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«Das ist für soziale Menschen die ideale Wohnform»
Die Genossenschaft «Mehr als Wohnen» hat in Oerlikon Satellitenwohnungen gebaut. Sie waren ursprünglich für Senior*innen geplant, werden jetzt aber von Familien bewohnt. Zum Beispiel von den Klarmanns.
Die Wohnsituation der Klarmanns ist ungewöhnlich: Manuel, Judith und die zwei Söhne teilen sich Küche und Wohnzimmer mit rund zehn Mitbewohner*innen.
Alle haben zusätzlich private Flächen zur Verfügung. Die Klarmanns bewohnen allein weitere vierzig Quadratmeter. Diese Familienzone umfasst das Elternschlafzimmer, das Kinderzimmer, ein Badezimmer und eine kleine Teeküche.
Es gibt mehrere dieser XXL-Wohngemeinschaften in der Überbauung der Genossenschaft «Mehr als Wohnen» in Oerlikon. «Satelliten-WG» nennt sich dieses Wohnkonzept. «Ursprünglich sollten Senior*innen einziehen, doch es haben sich keine gemeldet», erzählt Manuel.
«Satelliten-WG» nennt sich dieses Wohnkonzept.
Er stammt ursprünglich aus Deutschland, Judith aus Holland. Für das Masterstudium an der ETH sind die beiden von München nach Zürich gezogen. «Unser Budget liess lange nur befristete Wohnungen zu», erzählt Manuel. Sechs verschiedene Adressen hatte das Paar, bis es 2014 in der neu gegründeten Gross-WG landete.
Judith und Manuel stiessen durch einen Freund zur WG. Dieser suchte während eines Jahres passende Kandidat*innen für das Wohnprojekt. «Monatlich gab es ein gemeinsames Essen», erzählt Manuel. So lernten sich alle besser kennen. Trotzdem sei der Einzug ein Wagnis geblieben. «Wir kannten nur zwei unserer neuen Mitbewohner*innen wirklich gut.»
40 Quadratmeter bewohnt die Familie privat.
Doch die WG-Gspändli vertrugen sich. «Ungefähr ein Mal im Jahr gibt es einen Wechsel», erzählt Manuel – bedeutend weniger als bei den anderen Wohngemeinschaften im Haus. Das liegt auch daran, dass die Bewohner*innen die gleichen Werte teilen. «Uns allen ist Nachhaltigkeit sehr wichtig», so Manuel, der sich mit seiner Frau auch beruflich dem Thema widmet: Mit ihrem Start-up Eaternity wollen sie die Gastroszene nachhaltiger machen. «Bei uns dreht sich alles ums Essen – beruflich und privat.»
Die WG ernährt sich biologisch und vegetarisch. Viele Lebensmittel werden vom Grosshändler bezogen, das Gemüse stammt aus der eigenen Gartengenossenschaft. Gekocht wird für alle, die daheim sind. «Wir haben einen Kalender, wo man sich eintragen kann», so Manuel. Er steht wie alle anderen nur noch alle sieben Tage am Herd: «Das ist schon praktisch.»
Die Kinder haben die Wohngemeinschaft verändert.
Das sei ein grosser Vorteil der WG, sagt Manuel: Man müsse viele Ämtli nicht mehr selbst erledigen: «Die Arbeit verteilt sich. Eine Person kümmert sich um die Blumen, die andere um die IT – alle machen das, was sie können.» Regeln für das Zusammenleben gibt es wenige. «Man kann einfach abhaken, was man im Haushalt erledigt hat.» Ab und zu wird eine grosse Sitzung abgehalten.
«Die Hausarbeit verteilt sich.»
Manuel Klarmann
Am Anfang lebten nur Erwachsene in der WG, mittlerweile gehören auch vier Kinder dazu. «Das war klar ein Umbruch», erzählt Manuel. Doch der Nachwuchs sei für die WG eine Bereicherung. «Auch wenn es manchmal natürlich laut wird», ergänzt er. Jederzeit können sich die Kinder und Eltern in ihre privaten Räume zurückziehen.
Viele der Möbel sind Secondhand, einiges hat die Familie innerhalb der Siedlung aufgetrieben. Wenn das jetzige Kinderzimmer zu klein wird, werden die Klarmanns einen weiteren Raum dazumieten. Denn das Leben in der Gross-WG möchten Manuel und Judith nicht mehr aufgeben. «Ich glaube sogar, dass es für jeden einigermassen sozialen Menschen die ideale Wohnsituation ist.» Es funktioniere ähnlich wie eine frühere Dorfgemeinschaft – jede*r helfe, wo er oder sie könne, so Manuel.
Die gesamte Siedlung «Mehr als Wohnen» bietet alles, was die Klarmanns brauchen: Es hat Betreuungsplätze für die Kinder, viel Raum zum Spielen und gute Einkaufsmöglichkeiten. «Eigentlich müssen wir das Areal nur verlassen, wenn wir in die Berge oder die Grosseltern besuchen wollen.»