Blamage mit zwei Sternen – für den Schreiber
Bei schönster Aussicht über die Stadt Zürich wurde unser Kulinarik-Kolumnist Hans-Georg «HG» Hildebrandt im The Restaurant von Heiko Nieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Eine Lektion in Demut.
Ab und zu loben Gäste oder die Familie meine Fähigkeiten, was das Komponieren vielschichtiger Aromen in einer Sauce angeht. Ich investiere jeweils gern einige Arbeit in meine Gerichte und freue mich, wenn ein schönes Geschmacksprofil gelingt. Als ich kürzlich von einer bekannten Superluxus-Champagnermarke ins Dolder Grand zum Kochkurs eingeladen wurde, hoffte ich deshalb, bei Küchenchef Heiko Nieder etwas Lob einheimsen zu können für meine Skills. Mir wurde die Anwesenheit ebensolcher jedoch leider nicht bescheinigt.
Schon beim Schnittlauchschneiden schnefelte ich mir fast eine Fingerbeere ab, weil ich (Jahrgang 1966) Heiko (Jahrgang 1972) einen Handgriff abgucken wollte. Doch das geht nicht so schnell – man muss die Bewegung über Jahre in sein Muskelgedächtnis einschmelzen lassen. Denn schneide mal Schnittlauch so, «dass man es nicht hört». Und gleichzeitig versuchst du, bei jedem Schnitt exakt gleich lange Röllchen hinzukriegen und derweil das Messer wie ein Profi zu halten (der du nicht bist): am Griff und gleichzeitig am hinteren Absatz der Klinge, weil du so mehr Kontrolle hast. Kurz: Es war ernüchternd. Und auch beim Filetieren der Dorade schiffte ich ab. Das arme Tier sah nach meiner Behandlung aus, als wäre es bei einem Barrakuda in der Physiotherapie gewesen.
Der Krug ist mithin zum Brunnen gegangen, bis er brach.
Ich seufzte und griff zum Champagnerglas, zog mich in die hinteren Reihen zurück und beschloss, in Zukunft bescheidener zu sein. Der Krug (Wortspiel! Unsere kleine Autor*innenbande war von Champagne Krug eingeladen) ist mithin zum Brunnen gegangen, bis er brach.
Ist aber alles wurst, man muss ja nicht kochen können wie Heiko Nieder, von dem immer wieder mal die Rede geht, er werde bald seinen dritten Michelin-Stern bekommen. Er hat nämlich – gemeinsam mit seinem Team – kürzlich nach dreijähriger Projektarbeit ein Kochbuch herausgegeben; es ist ein massiver Türstopper von rund vier Kilo Gewicht, fotografiert von Fabian Häfeli und verfasst und rezeptiert von Kollege David Schnapp. Wie Heiko Nieder anlässlich der Lancierung sagte (es gab auch da Champagner und das Essen war von berufeneren Leuten als mir zubereitet), ist dieses Buch «nicht für den Hausgebrauch gedacht». Die Vorgänge seien zu komplex und erforderten zu viel Zeit, aber vor allem auch zu viele Hände, um ein vernünftiges Timing auf die Reihe zu bringen.
Also übernehme ich Kombinationen wie weisse Schoggi mit grünen Oliven und Kirsche. Oh Mann!
Nun, man darf sich ja trotzdem inspirieren lassen. Und das sollte man unbedingt, wenn man wie ich gerne kocht und auch mal den Ehrgeiz mit sich durchgehen lässt. Also stöbere ich in ruhigen Momenten ein bisschen in Heiko Nieders Buch und übernehme die eine oder andere überraschende Kombination, etwa Pfirsich mit Pimentón de la Vera und Seeigel oder weisse Schoggi mit grünen Oliven und Kirsche, Magermilchschaum und Rosmarin-Crumble. Oh Mann!
Wenn ich allerdings etwas von Heiko gelernt habe, ist es dies: Seehecht ist ein unterschätzter Fisch, wie ich anderswo bereits erwähnt hatte. Im The Restaurant des Dolder Grand wird sehr oft Seehecht serviert. Natürlich keine simple Merluza wie am Atlantik in Galicien – aber es sei einfach noch mal darauf hingewiesen, dass dieser Fisch nicht den Respekt geniesst, der ihm zusteht. Doch ich werde den Teufel tun und hier ein komplexes Rezept auflisten. Einen besseren Dienst tue ich der geneigten Leserschaft mit der Veröffentlichung des Dashi-Fonds aus dem Buch «Heiko Nieder – The Restaurant». Das ist Luxus, den man bei jedem Fischgericht zum Einsatz bringen kann.
Dashi-Fonds aus dem Buch «Heiko Nieder – The Restaurant»
Das braucht man:
- 1,4 kg Jakobsmuschelfleisch
- 180 weissfleischiges Fischfilet, z. B. Seehecht ; - )
- 1 kg Eiswürfel
- 70 ml weisse Sojasauce
- 4 ml Fischsauce (Nam Pla)
- 30 ml Mirin
- 10 ml 5 Jahre gereifter Mirin
- 75 ml Sake
- 2 g Bonitoflocken (Katsuobushi)
- 5 g Kombu-Algen
- 2 g getrocknete Jakobsmuschel
- 1 g Koriandersamen
- 15 g flache Petersilie
- ½ Lorbeerblatt
- 50 g Shiitake-Pilze
So geht’s:
Jakobsmuschel- und Fischfleisch grob pürieren, mit den übrigen Zutaten vermengen und zusammen mit den Eiswürfeln abgedeckt 12 Stunden kalt stellen. Das Mazerat in einem breiten Topf unter ständigem Rühren langsam aufkochen. 30 Minuten leicht köcheln lassen. Durch ein feines Passiertuch abseihen. In kleinen Portionen einfrieren, was man nicht sofort verwendet.
Restaurant-Tipp des Monats: Blaue Ente in der Mühle Tiefenbrunnen
Die Blaue Ente war vor vielen Jahren das Lieblingsziel einer Generation von kreativen Freiberufler*innen, die sich heute schon fast aus dem gesellschaftlichen Leben verabschiedet hat. Nach ein, zwei erlebten Fehlstarts glaube ich, dieses Lokal wieder empfehlen zu können. Zu (für Zürcher Verhältnisse) vernünftigen Preisen kann man hier regionale Delikatessen geniessen, die Weinkarte ist mit viel Feingefühl komponiert. Der Hof der einstigen Mühle ist im hoffentlich doch noch stattfindenden Sommer ein geschützter Ort, dem die Nähe des Sees noch anzumerken ist. Das Mühlerama um die Ecke strahlt kulinarische Kompetenz aus. Wir genossen eine Leckerei von der Entenleber und anschliessend eine Bouillabaisse von Süsswasserfischen, die teils aus dem Zürichsee stammten. Dazu genehmigten wir uns einen hervorragenden Weisswein aus der traditionsreichen, aber fast vergessen gegangenen Traube Elbling. Das Seefeld ist kein Trendquartier mehr, doch gerade deshalb ist hier eher ein Platz zu finden als in den überlaufenen Hip-Lokalen Albisriedens.
Adresse
Blaue Ente
Kulturareal Mühle Tiefenbrunnen
Seefeldstrasse 223
8008 Zürich
+41 44 388 68 40
Website