Menschen & Leben

Wie geht’s, Gülsha?

Kein Interview, das auf die immergleichen Antworten abzielt, sondern ein Gespräch, das sich aus der simplen Frage «Wie geht’s?» entwickelt: In unserer neuen Interview-Serie lassen wir Promis und andere interessante Menschen für einmal selber bestimmen, worüber sie reden wollen. Dieses Mal mit «Swiss TV Treasure» Gülsha Adilji.

Auf die Frage, ob sie es nicht creepy finde, das Interview auf dem Friedhof Sihlfeld zu führen, erwidert Gülsha via Instagram-DM: «Nope. Solange wir nicht auf Gräbern strippen.» Fair enough. Am Eingang des Friedhofs steigt sie vom Velo.

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«Du musst wissen, als Oversharerin antworte ich auf diese Frage immer aufrichtig.»

Gülsha, wie geht’s?

Du musst wissen, als Oversharerin antworte ich auf diese Frage immer aufrichtig. Ich fühle dann vier Millisekunden in mich hinein und schaue, was Sache ist. Und zwar ist es gerade so: Mir geht’s sehr gut, aber was mich beschäftigt, ist mein seit Wochen schmerzender Finger. Schau!

Au, ja, der Ringfinger sieht nicht gut aus.

Und mein Bein schmerzt auch, seit einer Weile. Es tut weh, wenn ich mich bücke. Aber seelisch geht’s mir sehr, sehr gut!

Was beschäftigt dich zurzeit auf der Tun-Ebene? Ich habe das Gefühl, du machst hundert Dinge gleichzeitig.

Das wirkt nur so. (lacht) Ich muss dir ehrlich sagen, sehr häufig mache ich gar nichts. Diese Woche habe ich nur Dinge gemacht für mich: Sport, einkaufen. Ich bin zwar arm, dafür habe ich ein entspanntes Leben.

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«Das Mikrobiom hat einen Effekt auf deine Leistung, deine Erholung, deine Entzündungswerte.»

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Was findest du denn spannend in einem Gespräch?

Ich liebe es, wenn Leute mir neue Fakten erzählen. Irgendwas, das mein Gegenüber gecatcht hat und an mich weitergeben kann. Wie, du weisst, wie Nacktschnecken kommunizieren? Erzähl mir alles darüber! Ich will wissen, welcher Leidenschaft du verfallen bist.

Wo liegt deine Leidenschaft momentan?

Schön, dass du fragst. Mein Thema zurzeit ist das Darm-Mikrobiom. Ich lese alles, schaue alles, klicke alles, hab sogar eine Masterclass gekauft, aber da war nichts Neues für mich dabei. Siebzig Prozent des Serotonins werden im Darm produziert und vierzig Prozent des Dopamins. Das Mikrobiom hat einen Effekt auf deine Leistung, deine Erholung, deine Entzündungswerte. Es gibt ein Start-up, das will das Mikrobiom von Profisportlerinnen in Kapselform produzieren. Als Nächstes will ich mein Mikrobiom abchecken.

Wenn ich schon einen Profi hier habe: Was sind die besten Tipps für ein gutes Mikrobiom?

Kein Zucker. Fermentiertes wie Kombucha und Kimchi: super. Ballaststoffe, etwa in Hülsenfrüchten: mega wichtig! Ich stelle meine Ernährung noch mal voll um.

Du ernährst dich doch schon vegan?

Seit zehn Jahren.

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«Iss dein totes Tier, aber lass bitte meine Erbsen in Ruhe.»

Mittlerweile gibt es so viele vegane Produkte. Sind Grillfeste heute einfacher für dich?

Alle wollen immer von meinen Vegi-Sachen probieren und ich habe Angst, zu wenig zu bekommen. Das stresst mich. Iss dein totes Tier, aber lass bitte meine Erbsen in Ruhe.

Kommt es da nicht auch zu Diskussionen?

Ich selbst fange nie an, darüber zu sprechen. Aber wenn die Leute damit anfangen, dann, weil sie alle natürlich nur ganz selten ganz wenig Bio-Fleisch essen. Das ist eine Lüge, Fabian, und das weisst du. Wenn ich wirklich sagen würde, was ich denke, dann gäbe es immer Streit. Jedenfalls ist die vegane Ernährung super fürs Mikrobiom.

