nach nächtlicher Unterhaltung, sodass sich ab 1880 ein stetig wachsendes Angebot etablierte. 1888 wurde im damals liberalen Zürich die Sperrstunde aufgehoben. Übrigens 56 Jahre vor der Aufhebung der Sperrstunde in Berlin, welche heuer ihr 75. Jubiläum feiert.

Hotspot des nächtlichen Vergnügens war um 1900 das Niederdorf, welches in der Zeit als eher ärmliches Quartier galt. Neben den zahlreichen existierenden Wirtschaften kamen neu Bierhallen, Variétés, Kabaretts, Wiener Cafés, Kinos und Freudenhäuser dazu. Der Franziskaner eröffnete zum Beispiel 1886, die Rheinfelder Bierhalle bereits 1870 und der Johanniter im Jahr 1899. 1900 existierten über 1000 Wirtschaften in der Stadt Zürich. Alkohol und Prostitution wurden zunehmend zum Massenproblem. Die Sittlichkeit wurde zu einem leidenschaftlich diskutierten Thema.