Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Dürfen nur Genesene, Geimpfte und Getestete feiern?

Der Bundesrat hat ein mögliches Schutzkonzept für Grossveranstaltungen präsentiert: Einlass erhält nur, wer genesen, getestet oder geimpft ist. Unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli fordert jedoch weitere und vor allem flexiblere Lösungen – besonders auch für die kleineren Veranstaltungslokale.

Die epidemiologische Lage hat sich in der Schweiz in den letzten Wochen glücklicherweise verbessert. Die Zahl der Neuansteckungen sinkt, und das Impfen schreitet voran. Im Kanton Zürich können sich nun alle Personen über 16 Jahre zum Impfen anmelden. Diese positive Entwicklung ermöglichte es dem Bundesrat, neben dem Drei-Phasen-Modell auch weitere Öffnungsschritte für Gastronomie, Kultur und Grossveranstaltungen in die Vernehmlassung zu geben.

Das Drei-Phasen-Modell bietet dabei einen Überblick, ab wann mit welchen Lockerungen zu rechnen ist. Dabei wird zwischen der Schutzphase – in der wir uns immer noch befinden –, der Stabilisierungs- und der Normalisierungsphase unterschieden. Letztere soll frühestens im Sommer eintreten. Massgebend für die Einteilung sind nicht mehr nur die Ansteckungszahlen, sondern auch die Hospitalisierungen und der Anteil der geimpften Bevölkerung.

Auch diese Lockerungen bieten Clubs keine wirkliche Perspektive.

Die wichtigsten in der Stabilisierungsphase per Ende Mai vorgesehenen Lockerungsschritte sind die Öffnung der Restaurantinnenräume und die Möglichkeit, auch in Gastronomiebetrieben wieder kulturelle Veranstaltungen durchführen zu können. Somit erhalten zumindest die Barbetriebe eine gewisse Perspektive, auch wenn die Wirtschaftlichkeit aufgrund der Vier-Personen-pro-Tisch-Regel und der Sperrstunde um 23 Uhr weiterhin nicht gegeben ist. Kulturveranstaltungen vor sitzendem Publikum können ab Juni neu mit 100 statt 50 indoor und 300 statt 100 Personen outdoor durchgeführt werden. Das ist für Kinos und Theater erfreulich, aber bietet den Kulturunternehmen in der Stadt Zürich keine wirkliche Perspektive.

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Hoffnung gibt es auch für Grossveranstaltungen mit 1000 bis 3000 Personen. Diese sollen mit einer Zugangsbeschränkung auf Genesene, Getestete und Geimpfte (GGG-Konzept), mit Maskenpflicht und eingeschränkten Kapazitäten ab Juli wieder möglich sein. Zu Tanzveranstaltungen und Musikclubs gibt es weiterhin, trotz GGG-Konzept, keine konkreten Aussagen. Diese Branche wird wage auf die Phase III, die Normalisierung, vertröstet. Der Bundesrat zieht in seiner Vernehmlassung nicht einmal die Möglichkeit in Betracht, Club-Pilotveranstaltungen nach dem GGG-Konzept durchzuführen.

Das Zürcher Seebecken wurde zum grössten illegalen Club der Schweiz.

Die Zürcher Nachtgestalter*innen fordern keine Öffnung auf Biegen und Brechen. Trotzdem sind sie enttäuscht darüber, dass es trotz GGG-Konzept keine Reflexion dazu gibt, wie das Nachtleben bis zur Phase III wieder seine Aktivität aufnehmen kann. Dabei geht es nicht nur um die Entwicklung einer Perspektive für die Branche und Tausende von Arbeitnehmer*innen. Es geht um die Zufriedenheit der Bevölkerung und um die psychische Gesundheit der Schweizer Jugend. Sie leidet in der fortschreitenden Pandemiedauer unter den Einschränkungen, die grosse Auswirkungen auf ihr soziales Leben haben. Die Pandemie führt in der Schweizer Bevölkerung nicht nur zu einem Anstieg von psychischen Problemen.

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Auch die Akzeptanz der Corona-Schutzmassnahmen sinkt immer weiter. Die Jugend funktionierte in den letzten Wochen das Zürcher Seeufer zum grössten Outdoor-Club der Schweiz um, und auch in Basel trafen sich am Hafen Tausende von Leuten zu illegalen Raves. Die Illegalität bedeutet immer auch eine vertane Chance für eine mögliche Schadensminderung, wie es beispielsweise das Testen auf SARS-CoV-2 vor der Teilnahme an einer Veranstaltung während der Stabilisierungsphase darstellen könnte. Klar ist: Die Schweizer*innen wollen raus aus der Pandemie. Sie wollen wieder leben, soziale Kontakte pflegen und Spass haben. Das Nachtleben und die Musikclubs spielen dabei eine wichtige Rolle – nicht nur, um mit Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen, sondern auch als Frei- und Schutzraum, wie beispielsweise für die LGBTIQ-Community.

