Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Alarmstufe rot: Zürcher Clubs sterben

Die Pandemie, Konkurse und strategische Neuausrichtungen bedrohen das Zürcher Nachtleben. Clubs wie die Bronx, das Hiltl und die Mausefalle sind bereits geschlossen, die Maag-Hallen und das X-tra stehen vor dem Aus. Was das für die Stadt und ihre Bewohner*innen bedeutet, weiss Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli.

Das Verschwinden der Zürcher Partylokale Bronx, Mausefalle und Hiltl-Club sind pandemiebedingt. Mit dem X-tra und den Maag-Hallen stehen weitere Kulturorte in der Innenstadt vor dem Aus. Das X-tra ist gefährdet, weil nach der dringenden Renovation das Limmathaus neu an den Impact-Hub vermietet werden soll. Bei den Maag-Hallen geht es um die Neugestaltung des ganzen Areals. Der Bauträger hat entschieden, die Hallen abzureissen, statt sie zu renovieren. Damit würden nicht nur über 500 kulturelle Veranstaltungen pro Jahr wegfallen. Es gingen auch Räume verloren, die es für das städtische Leben, die Zufriedenheit der Bevölkerung, für die Studierenden und die Entwicklung der Kreativwirtschaft genau im Zentrum der Stadt braucht.

Das Limmathaus wurde bald auch kulturell genutzt.

Das Limmathaus blickt auf eine lange Geschichte als Kulturort zurück. Es wurde 1931 nach den Plänen des Architekten Karl Egender fertiggestellt und ist ein Zeugnis des «Neuen Bauens». Teile des Bauhaus-Gebäudes stehen deshalb unter Denkmalschutz. Der Saal wurde von Beginn an für Veranstaltungen genutzt – anfangs vor allem für politische Treffen und Volksversammlungen, im Lauf der Zeit zunehmend auch für Theater, Konzerte und Partys. In den 70er-Jahren traten Bands wie Emerson, Lake and Palmer und Uriah Heep im Limmathaus auf. Legendär ist der Besuch von Muhammad Ali 1971: Am Tag vor seinem einzigen Schweizer Boxkampf im Hallenstadion trainierte er im Limmathaus. Zehn Jahre später fanden im markanten Bauhaus-Gebäude auch Volksversammlungen der 80er-Jahre-Bewegung statt. Das Limmathaus trug viel dazu bei, dass Zürich heute auch in der Nacht lebt.

Anfangs der 90er-Jahre war die Gegend rund um den Limmatplatz stark durch die offene Drogenszene am Platzspitz und Letten geprägt. Gerade die Letten-Schliessung (1995) führte dazu, dass sich die offene Drogenszene vermehrt in das angrenzende Quartier verschob. Geschäfte, Firmen und Hausvermieter in der Umgebung rüsteten ihre Eingänge, Hinterhöfe, Treppenhäuser, Toiletten usw. mit einer sogenannten Anti-Drogen-Beleuchtung auf – einem unangenehmen UV-Blaulicht, das die Venen unsichtbar macht. Der Limmatplatz wurde zur No-go-Area, das Limmathaus zunehmend unattraktiv als Veranstaltungsort.

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Das Limmathaus (Foto: Wikipedia)

Im X-tra finden Rockkonzerte, Rollschuhdiscos und Goa-Partys statt.

1997 gab es für die schwierige Situation, in der sich die Stiftung Limmatbau befand, eine Lösung: Da das über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Palais X-tra an der Hardturmstrasse 127 seine Türen schliessen musste, suchte der 1988 gegründete Verein X-tra eine neue Location. Gemeinsam ging die damalige Genossenschaft Limmathaus mit der X-tra Production AG das Wagnis ein und aus der Veranstaltungshalle wurde ein Musik-Club. Seit 1997 wird nicht nur die Futurescope-Reihe fortgesetzt, es traten im X-tra auch Bands wie Rammstein oder die Fantastischen 4 zum ersten Mal ausserhalb Deutschlands auf. Heute steht das X-tra nicht nur für Konzerte von lokalen und internationalen Stars, es ist auch die Heimat der Zürcher Wave- und Gothic- sowie Rollschuhdisco-Szene. Ausserdem bietet es als eine von wenigen Locations in der Stadt Platz für grosse Raves und Goa-Partys. 2012 wurde aus der Genossenschaft Limmathaus eine Stiftung. Die Stiftung bezweckt mit dem Limmathaus und dessen Weiterentwicklung, dem Industriequartier und der Stadt Zürich einen Begegnungsort bereitzustellen. 2019 fanden im X-tra 185 kulturelle Veranstaltungen statt, die von 125’525 Gästen besucht wurden.

