Eine Star-Pâtissière fürs Razzia im Kreis 8
Mit ihrer opulenten Einrichtung haben das Restaurant Razzia und seine Bar etwas Unzürcherisches. Um die daher rührende Schwellenangst des Publikums zu senken, wird die Bar neben dem einstigen Kino tagsüber neu zur Confiserie mit Dessertbar. Für die Herstellung der Köstlichkeiten wurde die Pâtissière Felicia Ludwig geholt.
Von Dienstag bis Samstag gibt es neu in der Bar des Restaurants Razzia an der Seefeldstrasse salzige (zum Lunch) und süsse Kreationen (zum Dessert und als Mitbringsel) zu erstehen. Man kann die Delikatessen gleich in der Bar verspeisen oder mitnehmen. Für die Herstellung verantwortlich ist die von Gault-Millau zur Pâtissière des Jahres gekürte Felicia Ludwig.
Eine ambitionierte und kreative Krampferin
Felicia Ludwig stammt aus Rumänien und folgte ihrer Berufung zum Kochhandwerk relativ spät, aber mit desto mehr Erfolg. Ihre Präzision und ihr Ideenreichtum brachten sie in Betriebe wie das Suvretta House in St. Moritz, das Eden Roc in Ascona und schliesslich zu Antonio Colaianni (Clouds, Mesa, Gustav, dann Ornellaia, alle in Zürich). Mit dem Projekt einer eigenen Dessertbar unter dem Dach des Razzia kann sich Felicia Ludwig den Traum von der Selbstständigkeit erfüllen. Für ihr Angebot kombiniert sie klassische Geschmacksprofile mit den neusten Techniken und ungewohnten Zutaten, wobei sie immer auf einen möglichst tiefen Gehalt an Kristallzucker achtet. Natürlich werden Felicia Ludwigs Desserts in Zukunft auch auf der Karte des Restaurants Razzia stehen. Mein Gewährsmann Patrick Zbinden umschreibt die Produkte als optisch lustvoll und luftig, man finde gleichermassen schmelzende Cremigkeit und dezente Süsse. Natürlich gibt es auch vegane Optionen.
Kulinarische Prägung via Sandwich
Wo das Razzia heute steht, befand sich einst ein frei stehender Bau mit dem Namen Villa Mainau. Sie wurde 1847 errichtet, als die Gemeinde Riesbach noch nicht einmal zu Zürich gehörte. 1878 wurde die Villa Mainau zur Wirtschaft und bekam einen Saalbau mit Gartenrestaurant angefügt. Kurz nach der Eingemeindung Riesbachs in die Stadt Zürich wurde mittels Aufstockung aus der Villa ein Mehrfamilienhaus. Und im Zug des ersten Zürcher Kinobooms wurde aus dem Saalbau ein Kino, vom Architekten Wilhelm Pfister-Picault mit Malereien zum Thema Kino ausgeschmückt.
Sponsor
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Nach einer wechselvollen Geschichte und dem Abstieg des Seefelds zum verrufenen Drogenstrich übernahm Mitte der Achtzigerjahre der junge Impresario Jürg Judin das Kino und taufte es in Razzia um. Es wurde Schauplatz legendärer Partys und Konzerte – mir scheint, sogar der deutsche Starkolumnist Max Goldt habe mal über das Konzert seiner Lieblingsband Cocteau Twins an dieser Location geschrieben. Wegen der Malereien aus der Zeit seiner Funktion als Lichtspieltheater steht der Saal unter Denkmalschutz; der heutige Besitzer, Immobilienunternehmer Urs Ledermann, erhielt im Gegenzug für die Erhaltung des Kinosaals das Recht, die baufällige Villa Mainau neben dem Kinosaal durch einen rentablen Neubau zu ersetzen.
Neben dem linken Radio Lora war in der damaligen Villa Mainau auch ein Sandwichladen namens Schmatzkönig untergebracht. Als ich im Seefeld zur Schule ging, trafen sich kulinarisch interessierte Schüler*innen in der Schlange vor des Schmatzkönigs Glastheke und warteten hungrig darauf, dass ihnen Sandwiches frisch und mit Belag nach Wunsch zusammengestellt wurden. Man verspeiste die Brote anschliessend im nahen Park oder unten am See und fühlte sich sehr trendy. Diese wohl erste Zürcher Paninoteca im italienischen Stil war prägend für mich und sicher viele andere. Es gab nie mehr etwas Vergleichbares.
Abschluss der «Beautiful Revolution»
Viele Jahre danach erstand das Razzia neu als Restaurant und wurde mit einigem Pomp lanciert. Es kam allerdings nie richtig auf die Karte der massgeblichen Zürcher Ausgeh-Meinungsmacher, wofür unter anderem wohl ein Grund ist, dass es Probleme mit Nachbarn gab, die auf die Einhaltung von Grabesstille nach 22.00 Uhr abends pochten. Sicher ebenfalls damit zu tun haben der Ruf des Seefelds als Expat-Quartier und der ganz allgemein höhere Trendfaktor der Kreise 3, 4 und 5. Die Lancierung von Felicia Ludwigs Dessertbar sei der Abschluss einer «Beautiful Revolution», mit der das Razzia endlich in seiner unmittelbaren Nachbarschaft ankommen und die beiden mörderischen Corona-Jahre hinter sich lassen möchte, erzählte mir Sheila Gut-Lee, Ehefrau von Mike Gut, der das Razzia seit wenigen Monaten in alleiniger Verantwortung betreibt (man kennt ihn auch vom Seehaus in Herrliberg). Von der eingangs erwähnten Opulenz der Einrichtung sollte man sich nicht abschrecken lassen: Im Vergleich zum Prunk des Lokals sind die Preise für die auf hohem Niveau zubereiteten Speisen (und namentlich die Einsteiger-Weine) moderat – insbesondere angesichts der Preissetzungen anderswo in der Stadt. Die Küche dreht sich hauptsächlich um den Grill, Küchenchef Max Klaan basiert seine Karte auf der klassischen europäischen Küche und reichert einzelne Gerichte mit asiatischen Schmatz-Faktoren wie Dashi und Teriyaki an.
Hoffentlich gelingt das Vorhaben von Felicia Ludwig und ihren Patrons, denn dies würde das Lebensgefühl im Seefeld mit Sicherheit beeinflussen. Yogastudios und private Gyms zwecks Verbrennen von Kalorien gibt es hier bereits genug – mich würde es sehr freuen, wenn sich vermehrt Geniesserinnen und Geniesser im Kreis 8 träfen, die es nach mehr gelüstet denn nach einer Low-Carb-Pizza und einem Hafermilch-Cappucino to go.
Adresse
Razzia
Seefeldstrasse 82
8008 Zürich
Website
Öffnungszeiten
Felicia Ludwig im Razzia: Dienstag bis Samstag von 7.30 Uhr bis 15.30 Uhr, mit Übergang zum Apéro-Barbetrieb
Infos
Wer an Stadtgeschichte interessiert ist, kann sich mithilfe des Buches über die Geschichte des Razzia einen tollen Überblick verschaffen. Es wurde seinerzeit zur Eröffnung publiziert und erschien im Verlag Scheidegger & Spiess. Urs Steiner (Hrsg.): Das Kino Razzia – ein Abspann. Im Brennpunkt der Zürcher Kulturgeschichte 1920 bis 2014. 192 S.