An Partys funktioniert der Maskenzwang nicht.

Dank einer Zugangsbeschränkung für Genese, Geimpfte und Getestete mit validierten Testmöglichkeiten liessen sich auch Clubveranstaltung wieder sicher durchführen. Im Rahmen von wissenschaftlich begleiteten Pilotveranstaltungen soll zudem - wie in Liverpool - die Möglichkeit geprüft werden, ob bei einer Zugangsbeschränkung anhand des GGG-Konzepts auf eine Maskentragpflicht und Kapazitätseinschränkungen verzichtet werden kann. Denn nicht nur die gemischten Erfahrungen mit der Maskentragpflicht im letzten Sommer zeigten, dass diese an Tanzveranstaltungen – im Gegensatz zu Konzerten – nur schwer durchsetzbar ist. Was aufgrund der längeren Veranstaltungsdauer, des Bedürfnisses, sich auszutauschen, der Kultur des stehenden Trinkens und der sportlichen Aspekte des Tanzens nur wenig überraschend ist. Weiter stellt sich die Frage nach der Akzeptanz einer Zugangsbeschränkung nach dem GGG-Konzept, wenn der Gast weiterhin eine Maske tragen muss. Feiert er dann nicht lieber an einer illegalen oder privaten Party, wo keine Zugangsbeschränkung gilt und keine Maske getragen werden muss?

Das GGG-Konzept löst nicht alle Probleme.

Damit dank einer Zugangsbeschränkung, basierend auf dem GGG-Konzept, Partys und Grossveranstaltungen wieder möglich werden, braucht es nicht nur eine Akzeptanz in der Bevölkerung und Pilotveranstaltungen, die sich an der Realität und nicht am Bedarf des Bundes orientieren. Um einer Diskussion rund um die Diskriminierung durch Zugangsbeschränkungen auf Basis von GGG vorzugreifen, ist der niederschwellige und kostenlose Zugang zu validierten Covid-19-Tests nötig. Bestenfalls lassen sich auch Selbsttests für zu Hause zu diesem Zweck überprüfen und nutzen. Um einen Test- oder Impfzwang zu umgehen, sollten die Veranstalter immer auch die Möglichkeit haben, auf eine Eintrittsbeschränkung nach dem GGG-Konzept zu verzichten, wenn der Abstand eingehalten wird, eine Sitz- sowie Maskenpflicht gilt und nur sitzend konsumiert werden darf.

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Ungeklärt ist auch die Haftungsfrage: Muss ein Ticket rückerstattet werden, wenn ein Gast ein Ticket kauft und dann im Vorfeld der Veranstaltung positiv auf Covid-19 getestet wird? Oder liegt das Risiko beim Gast selbst? Welche Regeln gelten beim Personal, das arbeitsrechtlich keinem Test- oder Impfzwang ausgesetzt werden darf? Arbeitet es weiterhin mit Maske, auch wenn die Gäste ohne am Tanzen sind? Eine weitere grosse Baustelle zeigt das in Aussicht gestellte Covid-19-Zertifikat: Auf diesem sollen zukünftig der Impfstatus, ein Immunitätszertifikat oder aktuelle Testergebnisse hinterlegt werden können. Dabei handelt es sich um nichts anderes als um das Pièce de Résistance des GGG-Konzepts, denn nur mit einer einheitlichen nationalen Lösung können der Datenschutz gewährleistet und das Vertrauen der Bevölkerung gewonnen werden. Unverständlich, wieso erst jetzt, trotz mehr als einem Jahr Pandemie, mit der Arbeit an einem solchen Zertifikat begonnen wird.

Dabei ist es auch wichtig, festzuhalten, dass eine allfällige Zugangsbeschränkung anhand des GGG-Konzepts nur für einen bestimmten beschränkten Zeitraum gilt. Nicht nur das Nachtleben, die ganze Bevölkerung braucht konkrete Ansagen, damit spätestens ab September, bei einer weiterhin stabilen epidemiologischen Lage und dem geplanten Impffortschritt, keine Einschränkungen mehr gelten werden. Gerade jetzt gibt es eine Tendenz, zu sehr auf Sicherheit zu setzen, anstatt ein kalkuliertbares Risiko einzugehen. Doch ohne Risiko kein Leben und ohne Leben keine zufriedene Gesellschaft.