Kultur & Nachtleben | Menschen & Leben
«Meine Kunst ist oft brutal»
Kann man als junger Künstler in Zürich überleben? Schwierig, findet Dario De Siena. Der 34-Jährige hat mit uns über den finanziellen Druck, zu kleine Ateliers und sein grosses Vorbild Pablo Picasso gesprochen.
Graffiti-Sprayer, DJ, Graphic Designer, Familienvater, Maler und Event-Veranstalter. Der Künstler Dario De Siena erklärt, warum Picasso und Salvator Dalí seine grossen Vorbilder sind, wieso er den Kunstmarkt skeptisch sieht und weshalb Zürich ein hartes Pflaster für junge Künstler ist.
Dario, 2003 hast du als Graffiti-Sprayer begonnen. Wo findet man überall Graffitis von dir?
Ich habe zuerst mit kleineren Sachen angefangen, etwa mit Schriftzügen am Letten. Mit der Zeit habe ich begonnen, auf Auftragsbasis zu sprayen. Mein bisher grösstes Bild ist jenes an der Zollstrasse 80 vor der Amboss-Rampe. Dort habe ich 2014 in etwa acht Tagen 60 Meter Wand bemalt.
«Ich finde den Kontrast in meiner Kunst spannend.»
Für viele sind Graffitis Vandalismus statt Kunst.
Ich betrachte die Diskussionen mit gemischten Gefühlen. Klar gibt es weniger schmuckvolle und uninspirierte Graffitis. Dass sich die Leute darüber aufregen, kann ich verstehen. Hier aber gleich «Vandalismus!» zu schreien, ist mir jedoch zu extrem. Mittlerweile haben wir zum Glück den Letten und die Rote Fabrik, wo legal gesprayt werden kann.
Heute malst du vor allem Frauengesichter. Wieso?
Ich finde den Kontrast einfach unglaublich spannend zwischen ästhetischen Frauenporträts und dem zerstörerischen Charakter meiner Kunst. Frauengesichter haben meist sehr weiche Linien. Meine Kunst ist oft chaotisch und brutal.
Leidest du manchmal unter Blockaden?
Ja. Es passiert immer wieder, dass ich ein Bild wirklich für Wochen weglegen muss. Und wenn es gar nicht mehr geht, dann übermale ich es komplett.
Tut das nicht weh?
Es kann schon schmerzhaft sein. Vor allem, wenn dann zwei Tage später jemand auf Instagram nachfragt, ob das Bild denn zum Verkauf stehe. Das nervt natürlich. Aber das gehört dazu.
Wieso legst du so ein Bild nicht einfach beiseite?
Das ist auch eine Platz- und Kostenfrage: Mein Atelier ist winzig, da muss ich mich entsprechend organisieren. Und gegebenenfalls etwas übermalen.
Kannst du von deiner Kunst leben?
Das wäre schön, ist aber derzeit nicht möglich. Als Familienvater bin ich nicht nur für mich verantwortlich. Deshalb arbeite ich Teilzeit als Graphic Designer.
«Finanzielle Sicherheit schafft dir immerhin eine gewisse Freiheit.»
Leidet deine Kunst darunter?
Das Problem der Kunst ist, dass man auch noch so hart arbeiten kann und es trotzdem passieren kann, dass für eine Zeit lang kein Geld reinkommt. Deshalb rate ich vor allem jungen Künstlern, sich einen Nebenjob zu suchen. Dieser gibt einem finanzielle Sicherheit. Denn wenn man seine Kunst unbedingt verkaufen muss, hemmt das auch die Kreativität.
In einer teuren Stadt ist es sicher noch schwieriger, von der Kunst zu leben.
Genau. Allein schon die Mietkosten des Ateliers sind sehr hoch. Solche Geldsorgen können vor allem für junge Künstler sehr belastend sein. Auf der anderen Seite motivieren sie einen auch, eine Lösung für das Problem zu finden. Man muss kreativ werden und nach anderen Standbeinen suchen.
Du hast solche Standbeine. Neben deiner Arbeit als Graphic Designer bist du auch DJ.
Ja. Meine Lebensgefährtin und ich sind in Zürich als DJ-Duo «Bonnie & Clyde» unterwegs. Ausserdem habe ich das Eventlabel «Wundertüte» mitbegründet, das einmal im Monat im Hive Club eine Party organisiert. Das Extrageld hilft mir, auch meine Malerei am Laufen zu halten. Ausserdem bekommt man da mal für kurze Zeit den Kopf frei.
Die Malerei aufzugeben ist für dich keine Option?
Auf keinen Fall. Das Malen ist meine grosse Leidenschaft. Klar habe ich das Ziel, nur von meiner Kunst zu leben. Sollte das jedoch nicht passieren, wäre es nicht weiter schlimm. Ich habe das Glück und Privileg, daneben Sachen zu tun, die mir Spass machen – und eben Geld bringen.
Wie verkaufst du deine Kunst und wie viel kostet so ein Bild von dir?
Ich arbeite vor allem mit Social Media. Über Facebook und Instagram kann ich den Menschen meine Kunst einfach und kostengünstig zeigen. Mittlerweile kostet ein Bild von mir zwischen 1000 und 7000 Franken.
Wie erlebst du den Schweizer Kunstmarkt?
Ein schwieriges Thema. Man sieht schnell, wie wichtig Referenzen und Kontakte sind. Networking ist mittlerweile oft wichtiger als die Kunst selbst. Wer Leute kennt, rückt schneller ins Rampenlicht. Mit dem Erfolg steigt dann auch der Wert der jeweiligen Kunstwerke.
«Wer sich gut vermarkten kann, hat bessere Karten.»
Muss man sich als Künstler also gut vermarkten können?
Unbedingt. Aber das war schon immer so. Zu meinen grossen Vorbildern der Kunstgeschichte zählen Picasso und Salvator Dalí. Nicht nur, weil sie geniale Kunst geschaffen haben, sondern weil sie sich auch so unglaublich gut inszenieren konnten. Mit ihrer exzentrischen Art haben sie die Menschen begeistert.
Was ist dein grösstes Ziel?
Früher hätte ich gesagt, dass ich ein berühmter Künstler werden will. Doch Prioritäten ändern sich. Heute bin ich Vater eines zweijährigen Sohnes. Mein Hauptziel ist deshalb, dass meine Familie glücklich ist. Wenn ich gleichzeitig auch noch malen kann, dann ist das für mich einfach noch mal ein Bonus.
Dieser Artikel ist nicht gratis.
hellozurich steht für eine vielfältige und tolerante Stadt. Wir erzählen Geschichten von Menschen und Orten, die Zürich prägen. Unser Engagement kostet Geld. Als unabhängiges Magazin sind wir auf deine Hilfe angewiesen.
Unterstütze uns ab 8 Franken pro Monat und erhalte als Supporter den hellozurichPass. Mit unseren Partnern offerieren wir dir über 200 exklusive Vorteile.