Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Zweiter Lockdown für das Nachtleben – was nun?

Das Zürcher Nachtleben zeigt grosses Verständnis dafür, dass der Bund aufgrund der steigenden Covid-19-Ansteckungszahlen reagieren musste. Doch das bundesrätliche Verbot von Tanzveranstaltungen, die Schliessung der Clubs und die ausgerufene Sperrstunde stürzen die Betreiber*innen in eine existenzielle Krise. Unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli weiss, wie es weitergehen könnte.

Nachdem Anfang Juni die Clubs wieder öffnen konnten, herrschte in der Öffentlichkeit und in den Medien eine gewisse Skepsis. Man wartete förmlich auf den ersten Schweizer Superspreader-Event. Dieser war schnell «gefunden», als Anfang August im Flamingo Club die ersten Covid-19-Fälle auftraten. Ob fünf positiv getestete Personen bereits für einen Superspreader-Event reichen, wurde dabei nie hinterfragt. Zudem war nie klar, ob die untereinander befreundeten Gäste sich tatsächlich im Flamingo Club oder anderswo angesteckt haben.

Doch die ganze Diskussion zeigte, dass sobald die Covid-19-Ansteckungszahlen wieder zunehmen, die ersten Massnahmen das Nachtleben betreffen werden. Wenig überraschend verschärfte der Kanton Zürich im August das Reglement für die Erhebung der Kontaktdaten, wenige Wochen später wurde dann die Personenanzahl auf 100 Personen pro Innenraum limitiert. Im September folgte die Maskentragpflicht, kurz darauf reagierte der Bund mit einer allgemeinen Sitzpflicht in der Gastronomie. Ende Oktober verordnete er ein Verbot von Tanzveranstaltungen und eine Schliessung der Clubs schweizweit.

Das Kulturleben steht still.

So hart dieser Entscheid die Nachtkulturbranche trifft, so wichtig war es, dass der Bund für Klarheit sorgte. Denn die Balance zwischen Covid-19-Schutzmassnahmen und der Wirtschaftlichkeit war schon seit der Einführung der Konsumations-Sitzpflicht nicht mehr gegeben. Durch die vom Bund verordnete Schliessung liegt nun ein Härtefall vor. Diesen braucht es, damit Versicherungen allenfalls für einen Schaden aufkommen und um über finanzielle Unterstützung auf der politischen Ebene zu verhandeln. Leider ist es so, dass eine freiwillige Schliessung in unserem Rechtssystem automatisch zu einer Schwächung der Verhandlungsposition führt. Den Clubs blieb bis zum Bundesratsentscheid somit nichts anderes übrig, als weiterzumachen. Dabei hätten die meisten Betreiber*innen aufgrund der steigenden Ansteckungszahlen die Türen wohl am liebsten schon früher geschlossen.

image

Die Betreiber*innen mussten die Clubs offen lassen.

Clubs sind somit die ersten Unternehmen, welche in der Schweiz von einem zweiten Lockdown betroffen sind. Die Limitation der Personenanzahl auf neu 50 Personen wird aber auch zu einem generellen kulturellen Stillstand führen. Durch die Polizeistunde vergrössert sich der Kreis der Gastronomiebetriebe, deren Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist. Die Umsatzeinbussen betragen in der Stadt Zürich zwischen 50 und 70 Prozent.

Der neue Lockdown betrifft die umsatzstärksten Monate des Jahres.

