Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne
Wer profitiert von den Riesen-Partys?
Pride, Street Parade und Züri Fäscht: Diesen Sommer fanden in Zürich gleich drei Mega-Anlässe statt. Es überrascht also nicht, dass in den Medien häufiger über eine «Über-Eventisierung» gesprochen wird. Unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli setzt sich deshalb sehr persönlich mit der Frage auseinander, was für die Stadt Zürich – ausser Müll – zurückbleibt.
Der Event-Marathon wurde im Juni mit der Zürcher Pride eröffnet, dann folgte das Züri Fäscht und schliesslich die Street Parade. Was von diesen grossen Anlässen übrig bleibt? Gerne möchte ich diese Frage mit einem persönlichen Resümee beantworten.
Den Wechsel des Pride Festivals auf den Sechseläutenplatz sehe ich sowohl für den Anlass als auch für die Stadt als Gewinn. Das Opernhaus in Regenbogenfarben war ein starkes Statement für Toleranz in unserer Stadt. Die auf den ersten Blick etwas gewagt daherkommende Mischung aus musikalischer Avantgarde – den Pussy Riot – und Mainstream ging auf: «She Got Me» von Luca Hänni funktioniert auch live hervorragend.
Die gewagte Mischung aus musikalischer Avantgarde und Mainstream ging auf.
Das Züri Fäscht dagegen vereinte alles, was zu einem gelungenen Outdoor-Musikanlass gehört: Vor der Bühne tanzten Partygänger bis tief in die Nacht hinein, etwas entfernter hielten sich die befreundeten Familien auf. Besonders in Erinnerung bleibt mir auch der Sonntag des Züri Fäscht – etwas weniger gut besucht, persönlicher und gespickt mit musikalischen Leckerbissen. Darunter Kalabreses Rumpelorchester auf dem Friedas Büxe Floor oder Adriatique in der grauen Gasse. Beide Auftritte bescherten mir Gänsehaut.
Bei der Street Parade denke ich an die Camper beim Mythenquai, die dank ihrem Stammplatz schon Freundschaften mit Leuten aus aller Welt geknüpft haben. Auch die Liste der auftretenden Acts kann sich mit jenen von internationalen Festivals messen. Wie vielen Zürchern ist es schon bewusst, dass beispielsweise Amelie Lens aktuell eine der weltweit angesagtesten Künstlerinnen im Bereich der elektronischen Musik ist? Natürlich gehört zur Street Parade die obligatorische Lethargy in der Roten Fabrik. Diese hat sich in diesem Jahr sowohl optisch als auch akustisch gelohnt. Interessant, wie sich das Festival musikalisch weiterentwickelt hat.
Wenn ich an den Sommer zurückdenke, dann möchte ich es laut in die Welt hinausschreien, wie einzigartig Zürich doch ist. Natürlich ist diese Begeisterung subjektiv. Doch ich bin sicher, dass den meisten der 176’000 Zürcherinnen und Zürchern, die zwischen 15 und 40 Jahre alt sind – also 30 Prozent der Wohnbevölkerung –, der Sommer gleich positiv in Erinnerung bleibt.
Es gibt jedoch auch objektive Faktoren, um die Wichtigkeit eines Züri Fäscht, einer Street Parade oder eines Pride Festival für die Stadt Zürich zu belegen. Passend zur Bankenstadt beginnen wir mit dem Geld: Eine im Jahr 2003(!) erarbeitete Studie der Hochschule für Wirtschaft und Verwaltung Zürich errechnete die Wertschöpfung der Street Parade bei 140 Millionen Franken bei rund einer Million Teilnehmenden. Verwenden wir nun bei rund 3,5 Millionen Besuchenden den gleichen Faktor wie 2003 – also 140 Franken pro Person – dann ergibt sich ein Betrag von knapp einer halben Milliarde Franken, welche während der Pride, des Züri Fäscht und der Street Parade in Zürich ausgegeben worden sind.
Gerade für die Gastronomie und Hotellerie sind solche Anlässe im Sommer Gold wert.
Nicht vergessen sollten wir auch das Bild von Zürich, das in die ganze Welt ausstrahlt. Allein die Street Parade erreichte durch die diesjährige Partnerschaft mit Arte Concert geschätzte 80(!) Millionen Zuhörer und Zuschauerinnen weltweit. Doch bereits vor der Zeit des Livestreamings und der Influencer blieben die Bilder des Feuerwerks am Züri Fäscht sowie der tanzenden und farbigen Masse auf der Quaibrücke in der Erinnerung von Millionen von Menschen.
Die Stadt zeigt sich mit diesen Grossanlässen lebendig, farbig, weltoffen und damit attraktiv für junge Menschen. Das schlägt sich bei den beliebten Städte-Rankings nieder, wo Zürich zum Beispiel bei dem für Expats wichtigen Monocle Ranking auf Platz 1 steht. Trotz alledem scheint Zürich Mühe mit dem Erfolg dieser Veranstaltungen zu haben. So wurde dem Züri Fäscht dieses Jahr quasi ein Werbeverbot auferlegt.
Die Stadt zeigt sich mit diesen Grossanlässen lebendig, farbig, weltoffen und damit attraktiv für junge Menschen.
Natürlich ist man als Anwohnerin und Anwohner dem Lärm, Müll und dem Verkehrschaos ausgesetzt. Doch im hauptsächlich betroffenen Kreis 1 wohnen gerade mal 1,4 Prozent der städtischen Wohnbevölkerung. Es ergibt also aufgrund der Bevölkerungsdichte Sinn, Anlässe in dieser Grössenordnung in der Innenstadt und nicht in Altstetten oder Zürich-Nord durchzuführen.
Neben diesen Fakten möchte ich denjenigen Stimmen, die von einer Über-Eventisierung der Stadt sprechen, ausserdem entgegenhalten, dass diese Anlässe sieben von 365 Tagen beanspruchen, die Stadtreinigung so gut funktioniert, dass jeweils schon am Morgen danach wieder alles picobello aussieht und dass es sich hier um kostenlose Events, die somit allen offenstehen, handelt. Also, liebe Zürcherinnen und Zürcher, lasst uns doch stolz darauf sein, dass wir solche einzigartigen Events beherbergen dürfen.