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«Viele glauben, dass es im Meer anspruchsvoller ist»

Sie manövrieren Motorboote und Dampfschiffe geschickt von Anlegestelle zu Anlegestelle, transportieren Güter und führen Passagiere sicher ans andere Ufer: die Schiffskapitän*innen des Zürichsees. Marco Pfister ist einer von ihnen. Im Interview berichtet er über seinen Werdegang und die schönsten Momente an Bord.

Marco, wie wird man Schiffskapitän?

Eigentlich nur auf eine einzige Art und Weise: Man fängt ganz klein an, sprich als Matrose. Das war bei mir nicht anders. Ein bis zwei Jahre lang lernt man die Grundlagen der Schifffahrt und kann sich in dieser Zeit entscheiden, ob das der richtige Job für einen ist.

Was kommt danach?

Danach macht man Kasse, wie wir es hier nennen. Das heisst, dass man sich primär um die Gäste an Bord, um die Verpflegung und den Service kümmert. Nach weiteren ein bis zwei Jahren hat man wieder die Wahl: Entweder man bleibt dabei oder man entscheidet sich für eine weitere Ausbildung zum Maschinisten oder eben zum Kapitän.

«Los geht’s mit den Limmatbooten, und dann tastet man sich Jahr für Jahr an die grösseren Motorboote und Dampfer heran.»

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Und du hast dich für Option drei entschieden.

Ja. Zuerst geht es bei der Kapitänsausbildung an die Theorie: Gesetzestexte, Maschinenbau, Versicherungsfragen. All das wird in- und auswendig gelernt und dann bei einer Prüfung mit 80 offenen Fragen so gut wie möglich beantwortet.

Klingt relativ anstrengend?

Jawohl, die Theorieprüfung ist nicht ganz einfach. Aber das ist auch gut so. Hat man die nämlich einmal bestanden, geht es ans Eingemachte: die Praxisübungen. Los geht’s mit den kleinen Limmatbooten, und dann tastet man sich Jahr für Jahr mit zusätzlichen Schulungen an die grösseren Motorboote und Dampfer heran.

Seit wann bist du Kapitän?

Seit 2015. Nebenbei bin ich ausserdem Fahrlehrer und Instruktor für jene, die selbst Kapitän werden wollen. Und in den Wintermonaten – wenn es auf dem See ein wenig ruhiger zugeht – arbeite ich nebenbei noch als Elektriker in meinem ursprünglichen Beruf.

«Das Risiko, dass etwas schiefgeht, ist beim Ablegen und bei der Landung am höchsten.»

Wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitsalltag bei dir aus?

Das ist nicht so leicht zu beantworten. Alle Tage beginnen zuerst einmal gleich: mit einer guten Tasse Kaffee (lacht). Was danach kommt, hängt jedoch stark davon ab, was das Wetter macht. An sonnigen Tagen sind die meisten Tätigkeiten Routine, doch bei Regen oder sogar Sturm muss ich viel mehr planen und checken, welche Fahrten möglich sind und welche nicht.

Was ist vor jedem Start wichtig?

Vor den Fahrten treffe ich meistens bereits an Bord den Maschinisten. Der sorgt dafür, dass alles einwandfrei funktioniert, und kontrolliert allfällige Schäden vom Vortag. Ich bereite im Steuerhaus alles vor und kontrolliere dort zum Beispiel die Lichter oder den Radar. Dann bespreche ich mich nochmals kurz mit der Crew und sobald alle bereit sind, legen wir ab.

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Aus wie vielen Mitgliedern besteht die Crew?

Bei den grössten Schiffen in unserer Flotte besteht die Crew aus vier Personen: einem Matrosen, einem Maschinisten, einer Person für die Kasse und einer Kapitänin oder einem Kapitän.

Klingt nach recht wenig für so ein riesiges Gefährt …

… und für Hunderte Gäste an Bord. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass alle Crewmitglieder gut ausgebildet sind und genau wissen, was sie zu tun haben. Eine gute eingespielte Crew schafft auch solche grossen Boote.

