Stadt & Geschichte | Bauten im Wandel
Die «Kalbshaxenmoschee» sorgte für Kontroversen
Wer heute am Limmatquai 61 im Rathaus-Café sitzt, ahnt nichts von der blutigen Vergangenheit dieser Adresse: Fast hundert Jahre lang stand dort die Fleischhalle. Ihr Abbruch spaltete die Zürcher:innen.
Ein prächtiger Bau mit auffälligen Kuppeln direkt an der Limmat: Auf vielen alten Postkarten von Zürich ist dieses Gebäude abgebildet. Wer es heute sucht, wird enttäuscht: Es wurde 1962 abgerissen.
Rund 100 Jahre zuvor wurde die Fleischhalle gebaut, die Eröffnung fand am 10. April 1866 statt. Im Gebäude sollte mit Fleischwaren gehandelt werden – exklusiv, denn private Metzgereien waren damals aus hygienischen Gründen verboten.
Zürcher*innen durften nur hier Fleisch kaufen.
Doch nicht mehr lange – noch im gleichen Jahr wurde der Fleischhandel liberalisiert. Auch Private durften jetzt Würste & Co. verkaufen. Immer weniger Metzger mieteten deshalb einen der vierzig Stände in der zugigen Halle. Besonders im Winter war es bitterkalt, die Wände waren mit Eis bedeckt. Stattdessen eröffneten sie eigene Verkaufsorte in der Stadt.
1890 zählte die Fleischhalle noch 19 Stände, 1950 waren es noch sechs. Doch deren Mieter wollten ihren Verkaufsort unter keinen Umständen aufgeben. Sie kämpften bis vor Bundesgericht gegen den Abbruch der Halle, allerdings ohne Erfolg.
Die Fleischhalle stand im Weg.
Auch die Bevölkerung wollte das Gebäude nicht mehr – es war dem immer stärker aufkommenden Verkehr im Weg. Zudem forderte die Partei des Migros-Vaters Gottlieb Duttweiler eine «freie Limmat»: Das Flussufer sollte von grossen Bauten befreit werden. Die vierstöckigen Mühlen und die zugehörigen Geschäftshäuser waren bereits abgerissen worden, und 1962 verschwand schliesslich auch die Fleischhalle.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis der Abbruch bedauert wurde. Journalisten und Politiker sprachen und schrieben unter anderem von einem «grossen städtebaulichen Fehler».
Migros-Vater Gottlieb Duttweiler forderte eine «freie Limmat».
Immerhin ein Teil der «Kalbshaxenmoschee» – so die Bezeichnung der Fleischhalle im Volksmund – ist bis heute erhalten: Ein Säulenportal dient als Haupteingang der Überbauung «Seldwyla» in Zumikon.
Der Bau eines Ersatzgebäudes wurde immer wieder verschoben – erst aus finanziellen Gründen, dann aus ästhetischen. Heute befinden sich an der Stelle das Ratshaus-Café und eine freie Fläche.
Dort stand zwischen April 2014 und Januar 2015 ein Hafenkran. Die temporäre Kunstinstallation wurde heftig diskutiert: Ihre Fans bezeichneten sie als «Denkanstoss», für Gegner dagegen war sie ein «Scheissding, das niemand will».
Adresse
Limmatquai 61
8001 Zürich