Endstation Bucheggplatz
Der Verkehrsknotenpunkt Bucheggplatz ist wohl nicht der schönste, aber auch nicht der hässlichste Ort der Stadt. Eine surreale Verkehrskanzel bleibt ein ungelöstes Rätsel.
Früher gab es an mehreren Orten in der Stadt sogenannte Verkehrskanzeln. Die blau-weissen Zylinder boten Platz für gerade mal einen Verkehrspolizisten oder eine -polizistin, der oder die darin stehend mit weissen Handschuhen, Trillerpfeife und Handzeichen den Verkehr regelte. Solche Kanzeln gab es am Bellevue, an der Uraniastrasse, bei der Münsterbrücke, am Pfauen – und zuletzt noch am Central, wie verschiedene Medien berichteten.
Nachdem dort städtische Mitarbeitende die letzte ihrer Art am 10. September 2024 demontiert haben, sind die Verkehrskanzeln komplett aus der Limmatstadt verschwunden. Am Bucheggplatz allerdings scheint eine verwandte Spezies überlebt zu haben.
An dem vom Verkehr dominierten Platz gelangen zu Fuss Gehende über rot gestrichene, metallene Wendeltreppen hinauf zur vierteiligen Passerelle. Oben gibt es im zylinderförmigen Kern der Treppen jeweils einen Einlass, der eine Person eintreten lässt und so den Abschluss des Wendeltreppen-Zylinders ebenfalls zu einer Art Kanzel macht. Wer in dieser Röhre zu gestikulieren beginnt, würde allerdings kaum Beachtung finden – weder bei den Trams, Bussen und Taxis, geschweige denn bei Passanten, die unten anderweitig gelenkt respektive selbstorganisiert unterwegs sind.
Zu regeln gibt es also nichts, und so wirft das eigenartige Objekt Fragen auf. Wonach soll man von diesem metallischen Mastkorb eines imaginären Schiffs Ausschau halten?
Zu regeln gibt es also nichts, und so wirft das eigenartige Objekt Fragen auf. Wonach soll man von diesem metallischen Mastkorb eines imaginären Schiffs Ausschau halten? Ist die Kanzel vielleicht ein «Känzeli», das Wanderer zum Bestaunen der – zugegebenermassen nicht unbedingt spektakulären – Aussicht einlädt? Oder spielt die Kanzel gar auf die Zwinglistadt an: Was würde man einer – bloss vorgestellten – Gemeinde als selbst ernannter Geistlicher hier von oben herab predigen wollen?
Denkbar, dass sich der Zürcher Architekt Werner Stücheli (1916–1983) bei der «Fussgängerbrücke Bucheggplatz», wie das Bauwerk offiziell heisst, sich mit diesem Detail eine kleine Spielerei erlaubte, einen kleinen irrationalen Kontrapunkt zur sonst so funktionalen Konstruktion. Offenbar baute er die Kunst am Bau nahtlos in die Stahlkonstruktion ein.
Fest steht jedenfalls: Am Bucheggplatz, wo Trams der Linie 15 wenden, ist sonst alles auf Zweckmässigkeit ausgerichtet. Der Bucheggplatz bringt öffentliche und individuelle Mobilität unter einen Hut. Bus, Tram, Taxi, Denner, Kiosk, Marronistand und Automaten – was will man mehr.
Aus der Luft wird die Grossform des heutigen Bucheggplatzes erkennbar: ein ovaler, dreispuriger Kreisel, den einige Tram- und Busperrons durchschneiden und in dessen einer Hälfte die Wendeschleife des Trams liegt.
Aus der Luft wird die Grossform des heutigen Bucheggplatzes erkennbar: ein ovaler, dreispuriger Kreisel, den einige Tram- und Busperrons durchschneiden und in dessen einer Hälfte die Wendeschleife des Trams liegt. Dazwischen bleibt Platz für Bäume, Hecken und Wiesen. Und ein Mehrfamilienhaus ist im Innern des Fahrbahn-Ovals aus einer früheren Zeit übriggeblieben. Die vierteilige Passerelle erinnert von oben mit ihrer Drehsymmetrie ein wenig an eine Swastika – sie wird allerdings auch, etwas unverfänglicher, als Personenüberführung «Spinne» bezeichnet. Über einen ihrer Arme gelangen zu Fuss Gehende geradewegs zu jenem Strässchen, das hinauf auf den Käferberg führt. Hier fühlt man sich unversehens in eine ländlich-idyllische Umgebung versetzt. Ein schmuckes, herausgeputztes Häuschen wie aus einem Dorf steht hier am Wegrand.
Wenn der mit Metallrohren beladene Saurer-Lastwagen ins Tram krachte oder ein Velo nach einem Zusammenstoss mit einem anderen Vehikel auf dem Boden lag, drückte der Fotograf des stadtpolizeilichen Erkennungsdienstes auf den Auslöser.
Auf Aufnahmen aus den 1930er-Jahren taucht der Bucheggplatz unter anderem auf, weil sich auf der damals gepflästerten Verkehrsfläche auch mal Unfälle ereignet hatten: Wenn der mit Metallrohren beladene Saurer-Lastwagen ins Tram krachte oder ein Velo nach einem Zusammenstoss mit einem anderen Vehikel auf dem Boden lag, drückte der Fotograf des stadtpolizeilichen Erkennungsdienstes auf den Auslöser. Einzelne auf diesen Aufnahmen abgebildete Gebäude lassen sich bis heute identifizieren. Dabei wird zugleich deutlich, wie stark sich der Ort seit damals gewandelt hat.
Seine heutige Form erhielt der Platz Anfang der 1970er-Jahre. Der Bucheggplatz mag nicht der schönste Platz der Stadt geworden sein – aber auch nicht der hässlichste. Mit seinen gefühlt permanent vorhandenen Baustellen-Containern und -einzäunungen ist er zweifellos eine typische Schweizer Verkehrsfläche: Irgendwo muss immer etwas verbessert werden.