Stadt & Geschichte | Zeitreise

Der Uhrenma­cher des Schahs

Am 16. Oktober 1637 war die Zeit des Zürcher Uhrmachers Rudolf Stadler abgelaufen. Im Alter von 32 Jahren wurde der erste Hofuhrmacher des Schahs von Persien in Isfahan mit dem Schwert hingerichtet. Seine Geschichte mutet an wie eine Erzählung aus Tausendundeiner Nacht.

Als der designierte kaiserliche Gesandte Johann Rudolf Schmid, der spätere Johann Rudolf Freiherr zum Schwarzenhorn, 1627 in heikler diplomatischer Mission von Wien nach Konstantinopel reiste, befand sich in seinem Gefolge auch ein Uhrmacher, der damals 22-jährige Johann Rudolf Stadler aus Zürich. Uhrmacher waren an der Hohen Pforte gefragt, denn Uhren, besonders komplizierte Automatenuhren, gehörten zu den jährlichen Tributzahlungen des Kaisers an den Sultan und zu den begehrtesten diplomatischen Geschenken der Epoche. Sie bedurften ständiger fachmännischer Wartung und Pflege. Es ist bezeichnend, dass sich Johann Rudolf Schmid auf dem Höhepunkt seiner Karriere als kaiserlicher Grossbotschafter in Konstantinopel neben einer prunkvollen Tischuhr porträtieren liess. Die Wiener nannten solche Geschenke spöttisch «Türkenverehrung».

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Von Johann Rudolf Stadler gebaute Uhren sind nicht erhalten. Die um 1580 in Augsburg entstandene Automatenuhr mit osmanischem Reiter im Historischen Museum Basel vermittelt einen guten Eindruck der im 16. und 17. Jahrhundert als integraler Teil der Tributzahlungen des Kaisers an den Sultan verwendeten Uhren.
Historisches Museum Basel, Natascha Jansen

Kooperation

Dieser Artikel ist ursprünglich auf dem Blog des Landesmuseums erschienen. Dort gibt es regelmässig spannende Storys aus der Vergangenheit. Egal ob Doppelagent, Hochstapler oder Pionier. Egal ob Künstlerin, Herzogin oder Verräterin. Tauche ein in den Zauber der Schweizer Geschichte.

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Rudolf Stadlers Herkunft

Über die diplomatische Karriere des in Stein am Rhein als Sohn des Fernhändlers und Bergbaufachmanns Felix Schmid und der Konstanzer Patriziertochter Elisabeth Hürus geborenen Johann Rudolf Schmid sind wir gut informiert. Über Johann Rudolf Stadler lässt sich eruieren, dass er ein Sohn des Zürcher Hafners und Zieglers Erhart Stadler und der Pfarrerstochter Beatrix Hochholzer war und seine Lehre vermutlich bei dem 1612 von Winterthur nach Zürich umgezogenen Uhrmacher Joachim Liechti absolvierte. Wie genau Stadler in das Gefolge Schmids gelangte, wissen wir nicht. Verwandt waren die beiden entgegen der aus einem erbaulichen Traktat des frühen 19. Jahrhunderts stammenden Angabe nicht. Aber zwei andere Spuren führen nach Stein am Rhein: Stadlers Mutter Beatrix Hochholzer war die Tochter von Samuel Hochholzer, 1590 bis 1606 Steiner Stadtpfarrer, und sein Onkel Hans Ulrich Stadler, Steinmetz und Zwölfer der Zürcher Zimmerleuten-Zunft, wirkte von 1612 bis 1619 als Klosteramtmann in Stein am Rhein. Rudolf Stadlers Eltern liessen sich 1598 in der dortigen Stadtkirche trauen. Daraus ergeben sich immerhin ein paar mögliche Anknüpfungspunkte.

