Stadt & Geschichte | Züri Crime

Keine Spur vom Täter, keine Spur von den Opfern

Text: Ueli Abt

Ein schwarzes Tuch, ein Täterbild mit Velo, ein merkwürdiger Töfflianhänger: In diesen drei ungelösten Züri-Crime-Fällen hatte die Polizei Hinweise auf das Verbrechen – und kam mit den Ermittlungen dennoch nicht zum Ziel.

1980: Wen traf Anna Gwerder zwischen Stockerstrasse und Helvetia-Bar?

Die 20-jährige Anna Gwerder steigt an einem Sonntagabend im Februar kurz vor Mitternacht an der Haltestelle Stockerstrasse aus dem Tram der Linie 13. Ihr Ziel ist die Helvetia-Bar am Stauffacherquai an der Sihl. Das letzte Stück will sie zu Fuss zurücklegen, eine Strecke von circa 850 Metern. Dort will sie einen Bekannten treffen. Er soll sie per Auto nach Hause nach Zürich Schwamendingen bringen – eine Tramverbindung aus der Innenstadt nach Zürich Nord gibt es im Jahr 1980 sonntagabends spät noch nicht.

Die junge Frau kommt nie in der Helvetia-Bar an. Im Wassbergwald in der Vorortsgemeinde Zumikon entdeckt am nächsten Morgen ein Reiter eine Leiche. Neben dem nackten Körper liegt ein gefaltetes schwarzes Tuch.

Die Tote ist Anna Gwerder. Die junge Werkstudentin war an jenem Sonntagabend mit ihrer Freundin Ursula unterwegs gewesen, wie diese der Polizei zu Protokoll gibt. Die beiden hatten den Abend in einer Wohngemeinschaft von Freunden verbracht, an der Brandschenkestrasse zwischen den Quartieren Enge und Wiedikon.

Die Polizei nimmt ihn in Untersuchungshaft. Wenige Wochen später kommt er frei, aus Mangel an Beweisen.

Der Mann, den Anna Gwerder wohl hatte treffen wollen, ist ein damals 27-jähriger Bildhauer. Er habe sich an jenem Abend in der Bar aufgehalten, sagt er gegenüber der Polizei aus. Der Zufall will es, dass an jenem Abend ein begeisterter Fotoamateur seine neue Kamera ausprobiert und fast alle Gäste fotografiert. Anna Gwerder ist auf keiner der Aufnahmen zu sehen. Und merkwürdig: Auch den 27-jährigen Bildhauer sieht man auf keinem Bild.

Der Mann bekräftigt, dass Anna an jenem Abend nicht in der Bar gewesen sei. Dass er selbst nicht fotografiert worden sei, sei ein Zufall. Die Polizei nimmt ihn in Untersuchungshaft. Wenige Wochen später kommt er frei, aus Mangel an Beweisen.

Die «NZZ» publiziert eine genaue Beschreibung der Kleider, die Anna Gwerder an jenem Sonntagabend trug: grauschwarze Lederjacke, Rifle-Jeans, graublauer Wollpullover, schwarze Wildleder-Stiefeletten mit niedrigen Absätzen. Aber auch das bringt den Fall zunächst nicht weiter – die Kleider des Opfers bleiben verschwunden.

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Doch dann hat die Polizei bei den Ermittlungen Erfolg: Eine Frau hat einige Wochen zuvor das schwarze Tuch an ihrem Stand auf dem Bürkliplatz-Flohmarkt zum Verkauf angeboten.

Die Flohmarkt-Verkäuferin hat keine Erinnerung mehr an die Person, die am 8. September 1979 das Tuch kaufte. Doch wie die Befragung durch die Polizei ergibt, ist sie sich sicher, dass es nicht der 27-jährige Bekannte von Anna Gwerder war. An ein so markantes Gesicht hätte sie sich bestimmt­ erinnert, sagt die Frau gegenüber der Polizei, wie eine Sendung von «Aktenzeichen XY... ungelöst» in einem Beitrag im November 1980 bekannt macht. Doch auch die Sendung bringt den Fall nicht weiter. Bis heute ist nicht klar, was mit Anna Gwerder geschah.

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2010: Wer ist der Mann auf dem Beach Cruiser?

