Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne
Was Impfen mit Liebe zum Nachtleben zu tun hat
In Zürich wird seit Ende Juni wieder getanzt. Zugang zu Clubs erhält allerdings nur, wer ein gültiges Zertifikat vorweisen kann, das auf den drei Gs basiert: Geimpft, Genesen oder Getestet. Unabhängig davon, wie lange Covid-Tests für Symptomlose noch kostenfrei sind, zeigt die aktuelle epidemiologische Lage, dass nur eine hohe Impfquote nachhaltig aus der Pandemie führt. Sich impfen zu lassen, bedeutet deshalb nicht nur, sich selbst zu schützen, sondern ist auch gelebte Solidarität mit den Mitmenschen und gemäss unserem Nachtleben-Kolumnisten Alexander Bücheli ein Zeichen der Liebe zur Kultur der Nacht.
Seit dem 25. Juni wird in der Schweiz wieder getanzt, und zwar nicht nur outdoor wie in Deutschland, sondern auch in den Clubs. Der Zugang ist dabei beschränkt auf Geimpfte, Genesene oder Getestete, die ein gültiges Zertifikat vor- und sich ausweisen können. Nachdem das erste Wochenende von Unsicherheit geprägt war, entwickelt sich die Umsetzung des Covid-Zertifikats inzwischen durchaus erfreulich. Eine wichtige Rolle haben dabei, zumindest zu Beginn, die zusätzlichen Testmöglichkeiten gespielt, die im Umfeld der Clubs aufgebaut wurden. Dabei handelt es sich um rund 5000 zusätzliche Testkapazitäten, die innert kurzer Zeit in Zusammenarbeit mit Apotheken und privaten Anbietern geschaffen wurden.
Es kommt zu weniger Diskussionen am Eingang.
Doch der Erfolg dieser Angebote und die Schlangen vor den Nightlife-Testzentren täuschen darüber hinweg, dass es sich bei den Zürcher Partygänger*innen eigentlich nicht um Impfmuffel handelt. Nur eine Minderheit lässt sich vor dem Clubbesuch testen. Dies widerspiegelt sich auch in der Impfquote des Kantons Zürichs, die ausweist, dass knapp über 70 Prozent der 20- bis 40-Jährigen in der Stadt schon mindestens einmal geimpft sind. Interessant ist zudem zu beobachten, dass das Covid-Zertifikat von den Gästen viel besser akzeptiert wird als die Erfassung der Kontaktdaten, wie es im letzten Sommer Pflicht war. Es kommt zu weniger Grundsatzdiskussionen am Eingang. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass bei der Prüfung des Zertifikats keine Daten gespeichert werden. Und als deeskalierend stellen sich natürlich auch die kostenlosen Tests heraus, an die jemand mit einem fehlenden oder ungültigen Zertifikat verwiesen werden kann.
Natürlich kann man hier nicht von der ganzen Partyszene sprechen. Schätzungsweise rund 20 Prozent der potenziellen Gäste – unabhängig davon, ob sie geimpft sind –, sind grundsätzlich nicht bereit, ein Zertifikat für Veranstaltungen zu nutzen, widerspricht dieses doch auch in einem gewissen Sinn der sonst in der Nacht gelebten Kultur der Offenheit. Normalerweise betritt man als erwachsener Mensch einen Club ja, ohne dass man seinen Personalausweis zeigen muss. Aktuell finden gerade mal 40 Prozent der sonst üblichen Veranstaltungen statt. Gerade im Sommer spielen kleine private oder illegale Feiern im Freien eine wichtige Rolle, deren Anzahl pandemiebedingt zugenommen hat.
Immer wieder Ansteckungsverdachtsfälle in Zusammenhang mit einem Clubbesuch.
Die Delta-Variante des Virus führt nun zu einer neuen Dynamik in der Pandemie. Diese ist deutlich ansteckender, die Übertragung mittels Aerosolen spielt eine viel wichtigere Rolle und das Virus wird auch eher von geimpften auf ungeimpfte Menschen übertragen. Es überrascht also nicht, dass es gemäss dem Contact Tracing Team im Kanton Zürich – trotz Zertifikatszutrittsbeschränkung – immer wieder Ansteckungsverdachtsfälle in Zusammenhang mit einem Clubbesuch gab. Hier spricht man im Kanton Zürich von zwei bis drei Ereignissen mit zehn bis fünfzehn potenziellen Ansteckungen pro Woche.
