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Die Boulevard-Presse nannte sie «Geier-Wally»

Text: Ueli Abt

Einem gutgläubigen Kunden drehte eine Kunsthändlerin einen massiv überteuerten Bischofsstab an. Und gemäss damaligen Berichten schwindelte sie am laufenden Band. «Betrug», so urteilte das damalige Geschworenengericht. Und fragte sich, ob die Frau verwahrt werden müsse.

Nicht wenige Neugierige hatten sich im Februar 1977 am Zürcher Geschworenengericht eingefunden, als dieses das Urteil gegen die 54-jährige Wally K. bekanntgab. Insbesondere die Höhe des Strafmasses sei von Interesse gewesen, hielt ein damaliger Bericht der «NZZ» fest. Denn dass die Frau schuldig war, war den meisten offenbar schon vor dem Urteil klar gewesen.

Schuldig des mehrfachen Betrugs und der mehrfachen falschen Anschuldigung: Dafür gab es dreieinhalb Jahre Zuchthaus, unter Anrechnung von 469 Tagen Untersuchungshaft.

Die «zwielichtige Kunsthändlerin» habe dieses Urteil «ohne sichtliche Anzeichen innerer Bewegung» entgegengenommen, heisst es in dem Bericht weiter.

Die Schweizerin und gebürtige Lettin stand damals nicht zum ersten Mal vor den Schranken der Justiz: Schon Jahrzehnte zuvor war sie in Strafverfahren verwickelt gewesen. Andererseits war sie in den folgenden fast 15 Jahren straffrei geblieben, wie selbst das Gericht laut Berichterstattung anerkannte.

In der medialen Berichterstattung über den Prozess von 1977 war ein Bischofsstab ein ausführlich behandeltes Beispiel der vielen mutmasslichen Betrügereien von Wally K. Einem Kunden drehte die Kunsthändlerin diesen für den Preis von 160’000 Franken an – eine Schätzung des Schweizerischen Landesmuseums von 1971 besagte, dass das kirchliche Würdezeichen aus Elfenbein wohl nicht mehr als 20’000 Franken wert war.

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Nebst dem Bischofsstab verkaufte Wally K. noch andere Kunstobjekte: So etwa Gemälde im Stil von Renoir, Breughel und Stosskopf.

Ende 1977 hatte Wally K. anscheinend eine ganze Menge auf dem Kerbholz. Nebst dem Bischofsstab verkaufte Wally K. noch andere Kunstobjekte: So etwa Gemälde im Stil von Renoir, Breughel und Stosskopf. Bei den Werken handelte es sich «um mehr oder weniger geschickte Fälschungen». Berichte über frühere Fälle erwähnen einen Check, der plötzlich drei Nullen mehr aufwies, «gewöhnliches Silber» wurde zu Platin. Ein Kölner Juwelier verlor laut der «Schweizer Illustrierten» mit einem Brillanten eine Summe von umgerechnet 40’000 Franken.

Auffällig aus heutiger Sicht: Damalige Zeitungsberichte nannten die Beschuldigte mit vollem Namen, was heute aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes in den meisten Fällen nicht mehr geschieht. Ob Wally K. in den 70er-Jahren eine Person des öffentlichen Lebens war, wird aufgrund der Berichte nicht eindeutig klar. Dies hätte aus heutiger Sicht eine Namensnennung gerechtfertigt.

Fest steht, dass Wally K. einen luxuriösen Lebensstil schätzte, sich «im vornehmen Zürichbergquartier» niederliess und zeitweise möglicherweise auch in Kontakt mit den Reichen und Schönen stand. 1952 zeigte die «Schweizer Illustrierte» in Zusammenhang mit einem Gerichtsfall die damals 30-jährige «schöne» Wally K. mehrfach im Bild, so etwa «vor dem Mailänder Adelshotel ‹Principe di Savoia›».

Mit dem aasfressenden Vogel als Spitzname war natürlich die mutmassliche Geldgier der Beschuldigten zwischen den Zeilen angedeutet.

Kommentare zum Äusseren gab es übrigens auch später: Berichte aus den 70er-Jahren bezeichnen sie als «mittlerweile fülliger» geworden. Oder gar unzimperlich als «verfettet».

Dass sie einmal als «in einschlägigen Kunsthandelskreisen» bekannt bezeichnet wird, deutet eher darauf hin, dass sie selbst nicht eigentlich prominent war. Möglicherweise wurde sie erst durch die wiederholte Gerichtsberichterstattung bekannt.

