Kultur & Nachtleben | Züri-Song

«Yeah, ich liebe Wiedike»

Reggae-Sänger Phenomden veröffentlichte 2005 eine Hommage an seinen bevorzugten Zürcher Stadtteil. «Wiedike» ist gleichzeitig ein Song über das endgültige Abnabeln vom Elternhaus.

Das isch de Ort, wonni läbe,
bi Sunne oder Räge
Ich bliib i mim Quartier, dänn ich weiss, ich liebe Wiedike
I dere Gägend vo Bäum und Laschtwäge,
verbring i mini Ziit und weiss, ich bliib immer in Wiedike

Zürich Wiedikon ist der Nabel der Welt, bei jeder Witterung, zu jeder Jahreszeit. Hier steppt der Bär, ob bei Tag oder Nacht. Egal ob mit dem Pflichtenheft in der Hand oder beim Müssiggang: Alles spielt sich hier ab, rund um die Schmiede, die Bahnhöfe Wiedikon und Giesshübel, die Weststrasse. Die anderen Stadtkreise? Irrelevant, inexistent. «Wiedike», immer. So zumindest lautet die Aussage des gleichnamigen Songs, mit dem Dennis Furrer alias Phenomden im Jahr 2005 die Zürcherinnen und Zürcher verzückte. Ein Lied so unschuldig, so direkt, so sympathisch romantisierend, dass es einem manchen Tag versüsst hat seither. Und das darum seine Relevanz bewahrt hat. Wiedikon hat eine Hymne verdient – und Phenomden schrieb sie.

Phenomden, das ist der Mundartsänger mit Heilerqualitäten. Mit einer Stimme, die einen fröhlich stimmt, und Zeilen, die direkt aus dem Herzen kommen – ohne viel Kalkül, ohne Hidden Agenda. «Im Song geht es um die Zeit, in der ich mich von zu Hause abgenabelt habe und voll hier in Wiedikon angekommen bin», erzählt Dennis, heute 41, bei einem Kaffee in seinem alten Wohnquartier. «Damals bestimmten lange Nächte in der WG-Küche, Abende auf der Treppe am Bahnhof und Soundsessions bei den Ganglords im Hinterhofstudio mein Leben.» Hier in Wiedikon fing für ihn das mit der Musik an. Er entschied sich, mal was herauszugeben. Den Schritt an die Öffentlichkeit zu wagen.

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Erst waren es die Reime des Rap und die tiefen Töne des Rock, die den jungen Dennis begeisterten. Über Freunde fand er zum Reggae, begann sich Platten zu kaufen, hörte sich in die Kultur ein, schrieb erste Texte, stellte dann am Geburtstag einer guten Freundin anfangs der 2000er erstmals seine Bühnenfähigkeiten auf die Probe – und fand Gefallen daran. Fortan begleitete er befreundete DJ-Teams an ihre Auftritte und gab im Laufe des Abends drei, vier Songs zum Besten. Hallo Mundart-Reggae. New Roots nannte sich das Movement in Jamaika und berief sich auf Künstler wie Bob Marley und Peter Tosh – und der junge Dennis setzte die Tradition in der Limmatstadt fort. Erst mit den alteingesessenen Ganglords, dann, bald schon, mit den Basler Scrucialists, die noch heute seine Backingband bilden.

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Mer seit, dass du das Viertel vo Familie und alte Lüüt bisch,
verschiedeni Kulture, viili Mänsche da sind jüdisch,
Und immer meh Jungi gits, wo jetz in Chreis 3 ziehnd,
s’git Gschäfter, Bars und Restaurants und es git de Filmriss,
es git en Coop wo Hip-Hop lauft, und es git de Bigis,
ä Tankstell häts au und us New York gits feini Pizzas…
D’Musig usem Fänschter im 49 a de Weststrass,
und bitzli witer vorne probed Ganglords ...

The rest is history. Und dieser Song ist ein wichtiger Teil davon. Die Alben «Fang Ah», «Gangdalang», «Eiland», Hunderte von Konzerten und Shows, Lieder, die ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation übergegangen sind. Songs, mit denen viele Zürcherinnen und Zürcher grossgeworden sind. Die sie begleitet haben durch ihre Jugendtage und Wanderjahre. Die ihnen noch heute auf der Zunge liegen. Phenomden, das war ein Teil von Zürich. «Ich bliib immer in Wiedike», sang er – und man konnte sich nicht vorstellen, dass es jemals anders sein würde.

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Und plötzlich war er weg. Lange weg. Und still. Die Zeit zwischen 2013 und 2018 verbrachte Dennis in einer anderen Grossstadt: Kingston, Jamaika, war sein Zuhause. Hier feilte er an seinem Gesang, seinem Songwriting, tauchte voll in die Reggae-Kultur ein, stellte sich so manche Sinnfrage, flirtete mit dem Englischen und gründete eine Familie.

Ziit isch vergange, ich bin immer bi dir bliibe,
egal was au passiert, will ich weiss, du machsch mi zfride,
Jetz wet ich dir es Lied widme,
Yeah... ich liebe Wiedike ...

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Wiedikon entwickelte sich ohne ihn weiter. Zum verkehrsberuhigten Hotspot, zum hippen Quartier, zum Public-Viewing-Magneten, zum kulinarischen Schmelztiegel mit Trendasiaten und Trennkost. Als Dennis dann mit seiner Frau und drei Kindern in die Schweiz zurückkehrte, fand er dort keinen Platz. Er zog zurück nach Adliswil, zu den Grosseltern, zum günstigeren Wohnraum.Seither war er eher selten in Wiedikon. Eher auf dem Trainingsgelände des FC Adliswil oder auf der Skate-Anlage in der Brunau. Oder halt in einem Studio: Sein neues Album «Streunendi Hünd» erscheint am 17. September. Darauf sucht man vergeblich eine neue Hymne – etwa an Kingston oder Adliswil. «Ich habe mich an beidem versucht», gibt Dennis zu. «Aber irgendwie war bei beiden die Aussage nicht ganz klar.» Nicht so klar wie bei «Wiedike».