Der Stadtwanderer will doch nur ein Gipfeli

Text: Beni Frenkel

Es ist nie befriedigend, wenn eine Frau fragt: «Ist das alles?» Aber in einer Bäckerei nervt die Frage besonders.

Zuerst kommt mein Mitleid: Das Verkaufspersonal in Konditoreien verdient ein Butterbrot. Ab nächstem Jahr liegt der Mindestlohn bei 3600 Franken. Was kann man damit schon kaufen? Vielleicht ein Sandwich. – Doch genug der Tränen. Es wird ja niemand mit vorgehaltener Pistole gezwungen, in einer Bäckerei zu arbeiten.

Ich persönlich gehe gerne in eine Bäckerei. Vor allem in Zürich. Normalerweise wird man in dieser Stadt als Mann mit wenigen Vorteilen kaum von den Frauen wahrgenommen. Aber in einer Bäckerei ist das ganz anders. Die Verkäuferinnen sprechen dich gleich an: «Was möchten Sie?»

Normalerweise wird man in dieser Stadt als Mann mit wenigen Vorteilen kaum von den Frauen wahrgenommen. Aber in einer Bäckerei ist das ganz anders.

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Ich sage immer: «Ein Gipfeli.» Damit haben alle ein Problem. Wahrscheinlich lernt man in der Detailhandelslehre, dass ein Gipfeli keine anständige Bestellung ist.

«Was darf es noch sein?», «Noch einen Kaffee dazu?», «Vielleicht etwas Süsses zum Mitnehmen?», «Ist das alles?».

Ja, es ist alles. Ich will nur ein Gipfeli. Anfangs habe ich die hartnäckige Fragerei als mütterliche Anteilnahme empfunden. Jüdische oder italienische Mütter machen das ja auch: «Ist das alles? Hier, pack das ein!»

Aber ich will das nicht. Wenn ich in den «Gnädinger», «Steiner» oder «Stocker» gehe, weiss ich, was ich will: «Ein Gipfeli.»

Auf die Pendler muss das ziemlich gruselig gewirkt haben: ein Glaceverkäufer, der blutüberströmt zur Decke starrte.

Ich habe früher auch im Detailhandel gearbeitet. Aber nur für zwei Monate. Ich war 19 Jahre alt und brauchte das Geld. Im Shopville habe ich Eis im Becher verkauft. Vielleicht haben Sie mich vor 22 Jahren einmal gesehen. Ich war der junge Mann, der immer in der Nase popelte. Einmal so stark, dass ich aus der Nase blutete. Es hörte gar nicht mehr auf. Meine schöne Schürze! Da ich den Stand alleine betreute, konnte ich nicht einfach zur Toilette rennen. Ich hielt also meinen Kopf nach hinten und konnte mich im Deckenspiegel beobachten. Auf die Pendler muss das ziemlich gruselig gewirkt haben: ein Eisverkäufer, der blutüberströmt zur Decke starrte.

Nach einer Ewigkeit kam endlich die Chefin und legte mir ein nasses Handtuch auf den Nacken. Die Blutung hörte auf. Aber die Schürze war jetzt total versaut – ich sah aus wie ein Metzger.

Am nächsten Morgen popelte ich natürlich nicht mehr in der Nase. Ich hatte Schuldgefühle.

Die Chefin wollte wissen, ob ich häufig Nasenbluten hätte. Denn es war mein erster Arbeitstag. «Nein», antwortete ich ehrlich, «nur wenn ich aus Langeweile in der Nase pople.» Die Chefin meinte, dass ich mein Gesicht waschen solle und heute früher nach Hause gehen dürfe.

Am nächsten Morgen popelte ich natürlich nicht mehr. Ich hatte Schuldgefühle. «Wegen mir hat die Chefin weniger Einnahmen gemacht», dachte ich sorgenvoll. Als Wiedergutmachung gab ich den Kunden nur ganz kleine Portionen aus. Damit waren die natürlich nicht glücklich. Sie herrschten mich an, dass ich mehr Glace ausgeben solle. Ich sagte: «Nein!»

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Irgendwann kam die Chefin. Sie wollte wissen, warum ich den Kunden nur Mini-Portionen verkaufe. Auf meine kleinlaute Antwort hin wurde sie wütend. Gestern Nasenbluten, heute Kundenaufruhr! Sie wollte wissen, was ich für morgen plane. Ich zuckte mit den Achseln.

Am nächsten Tag kam ich aber nicht mehr. Seit dieser Erfahrung weiss ich, wie schwierig der Einzelverkauf ist.

Trotzdem: Ich will wirklich nur ein Gipfeli!