Stadt & Geschichte | Bauten im Wandel

Gegen diesen Zürcher Palast protestierte die Sittenpolizei

Text: Eva Hediger Teaser: Baugeschichtliches Archiv, Meiner Johannes

Im Palais Henneberg wurde gelebt, Kunst gezeigt und später fremde Sprachen gebüffelt. Doch Ende der 1960er-Jahre entsprach der einst so prunkvolle Palast nicht mehr dem Zeitgeist – und musste einem modernen Bürokomplex weichen.

Kaum jemand denkt an Karl Gustav Henneberg, wenn er in der Roten Fabrik ein Konzert, ein Theateraufführung oder eine Party besucht. Dabei verdankt Zürich ihm die Kulturstätte direkt am Zürichsee: In der eigens für ihn gebauten Fabrik liess der Deutsche Ende des 19. Jahrhunderts Seidenstoffe produzieren. Die Ehe mit einer Zürcherin hatte Henneberg nach Wollishofen geführt.

image

(Bild: Kantonale Denkmalpflege)

Anzeige

Privat interessierte sich der wohlhabende Geschäftsmann für Kunst. Und für die Künstler eigentlich auch. Doch mit diesen zerstritt sich der als Besserwisser bekannte Henneberg häufig. So auch mit dem namhaften Maler Arnold Böcklin. Mit diesem wollte Henneberg eigentlich eine Galerie aufbauen, in der die umfangreiche Sammlung des Kunstmäzens hätte gezeigt werden sollen.

Doch bereits bei der Planung überwarfen sich die beiden Männer. Böcklin soll gar zu Henneberg gesagt haben, dass sich dieser einfach in einer preussischen Baufabrik eine Galerie bestellen solle – diese seien alle gleich protzenhaft geschmacklos und würden deshalb genau Hennebergs Wünschen entsprechen.

Der Besitzer war Kunstfan – und galt als Besserwisser.

image

(Bild: Baugeschichtliches Archiv)

image

(Bild: Baugeschichtliches Archiv, Grünig Maurice K.)

Henneberg engagierte schliesslich den Architekten Emil Schmid-Kerez. Nach dessen Entwürfen wurde damals gerade die Fraumünster-Post fertiggestellt. Der Bau des «Palais» gestaltete sich dagegen schwierig. Das Areal befand sich auf der Quaianlage, die erst kurz zuvor aufgeschüttet worden war; vorher lag dort noch Zürichseewasser. Deshalb gab es Probleme mit der Statik, die nur mit komplexen Pfahlkonstruktionen behoben werden konnten.

Anzeige

Gustav Henneberg scheute sich nicht, seinen Palast kunstvoll auszuschmücken. Grösster Eyecatcher war das zwei Meter hohe und zwanzig Meter lange Marmorrelief von Adolf Meyer, das einen Bacchanten-Zug darstellte. 1900 wurde es anlässlich der Fertigstellung des Baus enthüllt. Das Kunstwerk zeige «unziemlich viel Unverhülltes», wie die «Neue Zürcher Zeitung» später schrieb. Der Sittlichkeitsverein protestierte dagegen – und lockte damit eine «wahre Völkerwanderung von ‹Kunstinteressierten› an den Alpenquai».

Das Relief sorgte für rote Köpfe.

image

Das Relief an seinem heutigen Standort (Bild: Baugeschichtliches Archiv)

Die wahren Kunstinteressierten konnten in den Obergeschossen die Sammlung Hennebergs bestaunen. Diese umfasste unter anderem Werke von Böcklin, Koller und Hodler, aber auch «einige Schwarten von vergänglicher Grösse», wie die Zeitungen später schrieben.

1918 verstarb der Seidenhändler. Erst nutzte ein deutscher Industrieller den «Palast» als Büro. Dann wurde er 1925 zum Kursaal umgebaut. Zürich strebte damals an, ein kleines Monte Carlo zu werden. Doch die krisengeplagten 1930er liessen diese mondänen Träume platzen. Bereits 1934 wurde das Haus geschlossen. Eine Baufirma übernahm es und führte dort ein Kasino weiter, das während der Landesausstellung eröffnet wurde.

image

Nach dem Umbau (Bild: Baugeschichtliches Archiv)

Nach dem Zweiten Weltkrieg büffelten die Zürcher:innen im Palais unter anderem Französisch und Italienisch: Die Sprachkurse der Migros boomten so stark, dass diese mehr Unterrichtsräume brauchten. Nach einem längeren Umbau wurde 1947 im Palais das Klubhaus am See eingeweiht. Hier fanden auch immer wieder Klassikkonzerte statt.

image

Der Bürokomplex Mitte der 1970er-Jahre (Bild: Baugeschichtliches Archiv)

Der Bürokomplex steht heute noch.

In den 1960ern schliesslich opferte eine «nüchterne Generation» – so die «NZZ» – den Palais für einen modernen Bürokomplex. Er wurde der neue Hauptsitz der Computerfirma IBM Schweiz. Architekt war Jacques Schader. Die IBM wünschte sich vom renommierten Zürcher Professor einen «einfachen, klaren, attraktiven und zeitgemässen Bau». Heute ist das Bürogebäude im Inventar der schützenswerten Bauten der Stadt aufgelistet.

Vor dem Abbruch im Juli 1969 wurden verschiedene Teile des Palais Henneberg der Stadt Zürich übergeben. Kleinere Elemente wie verschiedene Eisengeländer oder Treppenköpfe sind heute Teil der Sammlung des Museums für Gestaltung. Grössere Stücke finden sich überall in Zürich: Vor dem Gemeinschaftszentrum Seebach steht ein Löwe des Bildhauers Urs Eggenschwyler und an der Seepromenade wurde das einst so anrüchige Relief montiert.

Anzeige