Stadt & Geschichte | Züri Crime
Durch Wein und «Wahrheitsdroge» zum Geständnis?
Eine junge Frau liegt tot in ihrer Wohnung im Seefeld. Sie wurde kaltblütig ermordet. Der Hauptverdächtigte bestreitet die Tat. Deshalb greifen die Behörden zu kontroversen Mitteln.
Zwei, drei Mal klopfte das Zimmermädchen. Keine Reaktion. Und so schloss es am Mittag des 9. Februars 1953 schliesslich selbst die Türe des Appartements Nummer 2 an der Dufourstrasse 80 auf. Ausser einem riesigen Durcheinander traf die Bedienstete eine Tote an: Neben dem Sofa lag die junge Mieterin der Wohnung.
Die Polizei rückte sofort an, inklusive Spurensicherung, Gerichtsmedizin und Bezirksanwalt. Die 19-jährige Liliane Rod wurde erdrosselt – mit einem breiten Wollband. Die Leiche war blutüberströmt, an ihrer Stirn klaffte eine lange Wunde.
Irritiert waren die Beamten von der Bekleidung des Opfers. Neben einem Pelzmantel trug es nur einen Pullover sowie eine Jacke aus Wolle. Ansonsten war die Frau nackt.
Es handelte sich um einen «Mord im Milieu».
Auch deshalb waren die Ermittler bald sicher, dass es sich um ein Sexualdelikt handeln musste – genauer gesagt um einen «Mord im Milieu». Denn Liliane Rod hatte zwar offiziell als Bardame gearbeitet, doch ihren Lebensunterhielt hatte die Westschweizerin als Prostituierte verdient. Sie war in den einschlägigen Bars im Niederdorf und im Seefeld bekannt.
Die Polizisten befragten die Nachbar*innen von Rod. Eine erzählte, sie sei in der Tatnacht gegen 1.30 Uhr durch Poltern und Schreie geweckt worden. Sie habe den Abwart zu erreichen versucht, jedoch ohne Erfolg. Kurz darauf sei Ruhe eingekehrt und sie habe weitergeschlafen.
Mehrere Prostituierte erwähnten einen «Wollenfreier».
Ein weiterer Zeuge sagte aus, er habe den Ex-Freund von Liliane Rod gesehen, doch dieser hatte ein Alibi.
Die Polizei informierte die Öffentlichkeit über den Mordfall. Fahndungsplakate wurden aufgehängt, eine Belohnung von 3000 Franken ausgeschrieben. Die Presse berichtete intensiv. «Denn auch ein Mädchen von der Strasse darf nicht ungesühnt einem Verbrechen zum Opfer fallen», schrieb die «Zürcher Woche».
Über 1000 Aussagen und Alibis wurden von den Beamten überprüft, 500 Frauen, die im polizeilichen «Dirnenregister» gemeldet waren, befragt. Treibt sich in Zürich ein Freier mit «abnormen Wünschen» herum? Einer mit Vorliebe für Pelz und Wolle? Und tatsächlich: Mehrere Prostituierte erwähnten einen «Wollenfreier» und «Wullefritz». Dieser lebe jedoch in Luzern.
Dort machte die Polizei schliesslich den Portier Fritz S. ausfindig. In den Verhören gab er seinen Fetisch offen zu. Die Tat bestritt der Mann um die Mitte fünfzig jedoch. Er gab zudem an, seit Monaten nicht mehr in Zürich gewesen zu sein. Ein Alibi für die besagte Nacht hatte er jedoch nicht.
Immer wieder verstrickte er sich in Unstimmigkeiten. Ausserdem wurden belastete Faserspuren an seinen Kleidern sichergestellt. Und ein Zeuge war überzeugt, S. in der Tatnacht an der Dufourstrasse gesehen zu haben.
S. wurde in die Heil- und Pflegeanstalt Rheinau überführt. Während Monaten versuchte der dortige Direktor und Gerichtsgutachter Hans Binder, «tiefer in sein Inneres vorzudringen».
Deshalb griff der Professor zur «Geständnisspritze».
Wie der Staatsanwalt hielt Binder die Aussagen des Angeklagten für glaubhaft. S. widersprach sich nie und fiel auch auf keine Falle herein. Doch die Indizien sprachen klar gegen S. Deshalb griff Professor Binder – nach Einwilligung des Tatverdächtigen – zur «Geständnisspritze»: Er injizierte Fritz S. Pentothal. Dieser Stoff wurde ab 1930 in der Psychotherapie verwendet; er führt zu Benommenheit und wurde auch als «Wahrheitsserum» bezeichnet. In Gerichtsverfahren kam Pentothal selten zum Einsatz. Die Zürcher Staatsanwalt argumentierte jedoch mit der «seltenen Ausnahmesituation».
Doch S. machte auch unter der «Plauderdroge» kein Geständnis. «Wir erhielten keinerlei verräterische Antworten oder auch nur verdächtige affektive Reaktionen», so Professor Binder nach der Einvernahme. Auch beim Alkoholtest – S. musste innert zwei Stunden zwei Liter Rotwein trinken – verstrickte er sich nicht in Widersprüche. Ende 1953 wurde S. schliesslich aus der Haft entlassen. Auf Wunsch seiner Verwandten und mit seinem Einverständnis wurde er in eine Anstalt eingewiesen.
Der Fall hatte ein politisches Nachspiel: Der Einsatz der Narko-Analyse wurde als «chemische Folter» bezeichnet und in Strafuntersuchungen verboten.
Der Mord an Liliane Rod blieb ungelöst – 1979 wurde das Verfahren eingestellt.