«Im Feminismus geht es nicht nur um Frauenrechte»
Nils Jocher ist Präsident des Vereins «Die Feministen», der in Zürich seinen Hauptsitz hat. Mit uns hat Nils über toxische Männlichkeit, den Frauenstreik und menschenverachtende Dynamiken gesprochen.
Am 14. Juni streiken Frauen in der ganzen Schweiz. Wie verbringst du als Feminist diesen Tag?
Ich gehe um 10 Uhr nach Liestal und stelle dort Festbänke auf. Am Mittag schöpfe ich mit anderen Feministen Suppe für die hungrigen Frauen. Einige von uns betreuen Kinder und nach dem Aufräumen gehen wir gemeinsam zur grossen Demonstration nach Basel. Dazwischen muss ich noch an die Uni, um eine Prüfung abzulegen – leider wurde es uns nicht erlaubt, diese zu verschieben. Aber auch da werde ich natürlich mein violettes feministisches Bandana tragen und so ein Zeichen setzen.
Wie reagierst du auf Männer, die sich vom Streik ausgeschlossen fühlen?
Ich fordere sie verständnisvoll auf, sich mit ihren eigenen Rollen in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Auch erkläre ich ihnen, dass sie den Streik gerne unterstützen können – aber im Hintergrund. Es geht an diesem Tag nicht darum, dass man als Mann in den Medien auftaucht oder zuvorderst an den Demonstrationen mitläuft, sondern dass man Frauen diese Auftritte ermöglicht, indem man ihnen ihre üblichen Arbeiten abnimmt. Männer spielen am Streik also durchaus eine Rolle, aber vielleicht einfach eine andere, als sie erwarten oder es sich gewohnt sind.
«Männer spielen am Streik also durchaus eine Rolle.»
Es gibt ja auch Männer – und Frauen –, die den Streik überflüssig finden.
Ihnen rate ich, sich mit den verschiedenen Statistiken auseinanderzusetzen und mit Frauen in ihrem Umfeld über die Themen zu diskutieren. Männer sind deutlich gewalttätiger und begehen mehr Suizide. Frauen sind dagegen in den Kaderpositionen, in der Politik und in den Medien untervertreten. Wenn man sich diese Fakten bewusst macht, merkt man, dass in der Gesellschaft etwas deutlich schiefläuft – und das, obwohl der Gleichstellungsartikel seit 1981 in der Bundesverfassung verankert ist. Und auch im privaten Leben herrschen viele Ungerechtigkeiten. Wie zum Beispiel, dass Frauen viel mehr unbezahlte Care-Arbeiten übernehmen als Männer.
Hast du deshalb die Gruppe «Die Feministen» mitgegründet?
Ich habe im vergangenen Herbst am Campaign Bootcamp teilgenommen. An diesem wurde viel über Gleichstellung diskutiert. Uns war klar, dass es eine feministische Gruppe braucht, die primär Männer abholt und kritisch über Männlichkeit diskutiert. Später haben wir einen Verein gegründet und ich wurde eher spontan deren Präsident.
«Bei uns muss keine Frau ein Protokoll schreiben.»
Wie reagieren Männer auf eure Gruppe?
Unsere gut besuchten Stammtische zeigen, dass sich auch Männer mit feministischen Themen auseinandersetzen wollen. Denn im Feminismus geht’s nicht nur um Frauenrechte, sondern generell um die Gleichstellung aller Geschlechter und das Auflösen von starren Geschlechterstereotypen. Aber natürlich gibt es vor allem ausserhalb meiner Bubble Männer, die auf «Die Feministen» abschätzig reagieren.
Wie denn?
Sie zweifeln beispielsweise unsere Männlichkeit an. Aber darüber muss ich meistens schmunzeln – solche Reaktionen haben wir erwartet, denn schliesslich rütteln wir an bestehenden Gesellschaftsnormen. Frauen dagegen werfen uns eher vor, dass wir meinen, wir hätten den Feminismus erfunden. Aber wir können dann immer schnell klären, worum es uns genau geht – und das finden dann eigentlich fast alle unterstützenswert.
Trotzdem habt ihr im Vereinsvorstand nur zwei Frauen.
Wir haben eine Frauenquote: Mindestens eine Frau muss im Vorstand sein. Aber es geht uns primär darum, Männer zu mobilisieren und zu sensibilisieren. Deshalb wollen wir auch, dass die grösste Arbeit von Männern erledigt wird. Bei uns muss keine Frau ein Protokoll schreiben. Sie berät uns eher strategisch. Dass Frauen für administrative Arbeiten eingespannt werden, während Männer den Ton angeben, gibt es sonst schon oft genug.
Denkst du, dass Frauen ein anderes Verständnis für die Ungleichheiten der Gesellschaft haben?
Ja, klar. Sie erleben schon sehr früh, dass sie anders behandelt werden – und oft auch tagtäglich. Sie müssen sich zwangsläufig mit der Rolle als Frau auseinandersetzen. Männer dagegen überlegen sich kaum, was es für sie heisst, ein Mann zu sein.
Was bedeutet es denn für dich, ein Mann zu sein?
Ich gebe mir grosse Mühe, mich über Eigenschaften zu definieren – und nicht über das Geschlecht. Aber natürlich bin ich auch Teil der Gesellschaft und habe durch mein Geschlecht zahlreiche Privilegien.
Leidest du manchmal unter der toxischen Männlichkeit?
Klar, auch ich bin manchmal ein Opfer von toxischer Maskulinität. Ich habe zum Beispiel nicht gelernt, häufig und offen über meine Emotionen zu sprechen. Auch getraue ich mich selten, Hilfe anzunehmen. Ich habe das Gefühl, dass ich als Mann ja stark sein muss. Natürlich merke ich auch, wenn ich mit anderen Männern zusammen bin, dass viele ungute Geschlechterbilder haben. Sie reissen homophobe Witze oder reduzieren Frauen auf ihr Äusseres. Es sind einfach menschenverachtende Dynamiken.
«Auch ich bin manchmal ein Opfer von toxischer Maskulinität.»
Versuchst du, diese zu brechen?
Es gibt Situationen, in denen ich wenig bewirken kann. Vor allem im Ausgang ist es teilweise ziemlich riskant, wenn ich mich sehr offensiv gegen Antifeminismus wehre. Aber in anderen Momenten versuche ich es anzusprechen. Das klappt meist gut. Das ist auch ein Grund, weshalb wir «Die Feministen» gegründet haben: Die meisten Männer hören leider lieber auf Männer als auf Frauen – auch bei feministischen Themen. Und zumindest dieses «männliche» Privileg, dass unsere Meinung wahrgenommen wird, möchten wir nutzen.
Infos
Am Freitag, 14. Juni, findet zum zweiten Mal der landesweite Frauenstreik statt. Mehr Informationen über «Die Feministen» findest du auf dieser Seite.