Aber kann man Essen in gute und schlechte Lebensmittel einteilen? Das Leben ist doch nicht schwarz oder weiss!

Meines schon! Entweder ganz oder gar nicht.

Apropos Schwarz-Weiss-Denken: Soviel ich weiss, ist das nicht untypisch für Menschen mit ADHS. Du hast die Diagnose seit einer Weile. Wie geht es dir damit?

Ich hatte nie einen besonders grossen Leidensdruck. Wahrscheinlich, weil ich mein Leben schon sehr meinen Bedürfnissen angepasst habe. Ich merke, dass ich seit der Diagnose netter zu mir selbst bin. Und ich habe mehr Verständnis für andere. Eine Freundin von mir hat auch ADHS, sie kommt immer, immer, immer zu spät. Aber sie kann nicht anders, das weiss ich jetzt.

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«Ich habe jetzt eine Coachin. Die hilft mir, mein Leben zu regeln.»

Was hast du über dich gelernt in diesem Prozess?

Ich hatte immer Mahnungen und extreme Anxiety vor der Post. Ich wusste nicht, dass das mit ADHS zusammenhängt. Dass man Dinge nicht hinkriegt, obwohl man eigentlich fähig dazu wäre.

Was machst du jetzt anders?

Ich habe jetzt eine Coachin. Die hilft mir, mein Leben zu regeln. Zum Beispiel habe ich realisiert: Im Ausgang, das ist mir zu viel Musik, Menschen, Eindrücke, Emotionen. Ich brauche Ruhe, wenn ich mich mit Menschen unterhalten will, sonst bin ich am nächsten Tag doppelt verkatert.

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Lass uns noch über Zürich sprechen: Wärst du überhaupt noch da, wenn Umfeld und Arbeit nicht hier wären?

Ich sag’s mal so: Wenn meine Friends alle in die Toskana ziehen würden, dann würde ich sagen, let’s go! Ich meine, der Zürisee ist das Beste, aber ganz ehrlich, die Leute hier sind massiv unsympathisch. Es ist so unentspannt, alle wollen cool sein.

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Und in Berlin nicht?

Berlin ist viel durchmischter, aber auch nicht die offenste Stadt von allen. Ich würde Berlin jetzt nicht gegen Zürich eintauschen, sie sind beide ähnlich kalt. Auch die Arbeitsweise ist sehr ähnlich, mit dem Unterschied, dass es in Deutschland von allem mehr hat, besonders beruflich: mehr Sender, mehr Produzent:innen, mehr Platz für Nischenthemen, mehr Möglichkeiten.

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Bist du jemand, der die Zukunft plant, oder machst du einfach eine Sache nach der anderen?

Ich weiss einfach: Ah, das ist das nächste Grosse, das passiert. Zum Beispiel werde ich nächstes Jahr vierzig!

Wie geht’s dir damit?

Ich merke nicht viel davon. Andere sagen, am Morgen merke ich’s schon. Ich sage: Ich war noch nie so fit wie heute, just sayin’. Oh, schau: ein Fuchsbau! Das finde ich so wild, in der Stadt solche Tiere zu sehen. In «Fleabag» kommt doch auch immer wieder ein Fuchs vor.

«Ich frage mich oft: Warum ändern wir nichts? Warum sind wir so?»

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Da kommt mir «Fantastic Mr. Fox» in den Sinn.

Von dem kenne ich nur die Abschlussszene, grandios! Ein anderer herzerweichender Sehnsuchtsfilm von mir ist … shit, jetzt habe ich den Namen vergessen, egal: Es ist eine grosse Kritik an unserer Gesellschaft, am Schulsystem, an die Ernährungssysteme. Ein Spotlight auf alles, was ich an unserer Gesellschaft schwierig finde. Ich frage mich oft: Warum ändern wir nichts? Warum sind wir so?

Ja, warum?

Weiss auch nicht. Wir könnten doch die hundert intelligentesten Menschen suchen, plus künstliche Intelligenz. Die kriegen dann zwanzig Jahre Zeit, um ein neues System zu entwickeln, und noch mal fünfzehn, um es zu installieren. Das wär’s doch!

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Ja, schon.

Aber bis dahin hat uns die Klimakrise leider schon zerstört.

(lacht)

Wir lachen jetzt! Aber was sollen wir sonst tun.

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