Bananenreiferei

Industriecharme, Latinosound und familiäre Atmosphäre: Die Bananenreiferei an der Pfingstweidstrasse ist seit Jahren ein Treffpunkt der Zürcher Salsa-Szene.

Text & Fotos: Ueli Abt

Wo Fabrikarbeiter:innen einst Bananen in Kisten verpackten, kommen Salsa-Begeisterte durch Kurse und Praxis auf der Club-Tanzfläche zu tänzerischer Reife.

Betonpfeiler, eine rohe Decke und ein Bodenbelag mit Patina: Einiges erinnert daran, dass die Bananenreiferei früher tatsächlich ein Industriebetrieb war. Schwarz-Weiss-Fotos an den Wänden im Gang zur angrenzenden Tanzschule zeigen das frühere Fabrikinventar: Bis 2011 transportierten Fliessbänder die reifen Bananen, mit grossen, runden Waagen wogen die Arbeiter:innen die Ware ab, ehe sie in Kartonkisten abgefüllt wurde. Die Kisten liefen über Bahnen mit metallenen Rollen durch den Saal.

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Wer sich im Salsa-Club an der Pfingstweidstrasse 101 etwas umschaut, entdeckt noch die Rollenbahnen und Fliessbänder von anno dazumal. Die Vermieterin Migros hatte diese metallenen Gerätschaften aus der früheren Produktion entsorgen wollen, doch Patrick Hirzel und Esther Staehelin fanden, dass sie im Club als Sitzgelegenheiten gut passen würden.

«Es beginnt jedes Mal mit einem Umbau, wenn wir einen neuen Raum übernehmen», sagt Patrick Hirzel. Er und seine Partnerin Esther sitzen auf der Terrasse vor dem Club. Hier gibt es einige Sitzgelegenheiten, was die Terrasse für Clubgänger:innen zu einer lauschigen Chill-out-Zone unter freiem Himmel macht. Es ist ein Freitagabend im März – und noch etwas frisch. Lampen auf der Terrasse tauchen Sträucher in violettes Licht. Drinnen auf dem Parkett im Club trainiert der Salsa Tanzclub Zürich, in den Nebenräumen laufen Tanzkurse.

Als Esther und Patrick 2012 den Raum am heutigen Standort übernehmen konnten, liessen sie zunächst Wände aus unverputzten ziegelroten Backsteinen hochziehen. Durch die Unterteilung des Saals schufen sie vier Kursräume, die heute zugleich auch als zusätzliche Dancefloors an den Clubabenden dienen. Und im Club entstand eine Bar aus Beton, die an den Abenden grün beleuchtet wird. So entstand im Club ein Mix aus industriell Brachialem und tropischer Wärme, die man gemeinhin mit Salsa in Verbindung bringt. 

Mit ihrer Tanzschule starteten sie im Jahr 2001. Esther hatte zuvor viel Standard getanzt, ehe sie Salsa entdeckte. «Im Standard-Tanz mit seinen vielen Stilen geht es sehr lange, bis man auf einen grünen Zweig kommt», sagt Esther. In der Salsa-Szene ist das anders: Schulen und auch Clubs konzentrieren sich grundsätzlich auf einen einzigen Stil. 

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Mit der Salsarica-Eröffnungsparty wurde auch schnell klar, dass regelmässige eigene Partyanlässe die Schule gut ergänzen würden.

So entstand die Idee, eine eigene Tanzschule für Salsa zu gründen. Zunächst unterrichteten die beiden in verschiedenen Räumen und an mehreren Standorten. Mit der Salsarica-Eröffnungsparty wurde auch schnell klar, dass regelmässige eigene Partyanlässe die Schule gut ergänzen würden – schliesslich hatte Patrick Hirzel schon früher Gastro-Events organisiert.

