Grossmünster
Francesco Gargiulo hat den Schlüssel zu Zürichs Wahrzeichen. Seit 25 Jahren arbeitet er im Grossmünster als Sigrist.
Zürichs berühmteste Kirche ist legendenumrankt und beliebt bei Einheimischen und Touristen – aber auch sie muss gepflegt und geputzt werden. Dieser Aufgabe widmet sich Francesco Gargiulo mit viel Liebe und Hingabe nun schon seit einem Vierteljahrhundert. Er kennt jeden Winkel des Grossmünsters, hat einen absoluten Lieblingsplatz und erlebt viele herausfordernde, aber auch lustige Momente in seinem Alltag.
Das Portal am Haupteingang ist massiv. Es morgens zu öffnen und abends zu schliessen, gehört zu Francesco Gargiulos Aufgaben. Denn als Sigrist hat er die Schlüsselgewalt über die Kirche, deren Doppeltürme das Stadtbild prägen. «Viele ausländische Besucher sind beim Betreten des Grossmünsters zuerst enttäuscht», sagt er verschmitzt. «Sie erwarten eine Kathedrale – aber statt katholischen Prunks finden sie reformierte Schlichtheit.»
2019 werden es 500 Jahre sein, seit der Priester Huldrych Zwingli in der Limmatstadt die Reformation einführte. Damals wurde der Ablasshandel abgeschafft und man begann, die Heiligenbilder und Altäre wegzutragen. Die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder veränderte Kirche bekam allmählich ihr heutiges Gesicht.
Gemäss der Legende trugen Regula und Felix ihre abgetrennten Köpfe selber den Hügel hinauf und legten sich dann nieder.
«Einmal wurde ich gefragt, wo denn die Eltern von Zwingli begraben liegen», erinnert sich der Sigrist und lacht laut: «Es stellte sich dann heraus, dass die Fragenden nach Felix und Regula suchten.» Die Zürcher Stadtheiligen starben im 3. Jahrhundert auf der damaligen Limmatinsel, wo heute die Wasserkirche steht, den Märtyrertod. Gemäss der Legende trugen sie ihre abgetrennten Köpfe den Hügel hinauf und legten sich dann nieder, auf dass man sie dort beisetze.
Im 8. Jahrhundert soll Karl der Grosse auf einer Jagd das Grab wiederentdeckt haben. Ein Hirsch fiel, zusammen mit dem Pferd des Herrschers, bei der Ruhestätte auf die Knie. Karl liess die Überreste ausheben und an jener Stelle eine Kirche bauen. Daher der Name des heutigen Karlsturms, an dessen Fassade eine grosse Statue des Gründers thront und auf dem sich eine Aussichtsplattform findet, die einen spektakulären Panoramablick auf die Zwinglistadt bietet.
«Als ich vor 25 Jahren hier anfing, wollte ich es ganz naiv allen recht machen.»
Lange Zeit wurden die Gebeine der Stadtheiligen in der Zwölfbotenkapelle aufbewahrt. Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger liess das Grab öffnen, alles Gefundene katalogisieren und ins Gebeinhaus bei der Kirche St. Peter transportieren. Heute ist die Zwölfbotenkapelle ein Ort der stillen Andacht abseits der Besucherströme.
Das Grossmünster auf Instagram
«Als ich vor 25 Jahren hier anfing, wollte ich es ganz naiv allen recht machen», sagt Francesco. Er musste lernen, auf sehr heftige Reaktionen gefasst zu sein, wie beispielsweise grobe Beschimpfungen, wenn er Besucher auf die abgelaufene Öffnungszeit aufmerksam machte oder sie bat, das Glace draussen zu essen.
Zu Beginn waren sie nur zu zweit – heute leitet der 59-Jährige ein Team von 18 Mitarbeitern. Die Rundumbetreuung bei Gottesdiensten oder speziellen Anlässen, die Bewirtschaftung des Informationsstandes sowie Administratives gehören zu seinem Aufgabengebiet. Ausserdem koordiniert er die Instandhaltung und Reinigung der Kirche und des Vorplatzes. «Täglich kommen rund 2000 Besucher – da fällt eine grosse Portion Dreck an! Und die Kirche soll doch sauber sein, aber nicht nach Putzmittel riechen», meint der Sigrist.
Mittlerweile ist das Grossmünster zu Francescos zweitem Zuhause geworden: «Das macht mich dünnhäutig, denn ich will es entsprechend schützen.»
Mittlerweile ist das Grossmünster zu Francescos zweitem Zuhause geworden: «Das macht mich dünnhäutig, denn ich will es entsprechend schützen.» Es sei wichtig, eine gesunde Distanz zu entwickeln, sowohl emotional wie auch geografisch. Das stellt sich manchmal als schwierig heraus. Auch weil Francesco gleich gegenüber seines Arbeitsplatzes wohnt – heute nur noch mit seiner Frau, früher auch mit den drei Kindern.
Francesco versucht, sich auf das viele Positive in seiner Arbeit zu konzentrieren. Dazu gehören die spannenden Begegnungen mit Menschen, insbesondere auch bei den Führungen. Hier kann er seine grosse Begeisterung für das Grossmünster und sein umfassendes Wissen, das er über die Jahre gesammelt hat, an Kinder und Erwachsene weitergeben.
Francesco gesteht, dass er gerne in die Krypta geht, um zu beten. Im ältesten Teil des Gebäudes findet er Ruhe und betrachtet die restaurierten Wandmalereien über die Leidensgeschichte von Felix und Regula. Aber sein Favorit sind ganz klar die Fenster von Augusto Giacometti im Kirchenchor: «Die sind einfach der Wahnsinn! Ich kann sie stundenlang bestaunen und entdecke immer etwas Neues.» Dass sie von den Touristen gerne mit den Chagall-Fenstern des Fraumünsters verwechselt werden, entlockt ihm nur sein typisches spitzbübisches Lachen.
Adresse
Grossmünster
Grossmünsterplatz
8001 Zürich
Website
Öffnungszeiten
Grossmünster
März bis Oktober: 10–18 Uhr
November bis Februar: 10–17 Uhr
Bei speziellen Anlässen (zum Beispiel Abdankungen oder Hochzeiten) bleibt die Kirche geschlossen. Vor Konzerten wird das Grossmünster in der Regel eine Stunde vor Konzertbeginn geschlossen. An Sonntagen ist die Besichtigung ab Mittag möglich.
Karlsturm
März bis Oktober, unter der Woche: 10–17.30 Uhr
Sonntag: 12.30–17.30 Uhr
November bis Februar, unter der Woche: 10–16.30 Uhr
Sonntag: 12.30–16.30 Uhr
Infos
Im Grossmünster finden neben regelmässigen Gebeten und Gottesdiensten auch Konzerte und Rundgänge statt. Weitere Informationen findest du hier.