Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Muss Zürich mediterraner werden?

Wer nach Mitternacht in Zürich draussen etwas trinken will, muss sich sein Getränk selbst besorgen. Politiker wollen das jetzt ändern. Sie werden von unserem Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli unterstützt. Er fordert mehr «mediterrane Nächte für Zürich».

Wer erinnert sich noch an die Zeiten, als es in Zürich nur ganz wenige Aussenwirtschaften gab? Heute bietet die Stadt ein ganz anderes, schon fast mediterranes Bild: Eine Vielzahl an Terrassen und Boulevardcafés, aber auch Take-aways und 24-Stunden-Shops prägen die Innenstadt. Draussen trinken und essen gehört mittlerweile zum urbanen Lifestyle, den die Zürcherinnen und Zürcher nicht nur in den Ferien pflegen möchten. Doch in Zürich haben alle Pech, die nach Mitternacht ein serviertes Getränk geniessen möchten. Denn ein Boulevardcafé darf in der Stadt Zürich nur bis längstens um 24 Uhr Gäste bewirten, Terrassen bis maximal 23 Uhr.

Doch in Zürich haben alle Pech, die nach Mitternacht ein serviertes Getränk geniessen möchten.

Auch die in einer Bar oder einem Restaurant erworbenen Getränke dürfen Kunden nach Terrassen-Betriebsschluss nicht mehr draussen trinken. Wird es trotzdem gemacht, kann der Patentinhaber wegen unerlaubten Bewirtens gebüsst werden. Bizarr dabei ist, dass die im 24-Stunden-Shop gekauften Getränke aber ohne Probleme sogar direkt vor dem Club oder der Bar konsumiert werden dürfen. Denn das Trinken auf der Strasse ist schliesslich nicht verboten.

Dass die Leute gerne draussen ihr Bier geniessen, liegt wohl nicht nur an schönen Urlaubserinnerungen. Sondern daran, dass sie immer länger wach bleiben. Eine Studie aus dem Jahr 2011 zeigt, dass sowohl an Werk- als auch an freien Tagen Herr und Frau Schweizer durchschnittlich 47 Minuten später ins Bett gehen als 1983. Die durchschnittliche Bettzeit liegt am Wochenende bei 23 Uhr. Es ist davon auszugehen, dass sich diese seit 2011 weiter nach hinten verschoben hat und in städtischen Gebieten, im Vergleich zum gesamtschweizerischen Durchschnitt, noch später liegt.

Im Vergleich zu anderen Schweizer Städten hat sich in Zürich bei den Aussenwirtschaften nur sehr wenig getan.

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Foto: Wyron A.

Dass sich die Lebensumstände verändert haben, merkt man auch deutlich an den Öffnungszeiten der Ladengeschäfte. Sie orientierten sich bereits an den veränderten Kundenbedürfnissen. Im Vergleich zu anderen Schweizer Städten hat sich in Zürich bei den Aussenwirtschaften nur sehr wenig getan. Die Stadt Basel kennt zum Beispiel schon lange Öffnungszeiten bis 1 Uhr im Sommer, in Winterthur gibt es einen Pilotversuch bis 4 Uhr. In Bern wird an der Aarbergergasse die Bewirtung bis 2 Uhr in der Früh getestet. Es besteht somit gar die Gefahr, dass die Stadt nach der Liberalisierung des Gastgewerbegesetzes Ende der 90er-Jahre den Anschluss als innovativer Gastronomie-Standort verliert.

Nun scheint endlich auch in Zürich Bewegung in die Angelegenheit zu kommen. Initiiert durch die Bar & Club Kommission und die gemeinderätliche Gruppe Food, Bar, Club und Musikkultur reichten Nicole Giger (SP, Stadt Zürich) und Andri Silberschmidt (FDP, Stadt Zürich) das Postulat «Mediterrane Wochen» für Zürich ein. Dieses fordert im Rahmen eines zweijährigen Piloten, die Öffnungszeiten für Aussenwirtschaften von Juni bis August um zwei Stunden zu verlängern.

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Anwohnerinnen und Anwohner sensibler Gebiete lassen jetzt schon ihrer Empörung freien Lauf, schlaflose Nächte werden befürchtet. Dabei scheinen sie zu vergessen, dass verlängerte Bewirtungszeiten an der Realität ansetzen – denn die Menschen sind sowieso schon im öffentlichen Raum präsent. Und die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die sitzen, leiser sind als solche, die stehen. Ausserdem führt die soziale Kontrolle durch das Personal zu einer Entlastung der Nachbarschaft.

Zürich befindet sich zwar der nördlich der Alpen. Doch das Postulat «Mediterrane Wochen» ist für Zürich die einzig richtige Reaktion auf die veränderten Lebensgewohnheiten. Und eine Voraussetzung, dass Zürich ein innovativer Gastronomiestandort bleibt. Denn dass längere Bewirtungszeiten einem gesellschaftlichen Bedürfnis entsprächen, können alle bestätigen, die sich schon einmal im Sommer durch die Nacht bewegten.

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