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Mit der Miete einer Halle auf dem Maag-Areal ab 2004 gelang es erstmals, Club und Tanzschule unter ein Dach zu bringen. «Wir starteten damals mit dem Montagabend», erzählt Esther. Montag – nicht gerade ein typischer Tag, um in einem Club zu feiern. Aber damit schufen sie ein Angebot, das es bisher so nicht gab. Bis heute beginnt der Montagabend um 19.30 Uhr mit einer Stunde «Practica», einer Übungsstunde mit gemächlicher Musik also, in der Tanzneulinge paarweise die im Kurs gelernten Figuren unter quasirealen Bedingungen ausprobieren können. Um 20.30 Uhr startet der reguläre Clubbetrieb und erfahrene Tänzer:innen kommen hinzu. Analog läuft es jeweils am Freitagabend ab – mit Beginn um 21 Uhr (Practica) beziehungsweise 22 Uhr (Club).

20

Jahre nach dem Start hält der Erfolg an.

Der Erfolg hält an, auch mehr als 20 Jahre nach dem Start: Sowohl der Montag wie auch der Freitag sind als Clubabende in der Salsa-Szene etabliert. Und aus der Tanzschule mit Club von Esther und Patrick ist eine Firma mit inzwischen 80 Mitarbeitenden geworden: Rund 40 Personen unterrichten, die übrigen arbeiten an der Bar, im Eventbereich und im Büro.

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Die Frage, wer mehr profitiert – die Tanzschule vom Club oder umgekehrt –, ist die Frage nach dem Huhn und dem Ei. 

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Die Frage, wer mehr profitiert – die Tanzschule vom Club oder umgekehrt –, ist die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Sowohl am Montag- wie auch am Freitagabend geht der Schulbetrieb nahtlos in den Clubabend über – das dürfte mitunter auch einmal externe Partygänger:innen zu einem Kurs inspirieren. Ebenso führt die Schule dem Club mit seinen niederschwelligen Partys laufend neues Publikum zu.

Besucher:innen von ausserhalb der Stadt schätzen es, dass sie den Club am westlichen Stadtrand gut per Auto erreichen. Vom Parkplatz auf dem Dach gelangt man über nur eine Treppe direkt zum Club. Das städtische Publikum erreicht den Club per Tram oder Velo.

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Anders als in anderen Clubs ist die Altersspanne des Publikums in der «Salsarica» praktisch unbegrenzt – Salsa scheint für Menschen jeden Alters zu passen. Seit ein paar Jahren beobachten Esther und Patrick zudem, dass sich vermehrt ein jüngeres Publikum unter 25 für die Kurse anmeldet. Die beiden sehen ihre Besucher:innen denn auch als eine Art Grossfamilie. «Paartanz ist extrem interaktiv», sagt Esther. Über die Jahre hat sie immer wieder beobachtet, wie sich Menschen in Kursen und auch im Club kennenlernen und Freundschaften entstehen. Club und Tanzschule würden unter anderem auch Expats helfen, Kontakte zu knüpfen und sich in Zürich rasch einzuleben.

Dass sich Tanzinteressierte problemlos einzeln in Kursen anmelden können, gehört denn auch zum Konzept. «Im Büro sind wir laufend daran, Aushilfen zu finden, damit es stets paarweise aufgeht», sagt Esther. Wenn sie über die Organisation des Schulbetriebs erzählt, taucht einen Moment lang das Bild von der industriellen Vergangenheit der Räumlichkeiten auf: Genormt wie die Abmessungen von Bananenkisten sind die Kurse aufgebaut – alle Lehrer:innen halten sich bis Level 7 streng an den gleichen Kursinhalt. Das hat den Vorteil, dass Kursteilnehmende an einem anderen Kursabend der gleichen Stufe problemlos verpasste Tanzstunden nachholen können. Und Freiwillige können in den tieferen Kursnummern als Tanzpartner aushelfen und so Gelerntes festigen.

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«Salsarica – the Salsa dance factory», wie sich die Schule nennt, ist im positiven Sinn auch so etwas wie eine Fabrik – eine, die laufend neue Tanzbegeisterte produziert.

Adresse

Bananenreiferei
Pfingstweidstrasse 101
8005 Zürich
+41 44 271 97 78
Website

Öffnungszeiten

Montag, 18–24 Uhr
Dienstag und Mittwoch, 18–23.30 Uhr
Donnerstag bis Samstag, 18–24 Uhr
Sonntag, 18–23.30 Uhr