«Champagner ist kein Luxus!»
Je kürzer die Tage, desto grösser meine Lust auf Champagner. Während ich unterm Jahr auch mal Cava oder Crémant geniesse, sollte es auf die Feiertage hin schon zwingend das Kulturgut aus Nordfrankreichs Kreideboden sein. Und wie es aussieht, erlebt Champagner derzeit bei vielen Geniesser*innen wieder mal eine Renaissance.
In letzter Zeit häufen sich die Anzeichen, dass die Weine aus der weltberühmten Champagne eine weitere Hochblüte erleben. Den Trend hat Creative Director und Markenexperte Dan Roznov alias Champagne Spy früh erkannt und zum Thema die Event-Reihe Champagne & Friends ins Leben gerufen. Dabei bringt er seit fünf Jahren zahlreiche Champagnerhäuser (an den grossen Events über 30) mit Weinliebhaber*innen und Sommelières zusammen, und zwar mit viel Erfolg: Nur wer sehr schnell ist, kann sich ein Ticket sichern. Dan Roznov: «Mir geht es darum, die hiesige Champagnerkultur zu beleben und Weinliebhaber*innen die unglaubliche Vielfalt von Champagner in einem entspannten Rahmen nahezubringen.»
«Ich finde das Leben zu kurz für Prosecco»
Die Event-Reihe vermittelt Champagner-Kultur über das ganze Spektrum hinweg: vom Winzerchampagner aus der Kleinproduktion bis zu Prestige-Cuvées von Weltmarken wie Charles Heidsieck, Bollinger oder Billecart-Salmon. Seit Roznov seine Anlässe organisiert, packen meine Geniesser-Gspänli regelmässig ihr Instagram mit tollen Flaschen voll – Anfang Dezember war ich endlich auch mal dabei und es gab tatsächlich aufregende Produkte zu entdecken (zum Beispiel den mit Sherrynoten punktenden Telmont, neu im Besitz von Rémy Martin, oder die sehr weinigen Cuvées von Domaine Vincey, zu finden bei Altglas in Bern). Mit seiner Verve hat Roznov dazu beigetragen, dass Champagner in der Stadt Zürich als Thema wieder viel angesagter ist als auch schon. «Unser Champagner-Lifestyle ist entspannt, fernab vom altmodischen, elitär-steifen Krawattengehabe», sagt der Marketingexperte. So ziehe man auch ein jüngeres Publikum an. «Champagner ist ein Alltags-Luxus, der zugänglicher und verständlicher geworden ist. Ein Grund mehr, sich öfters ein Gläschen zu gönnen – ich finde das Leben zu kurz für Prosecco.»
Ein neuer, kleiner Handel wird lanciert
Den Trend zum edlen Sprudel haben auch die vier Gründer von Les Bulles gespürt, einem neuen, kleinen Weinhandel, der kürzlich im noblen Signau House seinen Lancierungs-Event feierte. Inputs bezüglich Produzenten kommen dabei von Mitgründer und Experte Dominik Betschart, dessen Blötlerli-bezogenen Wissensdurst man auf Instagram unter @champagnegreenhat verfolgen kann – er besucht jährlich Dutzende von Weingütern in der Champagne; Dirk Hany von der Bar am Wasser ist Gründungsmitglied und vertritt die Gastronomie. Er hat stets eine tolle Auswahl Flaschen auf seiner Karte. Die ebenfalls als Mitgründer zeichnenden Anwälte Michael Sutter und Florian Schmidt-Gabain (bekannt von verschiedenen Genuss-Events und als Konkurrent der seither leider verstorbenen Anne Keller um das Präsidium der Zürcher Kunstgesellschaft) sehen sich als versierte Geniesser.
«Wir wollen zu etwa zwei Dritteln Privatkunden beliefern und nur zu einem Drittel die Gastronomie», schildert Florian Schmidt-Gabain die Vision von Les Bulles. «Die allermeisten unserer Produzenten sind vollkommen überverkauft. Um überhaupt Kontingente zu bekommen, mussten wir sie davon überzeugen, dass wir genauso passioniert sind wie sie», erzählt Schmidt-Gabain. Einzig der Hersteller André Jacquart sei mit 100’000 Flaschen jährlich in einem etwas grösseren Segment unterwegs. Im Verkauf an die Gastronomie kann Les Bulles bereits Erfolge verzeichnen und gewann zum Beispiel das Dolder Grand Resort oder das Igniv im Hotel Marktgasse als Kunden. «Champagner muss kein Markenluxus sein», sagt Schmidt-Gabain – «wir verkaufen Winzerchampagner, die von den von uns persönlich besuchten und selektionierten Weinbauern eigenhändig hergestellt werden.
Diese Leute leben für ihre Böden und für ehrliche Produkte.
