Wie ich im Restaurant Wein bestelle
Unser Gastro-Kolumnist Hans Georg «HG» Hildebrandt findet: In einem Restaurant Wein zu bestellen, gleicht einem Opfergang. Deswegen präsentiert er jetzt die Einführung ins Zen des unverschämt wirtschaftlichen Weinbestellens.
Seit Klamotten mich langweilen, gebe ich für nichts so viel aus wie fürs Essen im Restaurant. Beim dazugehörigen Trinken jedoch lasse ich die Vernunft regieren. Klar bestelle ich zum Dinner eine Flasche Wein; er löst Aromen und schmiert das Tischgespräch. Ausserdem weiss ich, dass viele Gastronomen den Umsatz mit dem Wein benötigen. Als Lieferant gewisser Getränke möchte ich keinesfalls als Chnuppensager gelten.
Aber der Wein in der Zürcher Gastrolandschaft kommt mir oft überteuert vor. Deshalb habe ich das «Zen des Nichtexperten» entwickelt; ich hab keinen Ruf zu verlieren, kann mit Glück einzelne Traubensorten auseinanderhalten. Jahrgänge zu unterscheiden, interessiert mich nicht. Was mir bleibt, sind Regionen, deren Weine ich mag und die ein Indikator für gute Küche sind: Languedoc-Roussillon, Piemont, Friaul, Wachau, Pfalz, Ribera Sacra, Priorat, Montsant.
Als Faustregel multipliziere ich den Dezipreis des Hausweines mit 7,5.
Der Nichtexperte weiss: Was in der Flasche lediglich 50 bis 60 Franken kostet, kann mit dem offenen Hauswein in kaum einem Fall mithalten. Als Faustregel multipliziere ich den Dezipreis des Hausweines mit 7,5 und vergleiche ihn mit dem Preis für die billigste Flasche. Liegt diese preislich unter dem Hauswein, ist die Position nur «per äxgüsi» aufgelistet und sollte niemals bestellt werden. Zwei Halbe vom Hauswein machen dann mehr Freude. Interessant wird es knapp darüber. Ich gehe beim Kartenstudium davon aus, dass die Verantwortlichen ihre angenehmen Weine bei zehn, fünfzehn Franken über dem Preis für 7,5 Dezi offenen Hauswein ansiedeln. Dort befindet sich auf den meisten Weinkarten ein schmales Band von ebenso geniessbaren wie bezahlbaren Weinen. Ich bestelle sie, ohne mich jemals dafür zu genieren.
Im Lokal Weine mit Preisen ab 120 Franken zu trinken, wirkt auf mich wie aus der Zeit gefallen (der Zeit, als es noch die berühmten Spesenritter gab, die ihre Kunden mit dem Vernichten unbegreiflicher Mengen sauteurer Weine bestachen). Feiern ist in der Zürcher Gastronomie etwas für eher wohlhabende Leute; ein befreundeter Gastronom hat mir mal von einer Sechser-Runde erzählt, die sich wöchentlich bei ihm traf und jedes Mal rund 1500 Franken für Wein auf der Dolorosa hatte. Sorrygä, aber das sind exklusive Rituale für Neureiche bzw. Menschen aus der Geld- oder Immobilienindustrie (die Schnittmenge ist beträchtlich), aber ohne Relevanz für Geniesser, die für ihren Ausgehbatzen so etwas Gewöhnlichem wie «Arbeit» nachgehen. Es mag Anlässe geben, die eine Ausnahme erlauben – vielleicht die Geburt von Zwillingen oder etwas vergleichbar Grundstürzendes, namentlich eine Erbschaft. Haha.
Geht es jedoch um trink- und bezahlbare Weine für die Date Night mit der Gemahlin oder das Essen mit einem Freund – da reden wir vom erwähnten Preisband zwischen 59 und 89 Franken. Grundsätzlich hört bei mir der Spass bei einem Preis von über 11.50 Franken pro Dezi auf. Ich weiss wie jeder andere, dass Weine dieser Qualitätsklasse für zwischen 30 und 40 Franken in den Shops zu haben sind und gönne mir und einer Gästerunde lieber mal bei einem selbst gekochten Essen zwei oder drei Flaschen davon. Meine Meinung in aller Bescheidenheit: Jeder Gastronom ist moralisch verpflichtet, in diesem Band wenigstens zwei Weine anzubieten, die Freude bereiten. Tut er das nicht, ist er kein guter Gastgeber.
Den Probeschluck lasse ich aus.
In besternten und bepunkteten Häusern scheint es schwieriger, die Nichtexperten-Wahl zu treffen. Vielleicht haben diese Häuser einen Sommelier, der zuverlässig teurere Weine verkaufen will, als wenn man nach der Zen-Regel bestellt. Desto konsequenter wende ich sie an: Beim drittgünstigsten Wein aus einer eher unbekannten Region befindet sich meistens die Sollbruchstelle. Also der Punkt, an dem sich Kellermeister und Treuhänder darüber einig sind, dass man dem Gast lieber etwas Schlaues anbieten sollte, statt ihn zum Ausgeben von dreistelligen Beträgen allein für eine Flasche Wein zu zwingen – das wirkt sich nämlich auf die Lust am Bestellen der Speisen aus. Ich schenke also dem Somm ein warmes Lächeln und bestelle kühl die Zen-Position, ohne mich auf Gespräche einzulassen.
Kommt der Wein dann an den Tisch und muss degustiert werden, befolge ich eine weitere Regel, die mir einst Wolfram Meister, Chefredaktor der Schweizer Weinzeitung, nahelegte: «Einschenken lassen, ein Mal riechen. Vierteldrehung und wieder riechen.» Einen allfälligen Korkschmecker sollte man so denunzieren können, weitere Nuancen kommen erst später zum Vorschein. Den Probeschluck lasse ich aus, genau wie kennerisches Herumrollen des Weines im Mund und, ebenfalls schlimm, brutales Gläserschwenken. So hoffe ich, beim Kellner wie beim Gastgeber als pflegeleichter Gast rüberzukommen, den man trotz Zurückhaltung beim Weinbestellen gerne wieder empfängt.
Boucherville, 8006 Zürich (vorteilhafte Aktionen für Private, gute Rieslinge und Grüne Veltliner)
Brancaia, 8008 Zürich (tolles Angebot aus Spanien, immer Aktionen mit vorteilhaften Preisen, eigene Chianti-Linie)
Kummer Wein, 8008 Zürich (mein Dealer in der Nachbarschaft, es gibt immer Entdeckungen zu machen)
Smith & Smith, 8045 Zürich (immer wieder mal 20-%-Aktionen, Open Bottle Days, souveränes Katalonien-Angebot)
Südhang, drei Filialen (sehr empfehlenswerte Weine aus Frankreich)
Paul Blume Wein, 8048 Zürich (wenn Naturweine, dann hier)
Reb-Wein, 8037 Zürich (tolles Angebot aus Südfrankreich)
Bonus-Tipp: Kürzlich entdeckt, für Wein-Nerds ohne Schmerzempfinden: Sonne Seuzach, wird von einem ehemaligen Banker geführt, der seinen Weinkeller teils auf Auktionen bestückt und fast ohne Aufschlag weiterverkauft.