Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Die Zeit der Dämonen und Dinosaurier

Clubs, Shops und sogar eine Welle: Die Geroldstrasse ist europaweit einzigartig. Deshalb fand am Samstag dort der Tag der offenen Bar- und Club-Tür statt. Unser neuer Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli war dabei – und lüftet einige Geheimnisse.

Lange Zeit war die Nacht die Zeit der Dämonen. Stadttore wurden geschlossen, um Gaukler und Halunken fernzuhalten. Raus ging nur, wer wirklich musste. Noch im 19. Jahrhundert wurden Wirtschaften als Sündenpfuhl bezeichnet, in denen liederliche Frauen alkoholische Getränke ausschenken und zu Unzucht und Gewalt verführen. Ganz so, wie wir es von der Fernsehserie «Babylon Berlin» kennen.

Noch heute wird das Nachtleben auf Attribute wie lusche Geschäfte, Lärm, Alkohol, Drogen und Gewalt reduziert. Das zeigen auch die Leserkommentare unter Onlineberichten über Lärm oder Alkohol. Offline kursieren Geschichten über Clubs oder VIP-Räume, zu denen nur eine Schar Eingeweihter Zugang hat.

Noch heute wird das Nachtleben auf Lärm, Drogen und Gewalt reduziert.

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Doch was geht denn tatsächlich in der Zürcher Nacht ab? Wie sieht ein Club eigentlich ohne Partygänger aus und gibt es im Backstage tatsächlich Spiegel, um Kokain zu konsumieren?

Seit 2013 lüftet der Tag der offenen Bar- und Club-Tür solche Geheimnisse der Nacht. Eingeladen sind alle. Ziel ist es, den Akteuren des Nachtlebens ein Gesicht zu geben und Barrieren und Vorurteile abzubauen, ohne dabei die Magie der Nacht zu verlieren. Am vergangenen Samstag fand der Anlass in Zürich zum siebten Mal statt, der Fokus lag auf der Geroldstrasse und deren Umgebung. Sie ist ein Melting Pot, wie er in Zürich, nein sogar in ganz Europa, nur selten anzutreffen ist.

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Bei dem Einsatz waren gefühlt mehr Polizisten präsent, als Drogen beschlagnahmt wurden.

Auf die ersten illegalen Locations in den 80ern folgten bald die ersten offiziellen Clubs der Stadt – erst die Katakombe, später der Supermarket, der dieses Jahr sein 20-Jahr-Jubiläum feierte, und das Hive. Dieser Club eröffnete 2006.

Zu Spidergalaxy-Zeiten war es möglich, an der Geroldstrasse von Donnerstag bis Montag durchzutanzen. Geradezu legendär war die Spider-Razzia im April 2005: Bei diesem Einsatz waren gefühlt mehr Polizisten präsent, als Drogen beschlagnahmt wurden. Telezüri filmte damals live – und die Bilder schafften es zwar nicht um die Welt, doch zumindest bis in den Aargau.

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Unser Kolumnist Alexander Bücheli hat den Tag der offenen Bar- und Club-Tür mitorganisiert. Alle Fotos: Boris Müller

Dieser Einsatz war zwar unverhältnismässig – die Polizei hat danach selbst erkannt, dass Razzien nichts bringen –, doch er trug zur Mythenbildung bei – und beendete eine Ära. Clubräumlichkeiten wurden frei, die damals oberhalb des Hive ansässige Boschbar musste gehen.

So kamen neue Mieter und die Geroldstrasse wurde noch bunter und durchmischter.

So kamen neue Mieter und die Geroldstrasse wurde noch bunter und durchmischter. Neben den verbliebenen und beliebten «Nachtleben-Dinosauriern» entwickelte sich wieder zunehmend auch das Kleingewerbe. Es entstanden Shops, teilweise nicht grösser als ein Fenster. Überragt wurden sie vom Freitag-Flagship-Tower – einem der am meisten fotografierten Gebäude der Stadt und ein ähnlich grosser Insta-Hype wie die Regenschirme im Hive-Himmel.

Die Geroldstrasse auf Instagram

Auch für die zuvor noch brachliegenden Flächen wurden neue Ideen entwickelt. Wer hätte gedacht, dass es mal möglich sein würde, an der Geroldstrasse auf einer Welle zu surfen? Durch das lebendige Nachtleben ist die Gegend auch für das Leben am Tag attraktiv – im Frau Geroldsgarten gibt es kleine Shops, aber auch Gemüse, Kräuter, Fondue und Wein.

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Dass auch die neue Generation nicht darauf warten kann, den Melting Pot Geroldstrasse zu entdecken, konnte man letzten Samstag während des DIY-Kinderclubs im Hive erleben! Strahlende Kinder tanzten unter der Diskokugel.

Wie viel Schweiss und Herzblut es braucht, einen Club zu betreiben, zeigten die Clubführungen im Supermarket, Hive, Space Monki und Moods. Spiegel hingen Backstage nur an der Wand und ja, wer zu zweit auf die Toilette geht, der fliegt raus. Auch wenn ein bisschen Mythos trotz des Tages der offenen Bar- und Club-Tür bleibt, bestätigten die Eindrücke und Begegnungen die Teilnehmenden darin, dass eine Stadt wie Zürich auch in Zukunft die Geroldstrasse und ein Nachtleben braucht, wenn sie weiterhin zu den lebenswertesten Städten Europas gehören will.

Adresse

Geroldstrasse
8005 Zürich