Endstation | Stadt & Geschichte

Fünf kurze Stopps – und schon am Stadtrand

Text & Fotos: Ueli Abt

Die Buslinie 64 bringt Passagiere vom Bahnhof Oerlikon zur Endstation Maillartstrasse. Gut, gibt’s hier einen Quartierbus – zu Fuss unterwegs zu sein ist im gross dimensionierten ehemaligen Industriegebiet für historisch interessierte Stadtwandernde dennoch empfehlenswert.

Der fünfte Stopp ist bereits die Endstation. Und doch liegt das urban gewordene Oerlikon gefühlt meilenweit entfernt. Wohneinheiten hier wie dort, Krippen inklusive: Die Haltestelle Maillartstrasse liegt eingeklemmt zwischen zwei grossen Überbauungen. Es hat auch noch für einen dreieckigen Kiesplatz mit Spielplatz-Kletterturm gereicht. Quasi als Naht zwischen Strasse und Platz fliesst der Binzmühlebach. Ein Rinnsal zwar, aber ein ganz nettes – glasklar und mit Wasserpflanzen.

Ein paar Stege führen entlang des Trottoirs über das Bächlein. Mit Robert Maillart hat diese spröd-idyllische Haltestellensituation nicht direkt etwas zu tun. Irgendwie aber doch, wie man später noch sehen wird.

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Eine eigentliche Wendeschleife gibt es an dieser Endstation nicht – immerhin liegt rund zehn Meter von den Haltestellen entfernt so etwas wie ein Kreisel. Der reicht gerade zum Wenden der Busse, wenn der Chauffeur das Trottoir als seine Fahrbahn hinzunimmt.

Hier fühlt man sich als Spaziergänger*in ganz klein.

Die Linie 64 gibt es seit gerade mal 20 Jahren. 2001 reagierten die VBZ auf das Bevölkerungswachstum im Zentrum von Zürich Nord und sorgten mit der Quartierbuslinie 64 für eine bessere ÖV-Erschliessung im 15-Minuten-Takt. Weisse Flecken auf der bisherigen Karte des ÖV-Netzes dürften bei der Entstehung der Endstation Maillartstrasse und der Linie 64 eine tragende Rolle gespielt haben: Laut VBZ-Sprecher Tobias Wälti spricht man von einer Erschliessungslücke, wenn mehr als 300 Einwohner*innen ausserhalb von 400 Metern Luftlinie um eine Haltestelle wohnen.

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Diese Linie 64 führt heute durch ein Gebiet mit industrieller Vergangenheit. Das zeigt sich auch an der Blockgrösse, bei welcher man sich als Fussgänger*in nach ein paar Schritten eine Nummer zu klein fühlt angesichts der hier vorherrschenden Dimensionen. Man lernt dabei schnell, auf Schilder mit dem Sackgasse-Symbol zu achten. Denn das simple Schachbrettmuster trügt: Ähnlich einem Labyrinth führt nicht gerade jeder erstbeste Weg zum Ziel.

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Die Industrie ging, die Dienstleistungen kamen, wie die Firmenschilder an den diversen Businesskomplexen und Hallen zeigen. Das Toro-Building ist ein Bürokomplex, dessen Markenzeichen in Form einer Skulptur an die New Yorker Börse erinnert. Tatsächlich aber ist es ein letzter Hinweis auf das verschwundene Stierenried aus den Zeiten, als Oerlikon noch ein Bauerndorf war. Die damalige Maschinenfabrik Oerlikon hatte einst das Feuchtgebiet gekauft, fusionierte später mit der BBC und ging schliesslich in der schwedisch-schweizerischen ABB auf. Im Quartier bleibt die ABB präsent, so auch mit dem zusammen mit den EWZ gebauten Unterwerk Oerlikon: Es soll dank innovativer Technologie besonders umweltfreundlich sein.

Der Stier erinnert daran, dass Oerlikon einst ein Bauerndorf war.

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Obwohl man sich von der Skala her nicht auf Anhieb am richtigen Platz wähnt – das Gebiet hat auch seine menschlichen Seiten. Von der Endhaltestelle aus gleich um die Ecke gibt es in einer früheren Industriehalle ein «Brocki der zweiten Chance». Ausgedientes kann gegen Bezahlung in zweite Hände gelangen, den dort arbeitenden Menschen wird in den ersten Arbeitsmarkt zurückgeholfen. Eine drei Meter hohe Zwingli-Statue mit Schutzmaske erinnert hier an ein vor Monaten gefeiertes Konfessions-Jubiläum mit Glasfaserkunststoff-Zwinglis in allen Stadtkreisen.

Zwingli gehört zu jenen historischen Persönlichkeiten, die auf dem Plan des VBZ-Streckennetzes auftauchen – zusammen mit Segantini, Bürkli, Rudolf Brun und Bernoulli. Klar, die Stationsnamen leiten sich von Plätzen oder Strassen ab. So ist es auch hier: Die Robert-Maillart-Strasse zweigt unweit der Endhaltestelle ab.

Robert Maillart gab der Station zwar seinen Namen, hatte aber keinen Bezug zum Quartier.

Zürich Nord hat es ja zweifellos mit den Personen-Strassennamen. Vom Anfangs- bis zum Endpunkt der Linie 64 kann man denn auch praktisch durchwegs zu Fuss entlang solcher Verewigungen gehen. Einfach die Therese-Giehse-Strasse runter bis zum Max-Bill-Platz. Weiter dem Armin-Bollinger-Weg entlang, ein paar Schritte auf der Brown-Boveri-Strasse nach links, dann in die Eduard-Imhof-Strasse gebogen. Die nächste Querstrasse ist schon die Robert-Maillart-Strasse.

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Gemäss Zürcher Stadtarchiv kamen die Vornamen auf den Strassenschildern ab den 1920er-Jahren auf. Während es früher noch eine schlichte Zwinglistrasse oder eine Gessnerallee tat, darf es heute auch gern ein Hans-Behn-Eschenburg-Weg sein.

Die Persönlichkeiten, oftmals mit Pioniergeist, haben zwar einen Bezug zu Zürich, meistens aber keinen zum Quartier. Wie im Fall von Robert Maillart: ein Ingenieur, der an der ETH Zürich sein Studium absolvierte und später fürs städtische Tiefbauamt arbeitete. 1872 in Bern geboren, starb er 1940 in Genf.

Robert Maillart war auf Überbrückungen spezialisiert, wobei es sich aber nicht um Stege über kleine Bäche handelte. Stahlbeton war in seiner Zeit neu, Brücken mit eleganten Bögen kamen auf. Maillart baute einige davon in den Alpen. Ein frühes Werk schuf er in der und für die Stadt Zürich: die Stauffacherbrücke mit den beiden Bronzelöwen-Pfeilern.

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Adresse

Maillartstrasse
8050 Zürich

Infos

Der 64er-Bus verkehrt zwischen Bahnhof Oerlikon und Maillartstrasse. Für diese Strecke benötigt der Bus ungefähr vier Minuten. Zum Fahrplan geht’s hier.