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Porträt von Johann Rudolf Schmid, circa 1770.
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Nach der Ankunft Stadlers in Konstantinopel ging zunächst alles gut. Nachdem er ein Jahr lang im Dienst Schmids gestanden hatte, machte er sich als Uhrmacher selbstständig. 1631 muss es zu einem schweren Zerwürfnis zwischen den beiden gekommen sein. Schmid, offizieller kaiserlicher Resident am Hof des Sultans, war mit der brisanten Aufgabe betraut, die Türkei vom Eingreifen in den Dreissigjährigen Krieg abzuhalten. Mit dem Kriegseintritt Schwedens hätte sich den Türken eine günstige Gelegenheit zu einem Zweifrontenkrieg gegen das Habsburgerreich geboten. Die Gesandten Hollands, Frankreichs, Englands und ab 1631 auch Schwedens liessen nichts unversucht, um den Sultan zum Kriegseintritt zu bewegen. Sie verfügten über viel grössere finanzielle Mittel als der kaiserliche Resident, waren ihm aber bezüglich der Kenntnisse des osmanischen Machtapparates und der türkischen Sprache und Mentalität unterlegen, denn Schmid hatte 20 Jahre lang in türkischer Gefangenschaft, zuletzt als Sprachsklave am Serail, gelebt. In dieser brisanten Situation bezog der Zürcher Protestant Rudolf Stadler die gegenteilige Position seines mittlerweile katholischen Landsmanns und nahm für die Schweden Partei. Das konnte nicht gut gehen. Nach dem politischen und persönlichen Konflikt, in dem es offenbar auf Leben und Tod ging, wohnte Stadler in der Residenz des holländischen Gesandten Cornelius van Haag, des gefährlichsten Gegenspielers von Schmid.

Stadler, so versicherten Taverniers Gewährsleute, soll der erste Uhrmacher überhaupt gewesen sein, der nach Persien gelangte.

Als 1632 der französische Hugenotte, Juwelier und Orientreisende Jean-Baptiste Tavernier auf dem Weg nach Isfahan in Konstantinopel vorbeikam, bot sich für Stadler die Gelegenheit, mitzureisen. Das war wohl im Sinn aller Beteiligten. Tavernier dokumentierte die Reise in seinen Tagebüchern. Die 1676 unter dem Titel «Les six voyages de Jean-Baptiste Tavernier … en Turquie, en Perse et aux Indes» im Druck erschienenen Aufzeichnungen geben unvergleichliche Einblicke in die damalige Welt des Orients und berichten ausführlich vom Aufstieg und Fall des Reisegefährten Johann Rudolf Stadler am Hof des safawidischen Herrschers in Isfahan. Stadler, so versicherten Taverniers Gewährsleute, soll der erste Uhrmacher überhaupt gewesen sein, der nach Persien gelangte. So war denn auch die erste Uhr im Besitz von Schah Safi I. sein Werk. Als diese kleinformatige Uhr, die der Schah an einer goldenen Kette um den Hals trug, defekt war, liess er den Zürcher Uhrmacher für die Reparatur an den Hof kommen.

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Stadlers Mitfahrgelegenheit: Jean-Baptiste Tavernier.
Wikimedia / Rijksmuseum

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Titelblatt der 1681 von Johann Hermann Widerhold in Genf gedruckten, deutschen Ausgabe von «Les six voyages de Jean-Baptiste Tavernier».
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Aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich offenbar ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden. Stadler soll dem Schah von da an jeden Morgen die Aufwartung gemacht haben, nicht nur, um die besagte Uhr aufzuziehen und zu warten, sondern auch für einen informellen Schwatz über alles, was ihm in der Stadt so zu Ohren gekommen war, und zu einem ersten Gläschen Wein, den sowohl die Perser als auch die Türken mit dem arabischen Wort šarāb bezeichnen, von dem unter anderem das deutsche Fremdwort Sirup kommt. Dabei soll der Schah den Uhrmacher mehrfach dazu aufgefordert haben, vom Christentum zum Islam überzutreten, um ihn noch stärker an sich zu binden. Davon wollte Stadler, der inzwischen mit einer nestorianischen Christin zusammenlebte, allerdings nichts wissen.

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Schah Safi I. pflegte eine enge Beziehung zum Schweizer Uhrmacher Johann Rudolf Stadler.
Wikimedia

Bis zu diesem Zeitpunkt berichtet Tavernier als Zeitzeuge. Über alles Weitere musste er sich Jahre später aus zweiter Hand informieren, als er nach Stadlers Tod wieder in Isfahan vorbeikam. Dafür weilte von August bis Dezember 1637 eine holsteinische Handelsdelegation in Isfahan, der unter anderen der Arzt und Barockdichter Paul Fleming und der Diplomat und Reiseschriftsteller Adam Olearius angehörten. Beide standen mit Stadler in persönlichem Kontakt, waren Augenzeugen bei seiner Hinrichtung und haben postum über sein Schicksal berichtet.