Jedenfalls verwendete die Boulevard-Presse einen Spitznamen für die Beschuldigte: «Geier-Wally». Selbst die seriöse «NZZ» liess es sich nicht nehmen, in einem Bericht zu erwähnen, dass «gewisse Zeitungen und der Volksmund» die Beschuldigte so bezeichneten.

Mit dem aasfressenden Vogel als Spitzname war natürlich die mutmassliche Geldgier der Beschuldigten zwischen den Zeilen angedeutet.

Der Spitzname hatte übrigens seinen Ursprung in der bis heute bekannten Romanfigur «Geier-Wally». Sie kann man heute durchaus als eine Sympathieträgerin sehen. In der Erzählung von Wilhelmine Hillern kämpft die junge Tiroler Heldin zunächst für Freiheit und Selbstbestimmung im Leben und in der Liebe. Bei der Erzählung aus dem späten 19. Jahrhundert handelt es sich also um einen Stoff mit mindestens emanzipatorischen Ansätzen – zuweilen greifen auch heute noch Volksbühnen den mehrfach verfilmten Romanstoff auf.

Mit einem solchen sogenannten «Mondpreis» dürften auch heutige Konsumenten hin und wieder konfrontiert sein.

Beim Verkauf des Bischofsstabs wendete Wally K. einen Trick an: Indem sie den Eindruck erweckte, ein inzwischen verstorbener Kaufinteressent hätte für das Objekt 200’000 bezahlt, nannte sie dem Getäuschten einen – fiktiven – höheren Preis, der die Summe von 160’000 Franken vergleichsweise günstig erscheinen liess. Mit einem solchen sogenannten «Mondpreis» dürften auch heutige Konsumenten hin und wieder konfrontiert sein. Schliesslich ist nicht immer klar beziehungsweise überprüfbar, ob beim einen oder anderen Rabatt-Angebot von Online-Portalen und Tele-Shopping-Sendungen die ursprünglichen Preise überhaupt jemals existiert hatten.

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Offenbar vertraute der Kunde blind den diversen unseriösen Gutachten, welche die Kunsthändlerin ihm vorlegte. Hätte er nicht die Möglichkeit gehabt, sich mit einem Gutachten von unabhängiger Seite abzusichern, was angesichts der Höhe der Summe doch wohl ratsam gewesen wäre?

In der Tat war das eine Frage, die sich sinngemäss ein damaliger Gerichtsberichterstatter stellte. Zu den Betrügereien könne man bemerken, es brauche eben immer zwei dazu, «in diesem Fall eine Schlaue und einen Dummen», hielt er in einem Bericht fest..

Das Geschworenengericht befand allerdings, dass die Tatbestandsmerkmale erfüllt seien, namentlich die Arglist der Täuschung und die Vermögensschädigung. Gemäss Bericht berücksichtigte das Gericht, dass die Beschuldigte zahlreiche Geschäfte abwickelte, die nicht zu beanstanden waren. Damit war der Verdacht des gewerbsmässigen Betrugs vom Tisch. Nach einer Verurteilung im Kanton Tessin habe sich die Angeschuldigte fast anderthalb Jahrzehnte durchgeschlagen, ohne straffällig zu werden.

Bis Anfang 2007 bezeichnete man übrigens in der Schweiz längere Haftstrafen als «Zuchthaus».

Allerdings hatte das Gericht zuvor durchaus erwogen, dass es sich bei Wally K. um eine «Gewohnheitsverbrecherin» handeln könnte. Ihr sei nicht anders als mit Verwahrung beizukommen. «In die bedrohliche Nähe dieser Massnahme ist sie immerhin gerückt», hielt der Bericht dazu fest.

Zum Straftatbestand der falschen Anschuldigung äussern sich die damaligen Berichte knapp. Das Gericht sei zur Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte «aus Rachsucht und wider besseres Wissen Unschuldige beschuldigt und diese damit in ihren beruflichen und persönlichen Verhältnissen aufs schwerste verletzt» habe. So habe sie namentlich den Effektenhändler F. bezichtigt, gestohlene amerikanische Wertpapiere zu veräussern. Die Ermittlungen hätten indessen ergeben, dass dieser Vorwurf völlig aus der Luft gegriffen sei.

Nach dem Bericht des Urteils verliert sich die Spur von Wally K. Was mit ihr nach der mehrjährigen Haftstrafe geschah, ist nicht überliefert.

Bis Anfang 2007 bezeichnete man übrigens in der Schweiz längere Haftstrafen als «Zuchthaus». Ursprünglich war der Begriff entstanden, weil es früher separate Gefängnisse gab für Gefangene, die schwerwiegende Taten begangen hatten. Im Zuge einer Revision des Strafgesetzbuches verschwand die Bezeichnung nach 2006.