Kultur & Nachtleben

«Mein katholischer Vater würde durchdrehen!»

Interview: Valérie Jost

Ágota Dimén tritt jetzt mit Zürcher Drag Queens auf. Denn die Komikerin findet: Diese Königinnen gehören auf die grossen Bühnen. Wir haben mit Ágota und der Drag Queen Vicky Goldfinger über das Programm «Late Night Drag», Go-Go-Dancing und Geburten gesprochen.

Ágota, du warst zwei Jahre lang Dominic Devilles Sidekick in der Late Night Show auf SRF. Nun hostest du mit «Late Night Drag» eine eigene Show. Wie ist es dazu gekommen?

Ágota Dimén: Zuerst hat mir Andrea Schulthess erzählt, dass sie ein Theater eröffnet. Ich wollte unbedingt Drag Queens dahinbringen. Ich habe unseren Regisseur dazugeholt und plötzlich hatten wir ein Logo. So ist der Haufen immer weiter gewachsen.

Vicky Goldfinger: Du willst also sagen, wir sind Dreck.

Ágota: Genau! (lacht) Nein, du weisst, mein Herz schlägt für die Drags.

Vicky: Ich weiss. Du bist eine Art Drag-Mami. 

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Vicky Goldfinger und Odette Hella'Grand

«Drag ist ein Statement.»

Vicky Goldfinger

Wieso ist Regisseur Piet Baumgartner so wichtig?

Ágota: Ich wollte schon immer selbst etwas machen, aber ich bin ein unendlich fauler Mensch. Deshalb beginne ich bei neuen Projekten nur so halbbatzig, wenn ich sehe, wie viel Arbeit dahintersteckt. Sobald dann aber jemand dazukommt, funktioniert es: Unser Regisseur Piet Baumgartner pusht uns so krass, dass man sich automatisch auch selbst pusht.

Vicky: Er gibt uns Hausaufgaben. Das ist super für faule Künstler!

Ágota: Wir wollen fünf Zentimeter weiter gehen als das, was man bisher in der Zürcher Dragszene zu sehen bekommt. Es geht nicht darum, den Begriff Drag neu zu definieren, überhaupt nicht. Wir wollen dem, was da ist, einen Platz geben. Damit die Drag Queens wie eine Blume aufgehen können.

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Wie ist das für dich, Vicky?

Vicky: Das ist eine Herausforderung. Ich kann nicht mehr mein Schema durchspulen, wie ich es jahrelang gemacht habe. Ich habe vorher vor allem in Clubs gearbeitet, das ist eine komplett andere Arbeitsweise. Die Schweizer Dragszene beschränkt sich oft auf das Nachtleben.

Ihr wollt die Dragszene aus den Clubs holen?

Ágota: Definitiv. Drag an sich ist eine unglaublich tolle Kunstform und so viel mehr als nur Dekoration. An gewissen Partys stehen Drags jedoch nur hübsch herum und sind – warte, wie heissen diese Party-Animations-Girls?

Vicky: Genau! «Walking Act» nennen wir das im Business, da sind wir fast Go-Go-Dancer in Kostümen. In einer Aufmerksamkeitsspanne von zwei bis drei Minuten muss alles flashy, alles toll und instagramtauglich sein. Ich trage gerne zur Partystimmung bei, aber es ist eine schöne Abwechslung, auf der Bühne auch mal in die Tiefe gehen und Ideen verwirklichen zu können, die ich in einem Club nie umsetzen könnte.

«Drags sind manchmal einfach grosse Bitches mit krassem Mundwerk.»

Ágota Dimén

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Vicky Goldfinger

Ist die Show gescriptet?

Ágota: Nein, gar nicht. Es gibt zwar vorbereitete Performances, aber auch Challenges mit Improvisation. Was während diesen passiert, weiss man nicht – das ist wie ein Kind zu gebären. Und für das Publikum gibt es nichts Schöneres, als mitzuerleben, wie jemand sich auf der Bühne live etwas ausdenkt und es sofort umsetzt. Wir wollen zeigen: Schau, fucking Welt! So sind Drags! Die können aus einem Stück Brot ein Raumschiff machen! Denn Drags sind manchmal einfach grosse Bitches mit krassem Mundwerk. Also Wortakrobatikerinnen, Entschuldigung. Das Ganze ist sehr schlagfertig, wie bei einem rumänischen Weihnachtsfest.

Vicky: Wir machen uns natürlich einen Plan für den Abend. Aber wir wollen ihn im Verlauf des Abends immer wieder bewusst durchkreuzen mit Dingen, auf die wir selbst nicht vorbereitet sind. So sind wir ganz nah am Publikum.

Ágota: Es hört sich ein bisschen pervers an, wenn du das so sagst. Mein katholischer Vater würde durchdrehen!

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Vicky Goldfinger und Odette Hella'Grand

Gutes Stichwort: Wie politisch ist eure Show?

Vicky: Wir wollen keine klassische Late Night Show sein, die aktuelle politische Themen durchkaut, so wie man es von SRF kennt. Aber es kommen sicher Themen aus unserem Alltag vor.

Ágota: Und dieses Private ist politisch. Schon nur dass ich als Ausländerin in der Schweiz lebe und all die Drag Queens Teil der LGBTQ+-Szene sind – es wird automatisch politisch!

Vicky: Das ist genau wie wenn eine Drag Queen das Haus verlässt, denn dann ist sie bereits politisch. Viele Drag Queens würden das so nicht unterschreiben, aber für mich ist es so. Drag ist ein Statement.

Ágota: Wie wenn eine Frau eine Late Night Show hostet.

Adresse

Miller’s
Seefeldstrasse 225
8008 Zürich
+41 44 387 99 70
Website

Infos

Late Night Drag feiert am 4. Oktober um 20 Uhr Premiere. Weitere Vorstellungen – inklusive ein Halloween Special – sind bis Ende April 2020 geplant. Die Tickets kosten zwischen 18 (vergünstigt) und 35 Franken. Weitere Infos gibt es hier.