Ihre Weine widerspiegeln ihre jeweiligen Charaktere und sind pure landwirtschaftlich-handwerkliche Produkte.» Diese Leute leben für ihre Böden und für ehrliche Produkte, die in vielen Fällen schon seit Jahren ohne Dosage auf den Markt gebracht werden, das heisst ohne zusätzliche Schönung durch einen Verschnitt aus Wein und Zucker, den Liqueur d’Expédition (Versand-Likör, klingt ja auch schon albern). Winzerchampagner sind übrigens dadurch definiert, dass keine fremden Trauben zugekauft werden – etwas, das in der jährlich über 300 Millionen Flaschen produzierenden Industrie überhaupt nicht selbstverständlich ist. Jurist Schmidt-Gabain hat ein erotisches Verhältnis zum Champagner wie zur Sprache, was es leider unmöglich macht, seinen Empfehlungen zu widerstehen. Mehr zur Kultur der Degustationsnotiz gibt’s nächstes Jahr zu lesen.
Über Champagner ausser Haus und im Glas
Soll man Champagner auswärts oder zu Hause trinken? Nun, Champagner in der Bar fühlt sich für mich meistens zu teuer an; der Lärm und die Gegenwart anderer Leute sowie deren zahllose Parfüms in der Luft lenken mich von der Konzentration ab, die man einem guten Schäumer entgegenbringen sollte. Zu Hause hingegen, wo ich mir die Zeit für ein paar Notizen nehmen kann oder mit Freund*innen getrunken wird, rückt der Champagner ins Zentrum und darf ruhig mit einer Runde Fachsimpelei geehrt werden.
Zum Essen im Restaurant finde ich Champagner zu teuer; wenn es etwas zu feiern gibt, mag er als Geste angehen. Und ja, wir alle wissen es: In und um Zürich leben jede Menge Leute, denen es nicht drauf ankommt, an einem Abend pro Person vierstellige Beträge auf der Dolorosa zu haben. Wer wollte es ihnen verübeln, wenn sie dann den geilen Stoff bestellen? Ich urteile nicht.
Egal, wo man guten Champagner trinkt, immer sollte man auf Cüpli verzichten: Champagner ist guter, handwerklich und mit Liebe hergestellter Wein und gehört in ein Weinglas, damit man sein Bouquet wahrnehmen kann. Ich verwende zu Hause das Gabriel-Glas, wobei mich ein Experte darüber aufklärte, dass dieses zu viele Moussierpunkte aufweise und somit die Kohlensäure zu schnell flieht; gemäss meinem Kollegen Wolfgang Fassbender sollte man auf Gläser von Lehmann setzen, er droppte überdies Zwiesel, Grassl und Reto Zünd als weitere Empfehlungen. Nun ja – hier kommt eine Designfrage ins Spiel, denn sehr bauchige Weingläser taugen nicht zum Trinken im Stehen. Dies sollte man bedenken, wenn man seine Gäste mit Champagner empfängt und sich nicht gleich hinsetzt. Oder halt die ganz geilen Schäumer erst reichen, wenn man sich hinsetzt.
Ein paar Tipps ohne Anspruch auf Vollständigkeit
Tolle Winzerchampagner findet man übrigens auch bei Zürcher-Gehrig, einem traditionsreichen Champagnerhändler mit über 100 Jahren Geschichte. Im Gegensatz zum aufwendigen Prospekt von Les Bulles fallen die Notizen zu den Produkten hier eher knapp aus. Ich zitiere mich deshalb am besten selbst – zur Réserve Noire von Dosnon habe ich notiert: «In der Nase Apfelschale, Walderdbeere, Hagebutte, rosenknospige Noten, Brotteig, sehr reintönig. Am Gaumen zitrische Frische, sehr saftiger Fluss, im Abschluss steinige Trockenheit und eine herbe Erinnerung an Quittensaft». Oder zum Égly-Ouriet Grand Cru V.P: «Sonnenbeschienener Kalkstein, Grapefruitschale, Pfirsichsaft, knackiger Grip, britzelnd-elektrische, millimetergenaue Säure».
Gerne kaufe ich Champagner weiters bei Brancaia, wo der famose Drappier zu finden ist. Dessen Brut Nature bietet ein hervorragendes Verhältnis von Preis und Leistung. Die Weinhandlung Boucherville an der Kinkelstrasse hat ebenfalls ein tolles Sortiment an coolen und unbekannten Winzerchampagnern. Und Smith and Smith im Binz-Quartier hat neben dem grossen Brand Billecart-Salmon, mit dem die Gäste des Zurich Film Festival anstossen, auch einen Winzerchampagner am Start, den ich empfehlenswert finde, der Name lautet Fleury.
«Kleines Anbaugebiet. Sehr viel Kompetenz»
Zusammenfassung: Champagner ist wundervoll zu trinken und spannend zu erkunden, weil auf kleinem Anbaugebiet sehr viel Kompetenz aufgebaut wurde und sich die einzelnen Produkte oft grundlegend unterscheiden. Und wenn einmal eine Flasche nicht so viel Spass machen sollte – wäre das immer noch Grund genug, bald wieder mal eine neue zu öffnen.
Danke fürs Lesen!
Für 2021 schliesse ich hiermit mein Kulinarikheft und wünsche allen Leserinnen und Lesern schöne Feiertage und einen guten Start ins 2022. Vielen Dank fürs Lesen! Wir sehen uns wieder, ich freue mich drauf.