LGBT-Kolumne | Menschen & Leben

Homos können keine Kinder haben!

Kolumne: Anna Rosenwasser

Einmal im Monat schreibt Anna Rosenwasser, wie sie in Zürich lebt und liebt. Dieses Mal erzählt die LGBT-Aktivistin und Autorin von mütterlosen Disney-Prinzessinnen und homophoben Partygästen.

Es war an einer WG-Party vor ein paar Jahren, ich trank meinen zweiten Tee und sprach mit einer Freundin darüber, dass eine gemeinsame Bekannte schwanger war. «Willst du eigentlich mal Kinder haben?», fragte mich die Freundin. Ich schüttelte zufrieden den Kopf und antwortete: «Nein, meine Partnerin und ich sind uns da recht einig.» – «Zum Glück», klang es da von der Seite. Ich dachte kurz, ich hätte mich verhört. Blickte rüber, wo ein Typ sass, den ich schon ein-, zweimal an Partys gesehen hatte. Er sah mich an; er hatte wohl tatsächlich auf unser Gespräch reagiert. «Zum Glück», sagte er noch einmal und sah mich auffordernd an. «Wie bitte?», antwortete ich so kühl es ging. Was würde jetzt kommen? Blanke Homophobie? Die Behauptung, Homos seien schlechte Eltern? (Was ein lustiges Argument ist, denn Heteros sind ja auch oft schlechte Eltern.) Oder hatte ich mich tatsächlich getäuscht, war überempfindlich, und der Typ meinte es eigentlich total nett? «Zum Glück wollen deine Freundin und du keine Kinder», sagte er da, seinen Stuhl näher zu uns rückend, um am Gespräch teilzunehmen. «Ihr könnt ja nicht.»

Der Schmerz überraschte mich.

Dann geschah etwas ganz Seltsames. Es tat mir weh. Mir, die seit vielen Jahren weiss, dass sie keine Kinder will; mir, die sehr glücklich ist mit der Aussicht auf eine Zukunft, in der sie keine Kinder hat. Ein halbfremder junger Mann, an irgendeiner WG-Party, der behauptete, ich könne keine Kinder kriegen, tat mir mit der Aussage weh. Zuerst war ich irritiert gewesen, dass er sich einfach so eingeschaltet hatte. Nun war ich irritiert über meinen eigenen Schmerz.

Es ist schon krass, unser Bild einer Familie. In so vielen Kinderbüchern, Werbungen, Geschichten und Filmen heisst Familie, dass ein Mann und eine Frau zwei bis drei Kinder gezeugt haben. (Ausser die Disney-Prinzessinnen, die haben mega oft keine leibliche Mutter: Arielle, Schneewittchen, Belle, Pocahontas: In den Filmen sind sie alle ohne Mami.)

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Dabei wachsen wir in einer ganz anderen Realität auf: Wir leben in Patchwork-Familien, manche von uns werden von einem einzelnen Elternteil aufgezogen oder gemeinsam mit einem Stiefelternteil – der, im Gegensatz zu gängigen Geschichten, gar nicht immer böse ist. Leute wachsen als Einzelkinder oder mit Stiefgeschwistern auf, was beides nicht allzu oft vorkommt in westlichen Narrativen. In der Schweiz werden etwa zwei von fünf Ehen wieder geschieden, 2020 gab es 16’000 Scheidungen. Manche davon haben den Familien gutgetan, sie weitergebracht, Familien glücklicher gemacht. All das, all diese Vielfalt davon, wie Familien aussehen und sich entwickeln, fehlt in den Geschichten, mit denen wir aufwachsen.

Regenbogenfamilien gab es schon immer.

Und dann gibt es Regenbogenfamilien. Familien, die zwei Mamis oder zwei Papis haben – obschon diese praktischerweise dann nicht beide gleich heissen, da gibts dann zum Beispiel Mami und Mama zur Unterscheidung –, manchmal auch eine Drittperson. Wenn es das Gesetz im jeweiligen Land erlaubt, hat das Kind rechtlich zwei Elternteile, die auch im Leben der Familie als Eltern fungieren. In der Schweiz ist das für gleichgeschlechtliche Eltern bisher nur schwer zu erreichen. Aber: Unabhängig von unseren Gesetzen gibt es Regenbogenfamilien schon so lange, wie es Familien gibt.

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Genau das ist es, was im Allgemeinwissen fehlt und von denjenigen Institutionen mit Bildungsauftrag gern verschwiegen wird: Regenbogenfamilien existieren schon seit immer. Sie werden gern als unnatürlich abgetan, weil es tabu ist, darüber zu reden, dass auch Hetero-Eltern medizinischen Fortschritt in Anspruch nehmen, um Familien zu gründen.

All das, all das regnete auf mich herab in dem Moment, in dem der Typ an der WG-Party behauptete, ich könne aufgrund meiner sexuellen Orientierung keine Kinder kriegen: das Unwissen und die Missgunst und die Unsichtbarkeit von einer Form von Familie, die es schon immer gab.

«Ich brauche mehr Tee», sagte ich zu meiner Freundin. «Mein Bier ist auch leer», antwortete sie ernst. Ich griff zu meiner halbvollen Tasse, sie zu ihrem noch kaum getrunkenen Bier. Der Typ blieb sitzen. Ich hoffe, er findet in seinem Leben diejenige Art von Familie und Zusammenhalt, die ihn glücklich macht.