Da er als Ungläubiger einen Gläubigen umgebracht hatte, konnte er die Todesstrafe nur durch den Übertritt zum Islam abwenden.

Am Ende rollte Stadlers Kopf

Aus den Reisebeschreibungen von Tavernier und Olearius, die in Details voneinander abweichen, lässt sich der Ablauf der Ereignisse, die schliesslich zu Stadlers Hinrichtung führten, recht zuverlässig rekonstruieren: Als Stadler von einem Empfang der besagten holsteinischen Gesandtschaft nach Hause kam, fand er gemäss Olearius einen Dieb, gemäss Tavernier einen Nebenbuhler vor, den er nach einem Handgemenge erschoss. Da er als Ungläubiger einen Gläubigen umgebracht hatte, konnte er die Todesstrafe nur durch den Übertritt zum Islam abwenden. Dazu war er zum Verdruss des Schahs nach wie vor nicht bereit. Ob er schliesslich auf Betreiben der Verwandten des Opfers und der islamischen Geistlichkeit oder des Grossschatzmeisters, der Stadler feindlich gesinnt war, in den Kerker gelegt und hingerichtet wurde, bleibe dahingestellt.

Auf jeden Fall führten die Umstände seines Todes auf dem berühmten, 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhobenen Meidan-e Schah (Königsplatz), heute Meidan-e Emam (Imamplatz), und die späteren Berichte über die Hinrichtung dazu, dass er als christlicher Märtyrer verehrt wurde. Das Grabmal, über dem armenische Christen schon in der Nacht nach der Bestattung Engel gesehen haben wollten, wurde zur Wallfahrtsstätte und musste regelmässig ausgebessert werden, da die Pilger jeweils ein kleines Stück des aus einem Sarkophag, vier Säulen und einem Dach bestehenden Bauwerks mit nach Hause nahmen. Der schlichte Steinsarg befindet sich noch heute vor Ort, die Grabbauten sind verschwunden. Dass Johann Rudolf Stadler mütterlicherseits ein Urenkel jenes Zürcher Chorherrn Johann Jakob Wick war, der wie besessen Einblattdrucke, Flugschriften und Nachrichten sammelte, die Jahrhunderte später in der Zeitungssparte «Unglücksfälle und Verbrechen» erschienen wären, gehört zu den überraschenden Zufällen der Geschichte.

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Darstellung der Hinrichtung von Johann Rudolf Stadler auf dem Meidan-e Schah in der dritten, 1663 erschienenen Auflage der Reisebeschreibung von Adam Olearius.
Universitätsbibliothek Heidelberg

Jean-Baptiste Tavernier und die Waadt

Jean-Baptiste Tavernier hatte eine offensichtliche Schwäche für das Waadtland. Schon in den Notizen zu jener Reise von Konstantinopel nach Isfahan, auf der ihn Stadler begleitete, vergleicht er die Gegend um Eriwan mit der Waadt: «Ich weiss dieses Gebirg sowohl wegen der Thäler und Flüsse, als auch der Beschaffenheit des Erdreichs mit nichts besser zu vergleichen, als mit dem herrlichen Stuck Landes in der Schweiz, so man le Pays de Vaux nennet; ja so gar hält man, (wie die Alten erzählen) davor, dass diese Völcker, die zwischen den Alpen und dem Berg Jura, davon Alexander eine Legion Soldaten hatte, nachdem sie ihm eine Zeit lang gedienet, in dieser Gegend von Armenien still gelegen, und weilen sie solche ihrem Land gantz ähnlich gefunden, ihre Wohnugen daselbst aufschlagen wollten» (zitiert nach der 1681 bei Johann Hermann Widerhold hin Genf gedruckten «Beschreibung der Sechs Reisen, welche Johan Baptista Tavernier … in Türckey, Persien und Indien innerhalb viertzig Jahren … verrichtet»). 1670 erwarb Tavernier schliesslich die Herrschaft Aubonne und liess das Schloss sanieren und umbauen. Dabei erhielt der ursprünglich rechteckige Schlossturm sein charakteristisches, an ein orientalisches Minarett mit russischem Kuppeldach erinnerndes Äusseres, das ihn zum Wahrzeichen der Gegend um das ehemalige Landstädtchen und das Flüsschen Aubonne macht.

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