Menschen & Leben

Wie geht’s, Marcel Reif?

Interview: Adrian Schräder Fotos: Jasmin Frei

Kein Interview, das auf die immergleichen Antworten abzielt, sondern ein Gespräch, das sich aus der simplen Frage «Wie geht’s?» entwickelt: In unserer neuen Interview-Serie lassen wir Promis und andere interessante Menschen für einmal selber bestimmen, worüber sie reden wollen. Dieses Mal mit dem sprachgewandten Schweizer Fussballexperten Marcel Reif.

Er kommt per Flieger aus München, mit halbstündiger Verspätung. Am Abend steht das Champions-League-Finale an, das Reif als einer der Experten im Studio von Blue Sports in Volketswil begleiten wird. Ein Kaffee – «bitte heiss und schwarz» –, dann geht’s los.

Herr Reif, wie geht es Ihnen?

Mir geht’s grundsätzlich gut und am liebsten gut. Und wenn ich in Zürich bin, geht’s mir immer besonders gut.

Wieso?

Weil diese Stadt mit vielen, vielen guten Erinnerungen verbunden ist. Ich habe hier 26 Jahre lang gelebt. Bis letztes Jahr. Und ich hatte und habe daran nichts auszusetzen.

Die alte Heimat also.

Ach, Heimat … Ich mache Heimat nicht an einem Ort fest. Ich war mein ganzes Leben lang unterwegs – Polen, Israel, Kaiserslautern, Heidelberg, Mainz, Köln, Zürich, München. Und zwischendurch immer wieder Italien. Wir haben jetzt ein Haus in Apulien. Vielleicht werden meine Frau und ich ja dort alt. Was ich sagen will: Ich habe mich nie örtlich verwurzelt, sondern immer nur menschlich. In Beziehungen.

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«Aber ich trauere keiner Mannschaft oder keiner Spielzeit nach. Journalismus wurde mein Beruf. Und der macht mir immer noch Spass.»

Sie sind also nicht nostalgisch – auch nicht in Ihrem Metier?

Nein. Mit knapp 18 stand ich in Kaiserslautern vor der Frage: Profi werden – ja oder nein? Das Angebot gab’s. Aber ich habe gespürt: Das ist nichts für mich – und habe Abitur gemacht. Natürlich habe ich das immer wieder mal beweint, aber es war die richtige Entscheidung. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Der Verein des Herzens ist Kaiserslautern, so viel ist klar. Aber ich trauere keiner Mannschaft oder keiner Spielzeit nach. Journalismus wurde mein Beruf. Und der macht mir immer noch Spass.

Und wenn Sie da für einen Abend anreisen, um vor, zwischen und nach dem Spiel ein paar Sätze zu sagen?

Dann ist das meine Passion, meine Berufung. Ich habe immer gesagt: «Ist doch nur Fussball – Schlusspfiff und aus!» Das war gelogen. Sie würden mich nicht zum Interview bitten, ich hätte keine schöne Uhr, ich hätte nie in Zürich gelebt, ich hätte auch nicht im Januar in einer ganz anderen Angelegenheit vor dem deutschen Bundestag gesprochen. Alles nur wegen Fussball. Ach ja, noch was vergessen: Meine Frau war mal Wissenschaftsministerin in Bayern – aber die Tischreservierung in München kriege ich. Nur wegen Fussball.

«Wie sagte Camus? ‹Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiss, verdanke ich dem Fussball.›»

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Gleichzeitig besteht ein Fussballspiel eigentlich aus zig Metaphern für das Leben.

Wie sagte Camus? «Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiss, verdanke ich dem Fussball.» Ich wollte eigentlich etwas anderes machen als Sportjournalismus. Ich war ja ursprünglich beim ZDF im Ressort Politik. Aber ich bin mit allem im Reinen. Mir würde es nicht so unverschämt gut gehen und ich hätte nie eine solche Popularität erreicht wie im Sportjournalismus. Und: Ich mach’s verdammt gerne. Das Team bei Blue ist top und Roman Kilchsperger ein guter Freund.

Was macht einen guten Fussballkommentator aus?

Mir hat mal jemand gesagt: «Wissen Sie, was ich an Ihnen so mag? Sie können auch mal schweigen.» Ich glaube, es geht wirklich darum, das Richtige im richtigen Moment zu sagen. Einen Mehrwert zu schaffen. Dinge zu erläutern und zu unterhalten natürlich. Und dazwischen wirklich auch mal einfach nix zu sagen.

Wäre Marcel Reif auch ein guter Trainer?

Das ist ein anderer Job, eine andere Aufgabe. Aber natürlich: An der Seitenlinie beim FC Rüschlikon, wo meine beiden Söhne gespielt haben, wusste ich immer alles besser als der Trainer.

Sie haben reingerufen?

Schrecklich, ja. Ich war ein lausiger Soccer Dad – oder einer aus dem Bilderbuch, besser gesagt. Da gab’s ein paar Momente zum Schämen. Und trotzdem war’s der schönste Fussball. Wenn die Jungs gelacht haben beim Kicken, war die Welt für mich in Ordnung.

Und was ist mit dem Präsidentenamt?

Hätte ich mir schon eher vorstellen können. Übrigens ist mir Cillo Canepa ein guter Kollege. Er hat mich auch zu Blue gebracht.

Ist er ein guter Präsident?

Er ist ein prima Typ. Und er weiss unheimlich viel über Fussball. In seinem Verein hat er wohl zu lange zu viele Hüte gleichzeitig aufgehabt. Aber jetzt soll sich ja einiges ändern, hat er mir kürzlich erzählt.

«Ich will den Moment nicht verpassen, an dem mir das Ganze nicht mehr so heilig ist, wie es mir immer war und jetzt noch ist.»

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Sie werden 75 dieses Jahr. Was kommt noch?

Noch ein paar schöne Momente, noch ein paar schöne Spiele. Am wichtigsten: Ich will den Moment nicht verpassen, an dem mir das Ganze nicht mehr so heilig ist, wie es mir immer war und jetzt noch ist.

Was vermissen Sie an Zürich?

Den See. Und die Wurst vom Sternen Grill! Das war und ist für mich DER Fixpunkt der Stadt. Im oberen Stock habe ich übrigens per Handschlag den bestdotierten Vertrag meines Lebens besiegelt.