Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne
Wieso Zürcher Nachtschwärmer*innen wählen gehen müssen
Plakatwände, Flyer, Zeitungswerbung und Facebook-Posts kündigen die National- und Ständeratswahlen vom 20. Oktober an. Unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli erklärt, weshalb diese Wahlen auch für die Zürcher Clubs und Konzertlocations von Bedeutung sind.
Auf den ersten Blick scheint Bundesbern weit weg vom Nachtleben in Zürich zu sein. Doch dieser Schein trügt. Denn die Herausforderungen, vor denen die Szene steht, werden auch von der nationalen Politik mitbestimmt. Dazu zähle ich neben Lärm auch das Tabakgesetz, die Drogenregulation und eine Anerkennung von Clubs, Konzertlocations und Festivals als Orte der Kultur.
Wir zählen auf die Unterstützung nachtaffiner Politiker*innen.
Besonders das Thema Lärm bietet sich an, um die Verzahnung der politischen Landschaft in Bern mit dem Zürcher Nachtleben zu erläutern. Auf der Grundlage des Art. 74 der Bundesverfassung definiert das Umweltschutzgesetz (USG) den Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen, ihrer Lebensgemeinschaften und Lebensräume gegen schädliche oder lästige Einwirkungen sowie den dauerhaften Erhalt von deren natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere der biologischen Vielfalt und der Fruchtbarkeit des Bodens. Zu den lästigen und schädlichen Einwirkungen zählt gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch Lärm.
Basierend auf dem Art. 74 begrenzt die nationale Lärmschutzverordnung (LSV) Aussenlärmemissionen, die beim Betrieb neuer und bestehender Anlagen erzeugt werden. Auf deren Grundlage werden auch Baubewilligungen für Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen, wie zum Beispiel Schlafzimmer, erteilt. Der Schutz der Gäste vor Schall- und Laseremissionen wird nochmals gesondert im Bundesgesetz über den Schutz vor Gefährdungen durch nichtionisierende Strahlung und Schall (NISSG) reguliert. Auf kantonaler Ebene kommen die Allgemeine Bauverordnung (ABV) und das Gastgewerbegesetz (GGG) zum Tragen. Und in der Stadt Zürich hängen die Bewilligungserteilung und der Umgang mit Lärmklagen zusätzlich von der Bau- und Zonenordnung (BZO) und der Allgemeinen Polizeiverordnung (APV) ab.
Wollen wir also Clubs und Bars besser vor Lärmklagen schützen können, so muss das Thema auf Bundesebene angegangen werden. Ziel ist dabei, dass sich die geltenden Gesetze an den veränderten Bedürfnissen der urbanen Bevölkerung orientieren. Dazu zählen nicht nur eine gewisse Toleranz für nächtlichen Lärm in Stadtzentren, sondern auch verlängerte Öffnungszeiten für die Aussengastronomie im Sommer, und zudem sollte – falls sich niemand daran stört – zukünftig auch in der Nacht draussen Musik gespielt werden dürfen.
Wenn es um die Anerkennung der Orte des Nachtlebens als Orte der Kultur geht, dann steht die aktuelle Diskussion um die nationale Kulturbotschaft 2021–2024 im Zentrum. Da sich auch die Kulturförderung der Stadt Zürich an dieser orientiert, wäre eine Integration von Clubs, Musikspielstätten und Festivals in die Kulturbotschaft 2021–2024 auch ein Meilenstein für das Zürcher Nachtleben. Die abschliessende Diskussion zur Kulturbotschaft findet voraussichtlich in diesem Winter im Parlament statt. Ganz nach dem Motto «Was bringt die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern, wenn es keine Auftrittsorte gibt?», zählen wir dabei auf die Unterstützung nachtaffiner Politiker*innen.
In Bezug auf das neue Tabakgesetz würde ich es begrüssen, wenn E-Zigaretten und andere Non Smoking Devices vom Rauchverbot in öffentlichen Räumen ausgenommen würden – da sich insbesondere die Lärmproblematik seit dem Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen verschärft hat und eine solche gezielte Ausnahme, wie sie zum Beispiel Länder wie Polen oder Ungarn kennen, Zigarettenraucher*innen zum Umstieg auf andere, weniger schädliche Devices motivieren könnte.
Bei der Regulierung psychoaktiver Substanzen steht Cannabis im Vordergrund.
Bei der Regulierung psychoaktiver Substanzen steht natürlich Cannabis im Vordergrund. Das aktuelle Gesetz führt nicht nur zu einer grossen Unsicherheit – welche Menge ist nun legal, was ist CBD und was normales Gras? –, sondern auch der Aufwand, Nachtschwärmer*innen am Kiffen zu hindern, verschlingt unverhältnismässig viele Ressourcen, da zum Beispiel mehr Securities angestellt werden müssen.
Die Personenfreizügigkeit und der Inländervorrang light sind zwei weitere Gründe, weshalb sich die Nachtkultur für das politische Geschehen in Bern interessieren muss. Schliesslich spielen bei Gastronomielokalen sowohl die Personenfreizügigkeit als auch der Inländervorrang light bei der Rekrutierung von Personal eine grosse Rolle.
Doch wie behält man als Wähler*in bei 800 Kandidat*innen die Übersicht?
Nun, es gibt also genügend Gründe, sich als nachtaffine Person am politischen Geschehen in Bern zu beteiligen. Doch wie behält man als Wähler*in bei 800 Kandidat*innen auf über 30 Listen die Übersicht? Wie finde ich heraus, welche Kandidat*innen am ehesten die Interessen der Nacht vertreten? Eine gute Möglichkeit ist, die Kandidat*innen persönlich zu fragen. Das ist an den zahlreichen Wahlanlässen möglich – oder über Social Media.
Erfreulicherweise hat sich die Bar & Club Kommission entschieden, sich 2019 aktiv mit dem Wahlkampf auseinanderzusetzen. Gerade als nachtaffiner Mensch darf man deshalb auf die Resultate der ersten BCK-Umfrage für National- und Ständeratskandidat*innen gespannt sein. Veröffentlicht werden diese am 10. Oktober im Vorfeld der BCK-Podiumsdiskussion zu den Nationalratswahlen 2019 im Plaza. Nehmen wir doch, liebe Nachteulen, das Schicksal zumindest teilweise selbst in die Hand – lasst uns diesen Herbst wählen gehen!
Umfrage
Wahlen 2019
Alle vier Jahren wird das Parlament in Bern neu gewählt. Gewählt werden insgesamt 46 Vertreter*innen im Ständerat und 200 im Nationalrat, der Kanton Zürich kann zwei Ständeräte und 35 Nationalräte wählen. Dieses Jahr stehen im Kanton Zürich mehr als 800 Kandidat*innen auf 32 Listen zur Wahl. In den Medien ist dieses Jahr vor allem von einer Klimawahl die Rede.
Info
Das BCK Podium Nationalratswahlen 2019 findet am Donnerstag, 10. Oktober, um 19 Uhr im Plaza an der Badenerstrasse 109 statt. Direkt im Anschluss an die Diskussion beginnt die Party «Nachtseminar», zu der alle Gäste eingeladen sind.