Betroffen sind Unternehmen, deren Wirtschaftlichkeit infolge von Covid-19-Schutzmassnahmen seit sieben Monaten eingeschränkt ist. Nur für rund 40 Prozent der Nachtkulturunternehmen herrschte zwischen Juli und September ein regulärer Betrieb. Mehr als die Hälfte von ihnen nahm nichts oder viel weniger als sonst ein. Das bringt jedes noch so gesunde Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten. Die Reserven neigen sich dem Ende zu, die Covid-19-Kredite sind aufgebraucht. Besonders bitter ist, dass der erneute Lockdown die Monate November und wohl auch Dezember betrifft – und damit die zwei umsatzstärksten Monate des Jahres. Damit es nun nicht zu einem kulturellen Kahlschlag in der Stadt Zürich kommt und Tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen, braucht es konkrete Zusagen, wie der Bund, der Kanton, aber auch die Stadt Zürich das Nachtleben in dieser schwierigen Situation unterstützen. Erste wichtige Schritte in die richtige Richtung sind neben dem Covid-19-Härtefall die Weiterführung der Kurzarbeit und des Erwerbsersatzes für Selbstständige und Arbeitnehmende in arbeitgeberähnlichen Positionen, wie sie der Bund nun beschlossen hat.

Weiterhin dringend nötig ist eine nationale Regelung bei den Geschäftsmieten. Nur knapp die Hälfte der Nachtkulturunternehmen im Kanton Zürich konnte mit dem Vermieter eine einvernehmliche Lösung erzielen, und dies auch nur für die Phase des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Eine nationale Covid-19-Geschäftsmietlösung muss die ganze Phase, in der die Wirtschaftlichkeit infolge von Schutzmassnahmen eingeschränkt ist, antizipieren. Doch das Thema ist umstritten. Eine nationale Lösung müsste wohl als «Wunder von Bern» bezeichnet werden.

Bis jetzt hält sich die Stadt Zürich zurück.

Da bei den Geschäftsmieten nicht mit einer Lösung gerechnet werden kann, nimmt die Entschädigung für Kulturunternehmen eine immer wichtigere Rolle ein, wenn es um die Liquiditätssicherung der Zürcher Clubs und Musik-Bars geht. Damit die Entschädigungszahlungen ausreichen, muss das dafür vorgesehene Budget erhöht werden. Nur so können auch im Kanton Zürich die vom Bund empfohlenen 80 Prozent des Schadens – und nicht nur 50 Prozent wie bisher – ausbezahlt und die nötige Breite der potenziell Entschädigungsberechtigten beibehalten werden. Da auch dann nur ein Teil der betroffenen Nachtkulturunternehmen entschädigungsberechtigt ist, braucht es eine Härtefall-Lösung. Eine solche sieht das Covid-19-Gesetz für Unternehmen vor. Nun braucht es eine sofortige Umsetzung – Härtefall-Hilfe im Februar ist für viele Unternehmen schlicht und einfach zu spät! Die Hoffnung besteht weiterhin, dass auch die Stadt Zürich, die sich bis jetzt mit finanzieller Unterstützung zurückgehalten hat, in Not geratene Nachtkulturunternehmen subsidiär unterstützt.

image

Die vom Bund verordneten Massnahmen gelten erst mal bis auf Weiteres. Die Dynamik des Virus verunmöglicht es, ein Enddatum zu nennen. Umso wichtiger ist nun, dass es neben der wirtschaftlichen Unterstützung auch eine Zusammenarbeit mit den Behörden und der Forschung gibt, denn nur so erhalten die Nachtkulturunternehmen eine für sie so wichtige Perspektive. Es braucht eine rollende Planung, um zu verhindern, dass die Türen der Bars und Clubs, solange Covid-19 unseren Alltag prägt, nicht immer wieder auf und zu gehen. Denn schon der zweite Lockdown ist schwieriger zu antizipieren. Lieber den Exit gut vorbereiten als überstürzt zu öffnen und somit einen dritten Lockdown zu provozieren.

Doch nicht nur die Politik ist gefordert, sondern auch jene, denen das Nachtleben am Herzen liegt. Gemeinsam heisst es nun, die Swiss-Covid App zu nutzen, die Hygieneregeln zu befolgen und auch auf private Feiern zu verzichten. Der Frühling hat gezeigt, dass wir dies gemeinsam können – genau dieselbe Anstrengung braucht es nun, um die Lage in den Griff zu bekommen und damit wir uns möglichst bald wieder den Emotionen der Nacht hingeben können!