Die Delta-Variante beeinflusst das Tempo und den Fokus der Pandemiebekämpfung: dieser liegt nun primär auf der nationalen Impfquote, während flankierende Massnahmen wie das Testen immer weniger im Vordergrund der Strategie stehen. Der Bundesrat reagiert verständlicherweise so, denn er will die Impfquote möglichst rasch erhöhen. Einen solchen Effekt verspricht er sich auch davon, dass Tests bei symptomfreien Menschen ab dem 1. Oktober selbst bezahlt werden müssen. Diese Ansage kann durchaus als Dilemma für die Kultur der Nacht bezeichnet werden: Auf der einen Seite ist Verständnis dafür da, dass die Impfquote erhöht werden muss. Auf der anderen Seite bergen kostenpflichtige Tests die Gefahr, dass den Clubs nach den Zertifikatsverweigerer*innen weitere Gäste fehlen, die es aber braucht, um wirtschaftlich zu arbeiten. Und dazu gilt es anzumerken, dass – Stand jetzt – unklar ist, ob ein Betrieb in einem solchen Fall die nötige finanzielle Unterstützung erhält.
Die Angst vor einem Online-Shitstorm hält viele davon ab, sich proaktiv zu äussern.
Nun kann man sich natürlich fragen, wieso – obwohl das Verständnis für das Impfen vorhanden ist – nicht schon mehr Gestalter*innen des Nachtlebens ohne bundesrätlichen Druck zum Impfen aufgerufen haben. Dabei muss man sich bewusst sein, dass das Nachtleben nichts anderes als ein Abbild der Schweizer Bevölkerung ist: Auch hier gibt es impfkritische Menschen. Kommt hinzu, dass das Nachtleben für die Gäste eine Art Traumwelt ist, in die man abtaucht, um beispielsweise seine Alltagssorgen zu vergessen. Wie kommt es nun an, wenn die Gäste auch beim Abschalten an die Pandemie und das Impfen erinnert werden? Doch viel mehr als die Furcht davor, Gäste oder Follower zu verlieren, hält wohl die Angst vor einem Online-Shitstorm viele davon ab, sich proaktiv dazu zu äussern. Und wer will das jemandem schon vorwerfen, wenn man sieht, dass die Diskussion rund ums Thema Impfen immer militanter wird: Eine Regierungsrätin wird mit Apfelschorle überschüttet, Betriebe, die sich zum Impfen bekennen, werden mit Boykottaufrufen konfrontiert. Ja, auch Unternehmen sollen während der Pandemie Verantwortung übernehmen, doch sie dürfen dabei vom Bund nicht nur als reine Multiplikatoren wahrgenommen werden.
Die Diskussion um die Tests zeigt zudem, dass der Bund keinen wirklichen Plan B hat, ausser zu versuchen, durch die Abschaffung der kostenlosen Tests den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen. Damit nimmt er allerdings auch das Risiko in Kauf, dass das soziokulturelle Leben – vor allem im ländlichen Raum mit einer tiefen Impfquote – zum Erliegen kommt und das Covid-Zertifikat an Akzeptanz verliert. Doch die Diskussion rund um das Thema Impfen muss wegkommen von dieser emotional geladenen Stimmung. Natürlich, es ist ein persönlicher Entscheid, doch die Gründe, sich für ein Ja zu entscheiden, überwiegen gegenüber den bisher bekannten Nebenwirkungen. Ja, die meisten frisch Geimpften liegen mit Fieber, Schüttelfrost, Kopfweh oder anderen leichten Nebenwirkungen für ein paar Stunden flach. Doch was ist das schon gegenüber einem drohenden bleibenden Geschmacksverlust oder der Gefahr, an Long-Covid zu erkranken?
Aus der Sicht des Nachtlebens geht es beim Impfen auch um die Liebe zur Zürcher Nacht.
Dass wir in der Schweiz darüber diskutieren, ob es in Zukunft bald keine kostenlosen Tests mehr geben soll, ist ein absolutes Privileg, wie es auch ein Privileg ist, dass unser Gesundheitssystem nicht wie in Italien, England oder Spanien zusammengespart worden ist und wir somit auch mehr Covid-Fälle medizinisch behandeln können. Impfen ist ein Privileg in einer globalen Epidemie und ermöglicht uns in der Schweiz gelebte Solidarität mit unseren Mitmenschen. Und aus der Sicht des Nachtlebens geht es beim Impfen auch um die Liebe zur Zürcher Nacht. Denn nur über eine hohe Impfquote können wir in absehbarer Zeit wieder so offen feiern, wie es sich eigentlich gehört und wie wir alle es wollen.
Doch das Hauptargument ist und bleibt: Impfen rettet Leben.
Oder etwas anderes formuliert: Nur wenn sich genügend Menschen impfen lassen, brauchen wir kein Zertifikat mehr, um zu tanzen, müssen wir uns keine Stäbchen in die Nase stecken lassen, nicht mehr auf Freund*innen warten, die noch vor dem Testzelt anstehen, und es wird verhindert, dass wir wieder unsere Kontaktdaten angeben müssen oder es gar zu Clubschliessungen kommt. Doch das Hauptargument ist und bleibt: Impfen rettet Leben, und allen Nachtschwärmer*innen, die sich aus pharmakologischen Gründen Sorgen machen wegen des Impfstoffs, sei mit auf den Weg gegeben, dass es wohl wahrscheinlicher ist, aufgrund von berauschenden Substanzen unfruchtbar zu werden als durch eine Covid-Impfung.