LGBT-Kolumne | Menschen & Leben
Die Erfindung von Homos
Einmal im Monat schreibt Anna Rosenwasser, wie sie in Zürich lebt und liebt. Im Oktober erzählt die Geschäftsführerin der Lesbenorganisation Schweiz, wie sie plötzlich in den Strassen Zürichs eines ihrer Internetfundstücke wiederentdeckte.
Als Teenager verbrachte ich irrsinnig viel Zeit im Internet. Ich hing auf Foren rum, las miserable Fanfiction und sah mir Bildli an. Meine liebsten Bildli speicherte ich ab; ich hatte beispielsweise einen Ordner für meine Lieblingsbands und einen für meine liebsten Outfit-Bilder.
Ein Foto aber passte in keinen meiner Ordner. Es lag einfach so in meinem Computer rum. Ich hätte niemandem erklären können, weshalb es mir gefiel, aber es liess mich einfach nicht los. Auf dem Bild war eine Leuchtschrift zu sehen, in Halbkreis-Form, auf irgendeinem Gebäude installiert. «Love invents us», stand da. Die Buchstaben trugen Regenbogenfarben.
Ich starrte das Bildli oft an.
Natürlich war mein Teenie-Englisch gut genug, um «Liebe erfindet uns» zu verstehen. Und doch verstand ich nichts an diesem Bild. Ich wusste nicht, wo diese Leuchtschrift stand; ich hatte noch nicht mal eine leise Ahnung, dass Regenbogenfarben im Zusammenhang mit Liebe irgendwann viel Bedeutung für mich bekommen könnten. Ich hortete einfach dieses Bild auf meinem Computer, vermutlich die gesamten Nullerjahre lang, und öffnete es hie und da, um fasziniert draufzustarren. Love invents us.
15 Jahre später ist Liebe in Regenbogenfarben mein Hauptberuf. Oft habe ich es auch mit Menschen zu tun, die nicht einverstanden sind mit gleichgeschlechtlicher Liebe. Was unfreiwillig lustig ist: Wie kann man nicht einverstanden sein mit etwas, das existiert? Das ist, als wäre man nicht einverstanden mit Zucchetti oder Abendsonne oder Ellbogen. Das sind keine Erfindungen. Sie existieren einfach. Ob es sie gibt, steht eigentlich nicht zur Diskussion. So ist es mit uns Homos auch. (Tag yourself. Ich bin die Zucchetti.)
Wir können Liebe nicht erfinden.
Die Vorwürfe tönen oft ähnlich: dass gleichgeschlechtliche Liebe nicht natürlich ist, dass Homosexualität – und Bisexualität erst recht! – ein Lifestyle ist, den wir gewählt haben. Die kurze Antwort darauf ist denkbar einfach: Unterschiedliche Gender und Sexualitäten gibt es schon, seit es Menschen gibt. Wir hatten in der Geschichte der Menschheit einfach unterschiedliche Konzepte dafür. In manchen Epochen und auf manchen Erdteilen hatten wir auch einfach gar kein Konzept und liessen Leute heiter vor sich hin existieren.
Sexuelle Orientierungen sind also nicht erfunden. Wir können Liebe nicht erfinden. Aber wie wir lieben, macht etwas mit uns. Liebe füllt Bibliotheken und Notenblätter, Tagebücher und Therapiestunden. Genau genommen, erfindet Liebe uns.
Seit ein paar Jahren wohne ich in Zürich, seit nicht allzu langer Zeit im Kreis 5. Manchmal, wenn mir das ganze Kämpfen etwas zu viel wird, gehe ich abends alleine spazieren. Es war miserabel regnerisch und bereits dunkel, als ich die Limmatstrasse entlangspazierte, an den Wänden des Migros Museums hochblickte – und plötzlich etwas leuchten sah. Regenbogenfarben, auf dem Dach des Gebäudes. Zwischen Baumwipfeln war der Schriftzug zu lesen, im Halbkreis. Es war der Schriftzug, den ich jahrelang auf meinem alten Computer gespeichert hatte. (Später sollte ich erfahren, dass es ein Werk eines Innerschweizer Künstlers ist, das er 1999 erschaffen hat.)
Da leuchtete plötzlich mein heilig gehortetes Bildli in meiner Stadt, in meinem Quartier. «Love invents us», sagte es, Liebe erfindet uns. Plötzlich war der Satz real. Und ich glaube, ich habe eine Idee, was er alles bedeuten könnte.