Könntest du mit deinem Führerschein für die Zürichsee-Schiffe denn auch Schiffe im Meer fahren?

Nein. Das ist eine andere Kategorie von Führerschein. Meiner ist auf Fahrgastschiffe für Binnengewässer, sprich Seen und Flüsse, beschränkt. Was nicht heisst, dass es einfacher ist, einen solchen Führerausweis zu machen.

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Wie meinst du das?

Viele glauben, dass es im Meer viel anspruchsvoller ist, ein grosses Schiff zu lenken. Da muss ich den Kopf schütteln, denn es ist ja so: Auf dem Meer könntest du eine Woche lang geradeaus fahren und nichts würde passieren. Doch auf dem Zürichsee machen wir pro Tag mit unseren 17 Schiffen ganze 780 Manöver, also Landungen.

Und gerade da könnte es brenzlig werden?

Genau. Das Risiko, dass etwas schiefgeht, ist gerade beim Ablegen und bei der Landung am höchsten, hier muss man vor allem aufpassen. Ist man erst mal weg vom Ufer, dann besteht eigentlich nur noch wenig Gefahr.

Bist du bei solchen Manövern angespannt?

Nein, Stress und Anspannung sind hier fehl am Platz, denn sonst passieren Fehler. Man muss ruhig bleiben und aufmerksam sein. Dann schafft man auch schwierige Landungen, etwa bei Wellen und bei Wind.

Was passiert, wenn du – trotz günstiger Prognosen – von Wind und Wetter überrascht wirst?

Das ist natürlich ärgerlich, kann aber in den Sommermonaten immer mal wieder vorkommen. Da fährt man bei prächtigem Sonnenschein raus und plötzlich zieht ein Gewitter vorbei und der Wind peitscht mit 100 Stundenkilometern übers Wasser. In solchen Situationen stellen wir uns meistens in den Wind und warten ab, bis das Schlimmste vorüber ist. In der Fachsprache spricht man vom Abwettern.

«Da fährt man bei Sonnenschein raus und plötzlich zieht ein Gewitter vorbei und der Wind peitscht mit 100 Stundenkilometern übers Wasser.»

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Was gefällt dir an deiner Arbeit am besten?

Ich schätze es, dass ich – wenn ich das Schiff am Abend heil in den Hafen gebracht habe – wirklich auch Feierabend habe. Ich muss nicht an morgen denken und kann den Kopf frei machen. Dass man die Arbeit nicht mit nach Hause nimmt und ewig darüber nachgrübelt, ist sehr angenehm.

Was sind die schönsten Momente für dich als Kapitän?

Wenn ich Frühschicht habe und morgens kurz vor 6 Uhr losfahre, im Steuerhaus sitze, meinen Kaffee trinke und die Sonne langsam aufgeht über dem See. Das sind schon besondere Momente. Da wird mir bewusst, wie toll der Job hier eigentlich ist.

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Und was stört dich manchmal bei deiner Arbeit?

Gelegentlich würde ich mir ein wenig mehr Verständnis unserer Gäste wünschen. Ich kann natürlich nachvollziehen, dass viele Termine haben und schnell ans andere Ufer müssen. Aber gerade bei schlechtem Wetter und hohem Wellengang muss man einfach akzeptieren, dass Sicherheit vorgeht. Da würde ich mir wünschen, dass man uns für unsere gute Arbeit trotz widriger Verhältnisse lobt, anstatt nur zu jammern und sich über ein paar Minuten Verzögerung zu beschweren.

Was ist die wichtigste Voraussetzung, um Kapitän oder Kapitänin zu werden?

Ich denke, dass Wichtigste ist – wie bei so vielem im Leben – das man den gewählten Beruf gerne ausübt. Wenn das gegeben ist, kommt alles andere von selbst.