Diese Salons leisten queerfreundlichen Widerstand
Wer den Geschlechternormen nicht entspricht, hat es schwer in Haarsalons. Das beginnt bei den Preisen: Frauen zahlen mehr als Männer. Auch bezüglich weiterer Aspekte können Salons queerfreundlicher werden. Einige Zürcher Friseur*innen nehmen diese Aufgabe in Angriff.
Stellen wir uns Folgendes vor: Ben, 19, ist kürzlich aus dem Elternhaus ausgezogen. Vor zwei Jahren hat Ben zu realisieren begonnen, dass er ein Junge ist – kein Mädchen, wie alle immer dachten. Ben ist ein trans Mann. Seine Eltern hatten ihm aber stets verboten, sich die Haare kurz schneiden zu lassen. Nun, frisch ausgezogen, geht Ben zu einer Coiffeuse. «Guten Tag, darf ich der Dame den Mantel abnehmen?», fragt die Coiffeuse höflich. Als es um die Wahl der Frisur geht, drückt sie Ben eine Broschüre mit Frauenfrisuren in die Hand. Als er kurze Haare wünscht und auf einen simplen Haarschnitt eines Mannes auf einem Poster zeigt, lässt sie manche Partien trotzdem etwas länger. Ben zahlt mehr, als er sich eigentlich leisten kann – den Frauenpreis, wie er mit Blick auf die Preisliste sieht. Als er den Salon verlässt, weiss er: Zu einem Coiffeur geht er so schnell nicht wieder.
Frauen zahlen mindestens 20 Franken drauf.
Es ist eine Geschichte, wie sie in ähnlicher Form bei vielen Menschen abläuft. Darunter sind trans Personen wie Ben, aber auch Leute, die aus anderen Gründen optisch nicht in die traditionelle Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit passen.
Haarsalons erhalten unter anderem mit ihren Preisen Geschlechtertraditionen aufrecht: In den meisten Lokalitäten unterscheiden die Preislisten zwischen Frau und Mann, und Frauenpreise sind höher. In Zürich zahlen Frauen meistens mindestens 20 Franken drauf.
«Früher ergab diese Aufteilung Sinn», sagt Simone Rigliaco vom Liquid Hairsalon. «Männer trugen einfachere Schnitte und Frauen gingen für ihre variableren Frisuren wöchentlich zum Friseur. Aber Mode und Frisuren seien vielfältiger geworden, so der junge Coiffeur. Als er vorübergehend in London arbeitete, fiel ihm ein Hairsalon mit genderneutralen Preisen auf. Er fragte sich: Wieso muss man genderspezifische Preise führen? «Ich will für meine Arbeit bezahlt werden, nicht dafür, welchem Geschlecht ich die Haare schneide.» Im Winter 2020 eröffnete Rigliaco seinen Hairsalon Liquid am Idaplatz mit genderneutraler Preisliste. «Was zählt, ist aber nicht nur die Preisliste, sondern die Message dahinter: Hier ist jede Person willkommen, man kann sich selbst sein, ohne verurteilt zu werden.» Das kam insbesondere in der queeren Community gut an; man tauschte Kritik und Lob mit Rigliaco und seiner Angestellten Lissa Hauri aus und freute sich über ein Konzept, das in Zürich noch selten ist.
Neben kommerziellen Angeboten hat sich im Juni 2020 die «Soli-Friseurin» gebildet, ein Projekt im feministischen Streikhaus im Kreis 5. Jeden Freitagnachmittag schneiden Salo Asencio und Carolina Peña dort Haare: Erst taten sie das nur für Migrant*innen – die beiden stammen selbst aus Chile –, später für Frauen, Kinder und nichtbinäre Personen (also Menschen, die sich weder als Frau noch als Mann identifizieren). «Die meisten Haarsalons sind nicht nur binär, sondern auch heteronormativ und sexistisch», sagen die beiden Betreiberinnen des Projekts.
«Sich die Haare schneiden zu lassen, sollte kein Privileg sein.»
Salo Asencio und Carolina Peña
«In herkömmlichen Salons fühlen sich viele Menschen unwohl, weil sie nicht den geltenden Schönheitsnormen entsprechen. Ihr Gender wird oftmals aufgrund von Normen angenommen. Das soll bei uns anders sein.» Ein zusätzlicher Aspekt spielt für das Paar mit: «In der Schweiz ist es übermässig teuer, sich die Haare schneiden zu lassen. Viele Leute haben auch aus finanziellen Gründen keinen Zugang zu diesem Service.» Dass Frauen mehr zahlen müssen als Männer, sei in dieser Hinsicht zusätzlich absurd: «Sich die Haare schneiden zu lassen, sollte kein Privileg sein.» Aus diesem Grund ist der Preis für den Service bei den Soli-Friseurinnen wählbar.
Auch bei Organisationen wie dem Transgender Network Switzerland (TGNS) ist der Schritt zu genderneutralen Preisen gern gesehen. «Die Preise sollten nach Leistungen, Dauer, Service und Länge aufgeschlüsselt werden, nicht nach Geschlecht», bestätigt Janna Kraus, Medienverantwortliche des TGNS. Um einen Haarsalon genderneutral – und damit offen für sämtliche Geschlechter – zu gestalten, listet sie weitere Möglichkeiten auf: So können Salons Mitarbeitende schulen, was Sexismus, Heteronorm und Transphobie angeht. Auch die Auslagen und Inspirationen im Salon können vielfältig gestaltet werden. «Mit Feedback-Möglichkeiten können Salons Bereitschaft zeigen, dazuzulernen», rät Kraus. «Am besten ist es, keine Angst vor unangenehmen Situationen zu haben, sondern offen nachzufragen.» Unter diesen Umständen könne sich ein Geschäft als queerfreundlicher Ort ausweisen, etwa online oder am Eingang – und so weit über die geschlechtsneutrale Preisliste hinausgehen.