Zürich-West ist seit den 90ern ein Hotspot des städtischen Partylebens.

Etwas kürzer, aber nicht weniger prägend für die kulturelle Entwicklung der Stadt ist die Geschichte der Maag-Hallen. Von 1913 bis 1991 befand sich in diesen Hallen die Zahnradfabrik Maag. Der Ersatz der Maag-Zahnräder-Leuchtschriften durch «maag areal» stand 1994 symbolisch für die Neuausrichtung der Nutzung durch Gewerbe, Dienstleistungen und Kultur. Der international nicht nur für Taschen bekannte Brand Freitag gehört zu einem der ersten Unternehmen, die damals dort ihre Tätigkeit aufnahmen. In den 90er-Jahren wandelte sich Zürich-West nicht nur rund um die Maag-Hallen vom Industriequartier zunehmend zum Hotspot für die Zürcher Nacht. Dafür verantwortlich waren zu Beginn unzählige illegale Bars und Clubs, die nach der Liberalisierung des Gastgewerbegesetzes zunehmend legalen Locations wichen.

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Maag Halle (Foto: Wikipedia)

Maag Music & Arts gründete 2002 die Maag-Hallen, die kulturelle Umnutzung wurde Jahr für Jahr sukzessive ausgeweitet. Cityfox brachte im Rahmen ihrer legendären Raves ab 2006 die Fenster der Härterei zum Erzittern. 2009 ergänzte dann der Härterei Club das kulturelle Angebot der damaligen Maag Music Hall. Die Maag-Hallen waren Aufführungsort von diversen Konzerten und von Musicals wie «Ewigi Liebi» oder «Mein Name ist Eugen». Einige Shows der TV-Sendungen «MusicStar» und «Die grössten Schweizer Talente» des Schweizer Fernsehens wurden aus den Maag-Hallen übertragen. Es spielten Acts wie Air und Lady Gaga. Der Härterei Club wurde schnell zur Heimat der Zürcher Hip-Hop-, aber auch der hiesigen D&B-Szene. Die Wandelbarkeit der Maag-Hallen zeigte sich auch exemplarisch darin, als man 2017 in die Härterei die provisorische Tonhalle baute.

Mit dem Bau der Wohnungen kamen die ersten Konflikte.

Im Zuge der fortschreitenden Aufwertung des Quartiers – basierend auf einem im Jahr 2000 erstellten städtebaulichen Konzept – wurden 2012 in unmittelbarer Nähe zum Härterei Club Wohnungen gebaut. Die ersten Nutzungskonflikte folgten. 2013 zog der Club wegen der Lärmklagen aus der Nachbarschaft in die sogenannte Werft um. 2019 wurde die Härterei durch den Mäx Club abgelöst. Das Ziel war, das Zürcher Nachtleben in den nächsten zehn Jahren zu prägen. 2019 fanden in den Maag-Hallen 350 kulturelle Veranstaltungen mit 315’000 Besucher*innen statt.

So unterschiedlich die Schicksale des X-tra und der Maag-Hallen sind, steht diese Entwicklung für eine Dynamik, die nicht nur das Zürcher Nachtleben und die hiesige Musikkultur bedroht. Sie schmälert auch die Attraktivität der Innenstadt. Einen Vorgeschmack darauf, wie gemütlich es in der Nacht rund um den Prime-Tower ist, wenn in den Maag-Hallen keine Veranstaltungen stattfinden, konnten wir nun seit Beginn der Pandemie erleben. Doch es geht nicht nur um die nächtliche Belebung von Quartieren, sondern auch darum, als Stadt weiterhin attraktiv zu sein.

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Dabei geht es auch um die generelle Zufriedenheit der städtischen Bevölkerung. Konzerte und kulturelle Veranstaltungen tragen dabei viel mehr zur Zufriedenheit bei, als man sich gemeinhin denkt. Für Studierende bietet die (Nacht-)Kultur eine Vielzahl von Erwerbsmöglichkeiten. Städte wie Berlin zeigen, wie wichtig kurze Wege sowie die Möglichkeit, aufzutreten, abzuschalten und hedonistisch zu sein, sind, um als kreative attraktive Stadt zu gelten.

