Menschen & Leben

Fast wie in Hogwarts

Ursprünglich war Quidditch eine fiktive Sportart in den beliebten Harry-Potter-Büchern. In den vergangenen Jahren allerdings entwickelte sich daraus ein actionreicher, geschlechterdurchmischter Vollkontaktsport im realen Leben. Der Präsident der «Turicum Thunderbirds» erzählt, was es mit der ungewöhnlichen Sportart auf sich hat.

Wenn man «Quidditch Match» auf YouTube eingibt, kommt als Erstes eine Szene aus Harry Potter. Zauberschüler*innen fliegen auf ihren Besen durch die Luft, während sie unterschiedliche Bälle werfen, fangen und um Torringe sausen. Harry Potter selbst ist in der Position des Suchers: Seine Aufgabe ist es, den Goldenen Schnatz zu finden – diesen kleinen, flinken Ball mit filigranen Flügeln gibt es nur einmal im Spiel. Er versucht jedem Fang zu entfliehen; wird er gefangen, ist das Spiel vorbei.

Der actionreiche Clip hat vier Millionen Aufrufe – aber unter den millionenfach geschauten Quidditch-Videos gibt es auch andere Aufnahmen. Matches, in denen Menschen am Boden spielen. Ebenfalls mit Bällen, ebenfalls mit Besen (seit ein paar Jahren mit Kunststoffrohren) zwischen den Beinen, die sie halten. Die Namen der Spieler-Positionen lauten gleich wie in der beliebten Buchreihe. Auch die Bälle tragen dieselben Namen. Nicht zuletzt heisst das reale Spiel gleich wie sein fiktiver Vorläufer. Quidditch, das gibt es seit ein paar Jahren auch ausserhalb der Zauberwelt. Unter anderem in Zürich: Die Turicum Thunderbirds wurden 2015 gegründet. Der Verein trainiert zweimal wöchentlich und ist schon mehrmals Schweizer Meister geworden.

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Besen verlangen einem Langsamkeit ab.

Einen Vereinssport auf Fantasy-Romanen zu begründen, mag auf den ersten Blick wie eine nerdige Schnapsidee wirken – aber sie ging auf. Der Zaubersport wurde real, erstmals 2005 in den USA. Seither hat sich Quidditch zu einem Vollkontaktsport weiterentwickelt. «Es ist eine Mischung zwischen Völkerball, Handball und Rugby», erklärt Jannis Grimm, Präsident der Turicum Thunderbirds. «Ähnlich wie im Handball werfen Teams Bälle durch die Torringe des gegnerischen Teams. Wie im Völkerball können wir unsere gegnerischen Spieler*innen abwerfen. Gleichzeitig können Leute auch regelkonform zu Boden getackelt werden.» All das tun Quidditch-Spieler*innen, während sie eine ein Meter lange Plastikstange zwischen den Beinen halten – ein Element, das vom fliegenden Besen in den Büchern stammt, allerdings auch in der aktualisierten Variante Geschicklichkeit erfordert. «So, wie beim Fussball nur die Füsse genutzt werden dürfen, gibt es bei uns die Brooms, die einen dazu bringen, dass man beim Rennen nur eine Hand frei hat. Nur wenn man langsam genug ist, um den Besen zwischen den Beinen einzuklemmen, kann man beide Hände nutzen, etwa zum Ballfangen», erklärt Jannis.

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«Genderinklusivität ist ein wichtiger Wert bei Quidditch»

Sieben Quidditch-Teams gibt es in der Schweiz, hinzu kommt das Zürcher «Kidditch»-Jugendteam für Spieler*innen unter 16 Jahren. Die Turicum Thunderbirds sind ab 16 an offen für jedes Alter. Was das Team noch stärker von anderen Sportarten unterscheidet: «Genderinklusivität ist ein wichtiger Wert in dieser Sportart», erzählt Jannis. Darum hat Quidditch eine Geschlechterregelung: An einem Match dürfen maximal vier der sieben Spieler*innen demselben Geschlecht angehören. Während zahlreiche Sportarten, vom Laiensport bis hin zum Profisport, mit trans Identitäten und Intergeschlechtlichkeit hadern, regelt Quidditch die Angelegenheit recht simpel: Was zählt, sind nicht etwa offizielle Papiere oder externe Definitionen, sondern einfach die Identität der spielenden Person. So können beispielsweise auch nonbinäre Menschen im Teamsport integriert werden.

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Quidditch kennt vier Spielerpositionen: Jäger, Hüter, Treiber und Sucher. Wie diese Positionen sind auch die Bälle nach dem literarischen Vorbild benannt: Neben dem erwähnten Schnatz gibt es Klatscher, um den Spielfluss anderer Spieler*innen zu stören, und Quaffel (in Form von Volleybällen), mit denen Punkte zu erzielen sind. «Das heutige Quidditch weist mittlerweile mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten mit demjenigen aus dem Buch auf», erklärt Jannis. «Man muss entsprechend auch kein Harry-Potter-Fan sein, um Quidditch zu spielen.» Ausserdem gehe es um weit mehr als den Sport: «An Quidditch ist auch die Community echt toll, national wie international. Jede Person wird aufgenommen, und selbst die erbittertsten Gegner*innen im Spiel sind danach wieder Freund*innen.» Ausserhalb der Trainings und Spiele verabredet man sich gern. Nicht, dass nicht auch Gründe da wären, hart zu trainieren: Jährlich – sofern keine Pandemie die Pläne vereitelt – findet die Schweizer Quidditch-Meisterschaft statt, wo die Turicum Thunderbirds schon mehrmals im Finale auf die Basel Basilisks trafen.

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Wer den Schnatz fängt, hat gewonnen.

Und was ist mit dem beflügelten Schnatz, der in den Harry-Potter-Büchern so verzaubert ist, dass er jeder spielenden Person auszuweichen versucht? Im realen Quidditch ist der Schnatz ein Tennisball, der an einer Person angebracht ist. Sie verteidigt den wichtigen Ball. Entweder, indem sie flink den Spieler*innen entflieht – oder aber, indem sie wuchtig und kräftig die Spieler*innen daran hindert, an den Schnatz zu kommen. Wenn jemand den Schnatz fängt, ist das Spiel vorbei. Genau wie im Buch.

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