Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Das Zürcher Nachtleben hat den Virus

Zürich gleicht in der Nacht einer Geisterstadt – alle bleiben zu Hause. Dies ist auch richtig so, wenn wir den Anstieg der Ansteckungen und Todesopfer verhindern wollen. Doch die Corona-Schutzmassnahmen haben das Nachtleben früh und heftig getroffen. Wie dramatisch die Lage für die Zürcher Bars und Clubs ist, schildert unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli.

Das Durchführen von kulturellen Veranstaltungen im Kanton Zürich ist seit dem 29. Februar nur noch beschränkt und seit dem 13. März gar nicht mehr möglich. Das Nachtleben ist somit einer der am frühesten und heftigsten von den durch den Bund ergriffenen Corona-Schutzmassnahmen betroffenen Wirtschaftszweige in der Schweiz. Ein Club oder eine Bar lässt sich nicht in einen Takeaway oder ein Homeoffice umwandeln. Die betroffenen Betriebe nehmen seit Mitte März keinen Rappen mehr ein.

Was das bedeutet, zeigen alleine die Zahlen aus der Stadt Zürich: Die rund 160 Nachtkulturunternehmen, Clubs und Bars wiesen 2018 einen Umsatz von rund 250 Millionen Franken auf. Sie führten rund 10’000 kulturelle Veranstaltungen durch, für die 20’000 Mal Künstler*innen gebucht worden sind. Das Zürcher Nachtleben bietet 3000 Personen einen Arbeitsplatz. Der Anteil der Stundenlöhner ist dabei überdurchschnittlich hoch. Gerade für Studierende stellt der Job an der Bar nicht selten die einzige Möglichkeit dar, ihre Ausbildung zu finanzieren.

Viele lokale Betriebe sind vom Nachtleben abhängig.

Neben den direkt Angestellten gibt es eine Vielzahl von kleinen KMU und Selbstständigen, die von den Aufträgen der Bars und Clubs abhängig sind. Eine Erhebung der Bar & Club Kommission zeigt, dass jedes Mitglied durchschnittlich mit acht lokalen Partnern zusammenarbeitet. Dabei handelt es sich um Getränkelieferanten, Sicherheitsunternehmen und/oder Putzinstitute – also für die wirtschaftliche Diversität der Stadt Zürich wichtige lokal verankerte KMU.

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Rund 3000 Menschen arbeiten in den Bars und Clubs.

Die aktuelle Krise trifft das Nachtleben deshalb hart, weil sich ein Lockdown nicht im Vorfeld antizipieren lässt. Eine Versicherungsdeckung ist im Pandemiefall ein Glücksfall. Zudem trifft der Lockdown die Nachtkulturunternehmen in einer Zeit, in der sie generell mit einer immer kleiner werdenden Marge zu kämpfen haben. Sowohl die Aufwände für die Sicherheit, zum Beispiel durch die kantonale Reglementierung privater Sicherheitsdienstleistungen, als auch die Kosten für Miete und für den künstlerischen Inhalt, zum Beispiel Gagen und Produktionsaufwand, sind in den letzten Jahren stark gestiegen.

Doch die Eintrittspreise sind in den letzten 15 Jahren gleich geblieben. Die Gäste geben gemäss einer Erhebung der Bar & Club Kommission immer weniger Geld aus. Der Pro-Kopf-Umsatz sank zwischen 2014 und 2018 um 20 Prozent. Somit handelt es sich bei den meisten Bars und Clubs um überlebensfähige, aber nicht rentable Betriebe. Trotz dieser erschwerten Umstände erhalten nur wenige von ihnen Subventionen für ihr kulturelles Angebot.

Das COVID-19-Massnahmenpaket des Bundes ist beeindruckend und beinhaltet sehr viel positive Aspekte. Dazu zählt, dass Gesellschafter*innen, Besitzer*innen und deren Familienangehörige, die in einem Anstellungsverhältnis zum Betrieb stehen, Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Aber auch, dass ein Taggeld für Freischaffende geschaffen worden ist und das Unterstützungspaket für den Kulturbereich vorsieht, Betriebsausfälle zu entschädigen. Kritisch ist jedoch, dass bei der Unterstützung für den Kulturbereich immer noch zwischen Profit- und Nonprofit-Kulturunternehmen unterschieden wird. Stand jetzt ist, dass subventionierte Kulturunternehmen Geld aus der Kulturförderung des Bundes und des Kantons erhalten, andere Kulturorte mit dem genau gleichen Inhalt, nur weil sie als gewinnorientiert gelten, nicht. Für sie bleibt nur der Weg, einen Kredit aufzunehmen. Sie müssen sich also verschulden, um liquid zu bleiben. Dies ist auch deshalb irritierend, da sowohl nonprofit- als auch profitorientierte Nachtkulturorte auf dem gleichen Markt und mit denselben Kosten tätig sind.

Hohe Fixkosten waren schon vor Corona ein Problem.

Es ist deshalb zu befürchten, dass ohne weitere gezielte Unterstützung viele Bars und Clubs vor dem Konkurs stehen. Ein solcher kultureller Kahlschlag hätte negative Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft im Kanton. Gerade die grossen Unternehmen im Kanton Zürich befinden sich in einem internationalen Wettbewerb bezüglich der Akquise von Fachkräften. Diese können jeweils auswählen, ob sie nun ein Jobangebot aus Zürich, Berlin oder Paris annehmen. Die Realität zeigt, dass das Nachtleben in Bezug auf die Attraktivität urbaner Zentren eine wichtige Rolle spielt. Die Zürcher Clubs und Bars schaffen somit wie die Universität oder die ETH für die im Kanton angesiedelten Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil.

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Der Kanton und die Stadt müssen jetzt unterstützen.

Deshalb braucht die Nachtkultur jetzt vom Kanton und der Stadt weiteren Support. So sollten von den Entschädigungsmöglichkeiten für Veranstaltungen primär Kulturunternehmen profitieren, da diese am ehesten Gefahr laufen, Konkurs zu gehen. Zusätzlich wird eine Soforthilfe nötig sein, welche à fonds perdu ausbezahlt wird. Eine Unterstützung also, wie sie zum Beispiel in Basel, Baselland, Berlin und Wien für KMU und Kleinstunternehmen vorgesehen ist. Ein weiteres Element ist, dass der Kanton und die Stadt Gastronomieunternehmen die Mieten reduzieren. Es ist zu hoffen, dass diesem guten Beispiel auch private Vermieter folgen werden. Und um auch für die Zukunft bereit zu sein, sollte jetzt zudem ein Nachtkulturfonds lanciert werden.

Das Zürcher Nachtleben hofft nun auf mehr Rückhalt und Entscheidungsfreudigkeit bei den Politiker*innen, als es zu Beginn der Krise auf der Ebene des Kantons der Fall war. Denn es kann eigentlich nicht sein, dass die Politik den Entscheid, ob man Veranstaltungen bis 1000 Personen durchführen soll oder nicht, auf die Ebene der Veranstalter*innen delegiert. Doch auch diejenigen, welchen das Nachtleben als Gast am Herzen liegt, können ihren Lieblingsclub unterstützen, indem sie Vouchers kaufen oder sich an deren Crowdfunding-Aktionen beteiligen. Gemeinsam kommen wir durch die Krise, gemeinsam werden wir nach ihr tanzen.

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