In der Nähe des früheren Clubs Q an der Förrlibuckstrasse greift am 20. März 2010 ein circa 20- bis 35-jähriger Mann einen 20-jährigen Portugiesen und einen 17-jährigen Schweizer mit einem Messer an. Der 20-Jährige wird verletzt, der 17-Jährige stirbt. Eine Überwachungskamera filmt die Beteiligten.

185 bis 190 cm gross, schlank, Typ Latino, gebrochen Deutsch sprechend, hat schlechte Zähne und dunkles Haar: So beschreibt die Fahndung den Täter. Er kam mit dem Velo zum Tatort, mit einem sogenannten Beach Cruiser, wie unter anderem der «Tages-Anzeiger» damals berichtete.

Die Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen, wie der Täter zunächst an den beiden vorbeifährt und dann wendet, als er die beiden sieht.

In der Nähe des Clubs stehen die beiden jungen Männer zur Tatzeit in der Nähe einer Recycling-Sammelstelle und unterhalten sich. Die Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen, wie der Täter zunächst an den beiden vorbeifährt und dann wendet, als er die beiden sieht. Es kommt zu einem kurzen Gespräch, der Fahrrad-Mann schwingt einen Gegenstand in Richtung der beiden jungen Männer, worauf diese wegrennen.

Der Angriff mit dem Messer verletzt den Portugiesen am Oberkörper. Der Schweizer bricht einige Meter vom Tatort entfernt zusammen und stirbt. Der Angreifer flieht auf dem Velo über den Mühleweg in Richtung Pfingstweidstrasse, dabei entsteht ein Fahndungsfoto, das in den Medien erscheint.

Die Ermittlungen ergeben: Die drei Männer waren sich eine Stunde vor der Tat am Limmatufer kurz begegnet. Die späteren Opfer hatten den Täter nach einem Joint gefragt, der Unbekannte habe sie aber ignoriert. Darauf folgte eine kurze Auseinandersetzung. Es scheint offensichtlich, dass der Streit mit verhängnisvollem Ausgang in der Nähe des Clubs Q seine Fortsetzung fand. Bislang konnte die Polizei nicht ermitteln, wer der Täter war.

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1981: Wer nahm Annika Hutter mit?

Am 11. Juli 1981 fährt die 18-jährige Gymnasiastin Annika Hutter mit dem Mofa von ihrem Wohnort Nürensdorf nach Winterthur zu einem Treffen mit Klassenkollegen. Doch diese warten vergebens auf Annika Hutter. Später findet die Polizei ihr Mofa im Wald, irgendwo auf halber Strecke bei Kempthal. Die Zündkerzen sind defekt, wie sich herausstellt. Sonst fehlt von Annika Hutter jede Spur.

Zeugen haben einen circa 30-jährigen Mann beobachtet, der an jenem Abend in der Gegend mit einem Mofa und einem eigenartigen Anhänger unterwegs war. Auf der Ladefläche befand sich ein als «kistenartiger Aufsatz» beschriebener Holzkasten, der genug Platz bietet, um darin eine Person zu transportieren. In jener Zeit waren offenbar solche Anhänger-Aufsätze zum Transport von Laub oder Abfällen allgemein verbreitet. Zeugen wollen Annika Hutter gar auf diesem Anhänger gesehen haben.

Die Sendung «Aktenzeichen XY... ungelöst» macht zweimal auf den Fall aufmerksam, doch das bringt keine relevanten Hinweise.

Später gesteht ein wegen Mordes vorbestrafter Mann, er habe Annika Hutter umgebracht. Doch er widerruft und wird in einem Bundesgerichtsurteil wegen Zweifeln an seiner Schuld freigesprochen.

Die Sendung «Aktenzeichen XY... ungelöst» macht zweimal auf den Fall aufmerksam, doch das bringt keine relevanten Hinweise.

2011 nimmt die private Interessengemeinschaft «IG Spurlos» den Faden wieder auf. Ein Effretiker, den schon als Jugendlicher das Verschwinden der Gymnasiastin aus dem Nachbardorf umtrieb, will mit laminierten Vermisstenanzeigen im Wald den Fall kurz vor der Verjährung weiterbringen, wie das «Migros-Magazin» berichtet.

2012 werden menschliche Knochen in einem Wald bei Uster gefunden und Medienberichte werfen die Frage auf, ob es sich um Annika Hutters Knochen handeln könnte. Doch dann bleibt es still im Blätterwald. Das Verschwinden von Annika Hutter bleibt bis heute ungeklärt.

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