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«Die Kunst gehört zum Haus»

Text: Eva Hediger Fotos: Jasmin Frei

Hinduistische Götter, die Jesus-gleich übers Wasser schreiten, lebensgrosse Holzfiguren und kopierte Stillleben: Die Villa von Pius Müller ist voller Kunst und Erinnerungsstücke, die der ehemalige Galerist und Reiseleiter in den letzten Jahrzehnten gesammelt hat. Wir haben ihn in seinem Zuhause im Seefeld besucht.

Die Zollikerstrasse sei eine der schönsten Strassen Zürichs, sagt Pius Müller. Sie erstreckt sich vom Kreuzplatz bis nach Zollikon und führt durch das Seefeld. An diesem Abschnitt der Strasse stehen moderne Mehrfamilienhäuser und alte Villen.

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In einer lebt Pius mit seiner Frau und zwei Hunden. Wer am Gartentor klingelt, wird stürmisch von den beiden Tieren begrüsst. Pius steht in der Tür und lädt in die Küche ein, seinen Lieblingsort in der Villa. Hier gibt es zwar weder Seesicht noch Stuckaturen wie in den anderen Räumen, dafür gemütliches Beisammensein. «Früher hatten wir über Mittag oft bis zu 20 Gäste», erzählt Pius. Diese Zeiten seien vorbei. «Doch ich werde immer noch regelmässig gefragt, was es denn heute zum Zmittag gebe.» Erst heute habe ihn ein Freund angerufen, der zufällig in der Nähe war. Spontan kochte Pius Spaghetti Bolognese. «Länger als dreissig Minuten stehe ich nie am Herd.»

«Früher hatten wir über Mittag oft bis zu 20 Gäste.»

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Die 1921 erbaute Villa stand leer, als Pius sie vor 21 Jahren auf seinem damaligen Arbeitsweg entdeckte. Sie gehörte damals dem Schweizerischen Elektrotechnischen Verein (SEV). «Der SEV hatte überall Wände eingezogen und Leuchtstoffröhren montiert, um Büros zu schaffen», sagte Pius. Als der SEV neue, grössere Räumlichkeiten in Fehraltorf gebaut hatte, wollte er die Immobilien im Seefeld verkaufen. «Der Preis schreckte aber alle Interessenten ab», so Pius.

Im September 1997 übernahm Pius schliesslich die Liegenschaft.

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Doch Pius verhandelte geschickt. Im September 1997 übernahm er schliesslich die Liegenschaft. Einen Monat lang baute er mit Freunden und Bekannten um. Sie entfernten Teppichböden und Wände, erneuerten Wasserleitungen und Stuckaturen.

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Danach belebte Pius auch die restlichen SEV-Liegenschaften in der unmittelbaren Nachbarschaft neu. Später gelang es ihm zusammen mit einem Architekten und einem Investor, alle Immobilien zu kaufen. Unter Pius’ Leitung entstanden an der Seefeldstrasse Arbeitsräume und Büros für verschiedene Kreative, darunter auch für den Zürcher Designer Alfredo Häberli. Für einen befreundeten Galeristen baute er aus drei LKW-Garagen eine Galerie. Doch dieser hatte plötzlich keinen Bedarf mehr. Deshalb übernahm Pius sieben Jahre lang die Galerie «Artseefeld» selbst. Während der Sommerpause förderte er mit dem Projekt «Young at Art» junge Künstlerinnen und Künstler. Der Nachwuchs lernte während rund zwei Monaten, wie eine Galerie und der Kunstmarkt funktionierten. «Wer erfolgreich Kunst machen will, braucht völlige Leidenschaft und keine Angst vor Unsicherheit», sagt Pius.

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In der 500 Quadratmeter grossen Villa stehen und hängen unzählige Bilder aus aller Welt. «Sie gehören wie die Wände zum Haus», sagt Pius. Über jedes Kunstwerk kann er eine persönliche Geschichte erzählen. So auch zum kleinen Stillleben in der Küche, das er vor längerer Zeit einem damals 92-jährigen Italiener abgekauft hat. «Ich war in der Altstadt von Figline in der Toskana», erzählt Pius. In einem Comestible-Geschäft fiel ihm ein hübsches Bild auf. Er fragte den Verkäufer, wer es gemalt habe – und besuchte den Künstler schliesslich. Dieser hatte erst nach seiner Pensionierung bei einem Besuch des Louvre seine Liebe zur Kunst entdeckt. Wieder in Italien, fing er an, Bilder aus Büchern abzumalen. «Erst wollte er mir gar kein Werk verkaufen», sagt Pius und lacht.

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Aus Indien stammt die Zeichnung, die im Wohnzimmer hängt. «In Indien wurde vor dreissig Jahren eigentlich keine moderne Kunst geschaffen. Künstler, welche die Moderne erfahren wollten, zogen nach Paris», erklärt Pius. So auch der Inder, der in seinen Werken den Elefantengott Ganesha neu und in verschiedenen Religionen interpretiert. Pius’ Bild zeigt Ganesha, wie er wie Jesus über das Wasser schreitet. Solche Bilder stiessen bei streng religiösen Hinduisten auf grossen Widerstand. Der Künstler wurde gar mit dem Tod bedroht und benötigte Polizeischutz. Mittlerweile zählt er zu den grössten Künstlern Indiens und führt in Goa eine Galerie mit zeitgenössischer Kunst.

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Auch viele Mitbringsel dekorieren das Haus, zum Beispiel eine lebensgrosse Holzfigur aus Bali. «Touristen können im Flugzeug nur kleine Erinnerungsstücke mitnehmen. Ich konnte sie zum Glück mit dem Schiff transportieren. Oft kostete der Transport mehr als der Inhalt.» Pius war 16 Jahre lang Reiseleiter. Im Sommer begleitete er amerikanische Reisegruppen durch Europa, im Winter war er auf der ganzen Welt unterwegs. «In dieser Zeit habe ich manchmal 300 Nächte im Jahr in fremden Betten geschlafen.» Damals lebte er noch in Luzern und Zofingen, wo er zwei Restaurants besass.

Im Sommer begleitete er amerikanische Reisegruppen durch Europa, im Winter war er auf der ganzen Welt unterwegs.

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Früher hätten die Menschen in ihrem Leben eine grosse Reise gemacht, sagt Pius. «Heute fliegen fast alle dauernd irgendwo hin. Ferien, Städtereisen oder ganz banal zu einem Konzert oder Festival.» Das führe dazu, dass viele Städte und Regionen überfüllt seien. Ein Grund, weshalb er seinen Job als Reiseleiter aufgab. «Vor Jahren war alles offen, der Taj Mahal konnte jederzeit besichtigt werden und für die Sixtinische Kapelle brauchte es keine Reservation», so Pius. «Heute ist alles geregelt und übernutzt.»

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Auch wenn die grosse Reiselust vergangen ist, so ist Pius trotzdem regelmässig im Ausland unterwegs: Mit Freunden erneuert er in Portugal verfallene historische Gebäude in alten Städten. Er selbst will aber nicht auswandern. «Zürich und dieses Haus bieten mir eine Lebensqualität, die nicht zu toppen ist.»