LGBT-Kolumne | Menschen & Leben
Die Männer sind mitgemeint
Anna Rosenwasser schreibt, wie sie in Zürich lebt und liebt. Aktuell ärgert sie sich über die deutsche Sprache. Denn diese tut, als gäbe es auf der Welt fast nur Männer.
«Maximal 5 KundInnen», steht auf einem A4-Blatt, neben dem ich nun durch die Glastür in den Quartierladen schiele. Dann trete ich vorsichtig ein. «Ganz easy», sagt ein Typ, der wohl dort arbeitet. Weil ich mich etwas unsicher im Laden umsehe – um zu zählen, ob ich die maximale Anzahl Leute gerade überschreite –, macht er eine beschwichtigende Bewegung mit seiner Hand. «Wollte nur sicher sein, dass nicht mehr als fünf Menschen hier sind», sage ich freundlich (obwohl mich sein «ganz easy» bereits nervt). «Ah, wie viel dürfens denn sein?», entgegnet er. Ich bin irritiert. «Fünf Kundinnen, steht draussen an eurer Tür», antworte ich. «Kundinnen?», entgegnet er, und ich könnte schwören, dass er unter seiner Maske grinst, «ist das nicht diskriminierend?» – «Also … es steht dort …» – «Gaaanz easy», sagt er, schon wieder!, «ich mach nur Spass.» Und ich mach mich aus dem Staub.
Die deutsche Sprache hat eine mühsame Angewohnheit.
Ob das Lädeli in meinem Quartier eine Person zu viel reinlässt, ist mir egal – ich bin nicht die Covid-Taskforce. Aber ich bin die Sprache-gendern-Taskforce. Sowas von. Unironisch, eben nicht «nur Spass». Bei so was geht’s um mehr als Spass. Es geht um Sprache. Um das, womit du vorhin gegoogelt hast. Das, was dir durch den Podcast ins Ohr fliesst. Das, womit du dich mal wieder bei deinem Mami melden solltest. Sprache ist wirklich alles um uns rum. Und in uns drin.
Die deutsche Sprache hat eine mega mühsame Angewohnheit: Sie tut gern so, als gäbe es auf der Welt fast nur Männer. Dauernd müssen wir Ausdrücke wie «Zuschauer», «Fussgänger» und «Leser» über uns ergehen lassen, als wäre das die Realität.
Mitmeinen funktioniert nicht.
«Die Frauen sind mitgemeint!», heisst es dann. Sagen wir «Hamster» und meinen Giraffen mit? Sagen wir «Salat» und meinen Coupe Dänemark mit? Mitmeinen funktioniert nicht. Und trotzdem macht das die deutsche Sprache die ganze Zeit: männliche Form verwenden, Frauen mitmeinen. Wenn das mit dem Mitmeinen wirklich so einfach ist, warum verwenden wir dann nicht einfach konstant die weibliche Form? Da sind die Männer nämlich mit drin: In «Leserinnen» ist, buchstabentechnisch, auch «Leser». Umgekehrt nicht.
Psychologische Studien beweisen übrigens, dass die männliche Form, die angeblich Frauen mitmeint, einen Einfluss darauf hat, an welches Geschlecht wir denken. Aber mal ehrlich: Dafür brauchen wir nicht zwingend Studien. Wenn wir eine Gruppe von Menschen auffordern, fünf Schauspieler aufzuzählen, wäre das Ergebnis ja wohl anders, als wenn wir sie auffordern würden, fünf Schauspielerinnen und Schauspieler aufzuzählen. Oder sogar: Schauspieler*innen. Schauspieler_innen. Schauspieler:innen.
Denn: Cool, wenn man in Angriff nimmt, uns Frauen endlich in der Sprache wiederzugeben. (Das macht zum Beispiel die «Wochenzeitung» WOZ schon seit den Achtzigern; die meisten Schweizer Zeitungen haben das bis heute nicht geschafft.) Aber Sprache ist ja eigentlich dazu da, die Realität abzubilden. Und die ist: Es gibt mehr als zwei Geschlechter. Das bestätigen Fachpersonen aus der Soziologie über die Biologie bis hin zu Geschichte und Ethnologie. Darum also nicht einfach das binäre «Schauspielerinnen und Schauspieler» oder «SchauspielerInnen», sondern die oben genannten Optionen.
Wir können Sprache verändern.
Da beschweren sich wahnsinnig viele Menschen, dass das den Lesefluss stört. Das sind vermutlich dieselben Leute, die ein iPhone benutzen. Mit kleinem i! Die gleichen Leute, die «Corona» innerhalb von Stunden in ihren Wortschatz aufgenommen haben. Man könnte fast meinen, wir seien fähig, uns an sich verändernde Sprache zu gewöhnen.
Und was, wenn es ans Mündliche geht? Wie sprechen wir «Schauspieler*innen» aus? Wie das Gegenteil von «Schauspieler aussen». In den Worten des Quartierlädeli-Mannes: Gaaaanz easy.