Gerade die Entwicklung des Zürcher Nachtlebens in den 90er-Jahren wurde zum Standortvorteil. Etwas paradox ist der Gedanke, dass Nachtkulturorte durch Impact-Hubs abgelöst werden – denn ohne Nachtleben würde es heute in der Stadt keine Hubs geben. Dabei geht es nicht um das Konzept des Impact-Hubs an sich; diese nehmen in Bezug auf die Attraktivität einer Stadt auch eine wichtige Rolle ein. Doch da es sich dabei nicht um eine publikumsintensive nächtliche Nutzung handelt, lässt sich ein Hub auch in einem Wohnquartier ansiedeln.

Auch wenn vorgesehen ist, neben dem Kerngeschäft noch zu veranstalten, besteht die grosse Gefahr, dass das Limmathaus verstummen wird. Gerade Konzerte lassen aufgrund des Auf- und Abbaus sowie des Sound-Checks eine stille konzentrierte Nutzung tagsüber nur schwer zu. Hält die Stiftung Limmathaus an diesem Entscheid fest, wird hier kein Nachtleben mehr stattfinden.

Komplexer ist die Situation bei den Maag-Hallen. Bei der Swiss Prime Site AG (SPS) handelt es sich nicht um eine Stiftung, sondern um einen privaten Investor. Bei der Eigentümerin lagen aber auf dem Perimeter der noch bestehenden Industriehallen zwei Bauprojektvarianten in der Schublade – einmal die Sanierung mit Überbau auf den Maag-Hallen, einmal der Abbruch der Hallen und ein Neubauprojekt. Leider hat die Besitzerin sich für das Projekt mit dem Abbruch der Maag-Hallen entschieden. Selbst wenn auch hier beim Neubau von einer kulturellen Nutzung die Rede ist, wird der Platz wegen der Nähe zu den Wohnungen für eine publikumsintensive kulturelle Nutzung in der Nacht wegfallen. Aus der Perspektive der Stadt Zürich ist es ärgerlich, dass nicht der Gestaltungsvorschlag, der einen Beibehalt der Hallen und somit weiterhin auch eine breite kulturelle Nutzung vorsah, ausgewählt worden ist.

Zürich ist gerade wegen seines Nachtlebens so attraktiv.

Eines ist klar: Das Nachtleben und somit kreativ und kulturell nutzbare Räumlichkeiten gehören in die Innenstadt. Dazu zählt auch eine publikumsintensive nächtliche Nutzung. Doch die geeigneten Räume wurden in den letzten Jahrzehnten und werden auch aktuell immer weniger. Industriebrachen fallen weg, die Stadt wird immer dichter bebaut. Dem Ruhebedürfnis der Nachbarschaft wird immer stärker Rechnung getragen, Nutzungskonflikte zwischen Anwohnenden und Nachteulen sind an jedem neuen Standort vorprogrammiert. Will die Stadt Zürich die kulturelle Vielfalt im Zentrum nicht gefährden, dann müssten nicht nur existierende Venues, sondern auch deren Nutzung geschützt werden. Ist das der Politik und dem Stadtrat bewusst? Was gedenkt die Stadt gegen dieses Location-Sterben zu tun? Dabei handelt es sich um nichts anderes als um eine Diskussion rund um die nächtliche Zukunft der Stadt und um die Frage, ob zukünftig in Bebauungsplänen von geeigneten Flächen, zum Beispiel im Gleisfeld, nicht städtebaulich festgeschrieben werden soll, dass Flächen für eine publikumsintensive kulturelle Nutzung auch in der Nacht vorgesehen sein müssen.

Onlinepetition: Retten wir die Maag-Hallen

Im Wissen um dieses zweite, bessere Projekt engagiert sich das Komitee «Retten wir die Maag-Hallen» und die Vereinigung Kulturmeile / zuerich-west.org für den Erhalt der einzigartigen und bestens etablierten Maag-Hallen. Diese tragen einen wesentlichen Beitrag zur Belebung von Zürich-West bei und sichern damit auch Jobs in der Kreativwirtschaft, einem Schwerpunkt der Stadt Zürich.