Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Street Parade oder das Wunder von Zürich

Die Street Parade ist der grösste Event der Welt für elektronische Musik – und findet am 10. August zum 28. Mal statt. Unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli wühlte in der Geschichte des Mega-Anlasses.

Am 5. September 1992 organisierte der Student Marek Krynski die erste Street Parade – damals noch als politische Demonstration für Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit. Inspiriert wurde Marek dabei von der Love Parade in Berlin – der Mutter aller Techno-Paraden. Die Route der ersten Street Parade verlief nicht wie heute dem See entlang, sondern führte über die Bahnhofstrasse.

Zu den rund 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die teilweise schrill und bunt gekleidet waren – einige hatten gar den Staubsauger dabei – gesellten sich auch Passantinnen und Passanten. Wie in Berlin entwickelte sich die Street Parade schnell vom Szenen- zum Grossevent. Doch zwei Jahre nach der Premiere erteilte der damalige Polizeivorstand Robert Neukomm der Street Parade keine Bewilligung mehr. Die Begründung? Die Street Parade sei zu gross, zu laut und verschmutze nur die Strassen.

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Fotos: Verein Street Parade Zürich

Die Polizei sprach nun plötzlich von der grössten und friedlichsten Demonstration, die Zürich je erlebt hatte.

Doch der Polizeivorsteher rechnete nicht mit dem Sturm der Entrüstung, den das Verbot auslöste – in den Medien und in der Bevölkerung. Vor dem Rathaus fanden Pro-Street-Parade-Demonstrationen statt und Unterschriften wurden gesammelt. Der gesellschaftliche Druck führte dazu, dass die Stadtregierung ihr Verbot aufhob. Sie machte allerdings neue Auflagen zur Durchführung sowie betreffend Lärmemissionen, Abfall und Sicherheit. Die Route der Parade wurde verlegt und führte nun dem Seebecken entlang.

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Vermutlich begünstigten das drohende Verbot und der parteiübergreifende Einsatz gar die Street Parade, dieses «Wunder von Zürich». Denn bereits 1994 waren 30’000 Personen dabei. Ein Jahr später waren es schon 120’000 Raverinnen und Raver. Die Polizei sprach nun plötzlich von der grössten und friedlichsten Demonstration, die Zürich je erlebt hatte.

2001 – die Parade wurde zum 10. Mal durchgeführt – tanzten erstmals über eine Million Menschen mit. Im Anschluss an den Umzug fand eine offizielle Birthday-Party auf dem Bürkliplatz und am Bellevue statt. Dies war der Anfang einer logischen Weiterentwicklung der Street Parade. Seither gehören zur Street Parade neben dem klassischen Umzug mit den Love Mobiles auch verschiedene Bühnen, auf denen DJs bis Mitternacht Musik spielen.

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Diese Entwicklung gefiel aber nicht allen Beteiligten. Besonders die Betreiberinnen und Betreiber der Zürcher Clubs und der verschiedenen Grossevents, die um die Street Parade herum stattfanden, waren verärgert. Denn zuvor war klar, dass sich die Massen nach der Parade direkt dorthin bewegten. Jetzt hatten die Raverinnen und Raver plötzlich eine grössere Auswahl.

Zur gleichen Zeit sorgte auch die musikalische Ausrichtung für Unmut – Mainstream statt aktuelle elektronische Musik.Die Zürcher Szene wendete sich deshalb nach und nach von der Street Parade ab. Dem Erfolg der Street Parade konnte dies zunächst nichts anhaben. Doch in den späten Nullerjahren erschienen immer häufiger Berichte darüber, dass die Parade zu einem Massenbesäufnis mit illegalen Drogen verkam. 2007 – die Street Parade fand zum 16. Mal statt – standen nicht mehr die 800’000 Teilnehmenden und 200 internationalen DJs in den Schlagzeilen, sondern ein Tötungsdelikt.

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Damit sich die Auswüchse nicht wiederholen würden, forderte die Stadt Zürich 2008 von den Organisatoren eine Reihe von Massnahmen. Um die Innenstadt zu beruhigen, wurde zudem den dortigen Gastwirtschaften keine Sonderbewilligung mehr für zusätzliche Bartheken auf öffentlichem Grund erteilt. Des Weiteren wurden im Freien keine Lautsprecheranlagen mehr geduldet und die Freinacht galt nur im Innern der Lokale.

Durch diese Massnahmen ging auch etwas vom typischen Paraden-Charakter verloren, handelte es sich zuvor doch um einen für Zürich absolut untypischen, aber durchaus reizvollen Ausnahmezustand, der die ganze Stadt vereinnahmte. Die Parade verlor auch ihren Status als politische Demonstration. Dadurch war der Verein stärker in der Verantwortung und musste zukünftig auch für die entstehenden Sicherheits- und Reinigungskosten aufkommen.

Für die Weiterentwicklung wäre es zu wünschen, dass die Parade finanziell entlastet wird und sich die Stadt wieder an den Kosten beteiligt.

Heute wird dem Verein als Bewilligungsinhaber jedes von der Stadt aufgestellte Gitter in Rechnung gestellt. Es überrascht also nicht, dass – obwohl die DJs immer noch ohne Gage auftreten – das heutige Budget mehrere Millionen Schweizer Franken beträgt. Bei schlechtem Wetter droht jeweils ein grosses Defizit. Doch gerade solche Herausforderungen führten dazu, dass sich die Parade von Jahr zu Jahr weiterentwickelte.

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Die Konzentration auf das Seebecken und der Ausbau der Musikbühnen sorgten zwar durchaus für Unmut in der Stadt. Die Diskussion über die Zukunft der Street Parade führte aber auch dazu, dass man sich innerhalb der Zürcher Szene wieder dem Wert des Anlasses bewusst wurde. Gerade in den letzten Jahren haben sich beide Seiten wieder angenähert. Dabei spielen Joel Meier – der im schwierigen Jahr 2008 Präsident des Vereins wurde – und Robin Brühlmann als Chef-Booker wichtige Rollen.

Gemeinsam hat man erkannt, wie wichtig die Parade ist: nicht nur als weltweit bekannter Anlass für elektronische Musik und internationale Referenz, sondern auch als Einnahmequelle. Heute sind an der Street Parade nicht nur wieder Zürcher Szenegängerinnen und -gänger anzutreffen – 2019 werden auch verschiedene Zürcher Clubs und Eventlabes mit einem Love Mobile präsent sein.

Die Basis ist also gelegt, damit das Wunder weitergeht. Für die Weiterentwicklung wäre es zu wünschen, dass die Parade finanziell entlastet wird und sich die Stadt wieder an den Kosten beteiligt. Nur so liesse sich verhindern, dass weitere VIP und Backstage Areas entstehen, zu denen nur Leute mit einem Ticket Zugang haben. Und nur so würde der Charakter der ursprünglich kostenlos und deshalb barrierefreien Street Parade erhalten bleiben.

Infos

Die 28. Street Parade findet am Samstag, 10. August 2019 von 13 Uhr bis Mitternacht statt. Weitere Infos zum Programm findest du hier.

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