Stadt & Geschichte | Züri Crime

Er tötete immer wieder

Text: Eva Hediger

Vor knapp hundert Jahren verbreitete ein Serienmörder in Zürich Angst und Schrecken. Die Beamten ermittelten international – und wurden vom Ersten Weltkrieg ausgebremst.

Drei Mal schrie Olga Alexandrine Malvine de Poiré um Hilfe und weckte damit ihre Nachbar:innen. Doch niemand eilte de Poiré in der Nacht auf den 1. Juli 1917 zu Hilfe. Am nächsten Tag wurde die gebürtige Russin tot in ihrer Wohnung am Turnersteig in Zürich aufgefunden.

Die Leiche lag auf dem Bett. Sie war übel zugerichtet: Der Hals war durchgeschnitten, der Bauch aufgeschlitzt, im Rücken steckte ein abgebrochenes Messer. «Schauderhaft», schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» über die Tat. Und wusste bald, dass es «sich offenbar um einen Lustmord» handelte.

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Bald fand ein Mädchen eine weitere Leiche.

Die Tageszeitungen bezeichneten de Poiré bald als «Lebedame». Denn die verarmte Frau arbeitete als Prostituierte. Die Polizei notierte, dass de Poiré «regen Herrenbesuch» gehabt hatte. Prostitution war damals nicht verboten, jedoch gesellschaftlich geächtet. Für viele Zürcher:innen war klar: Diese Frau trägt eine Mitschuld an ihrem gewaltsamen Tod.

Die einzig brauchbare Spur führte die Polizei ins Ausland: Die Klinge im Rücken des Opfers stammte von einem Metzgermesser, das besonders in Deutschland weit verbreitet war. Die Polizei schrieb eine Belohnung von 500 Franken aus. Doch der Erste Weltkrieg erschwerte die Ermittlungsarbeiten.

Zwei Wochen später entdeckte ein Mädchen oberhalb von Albisrieden im Wald eine Frauenleiche. Sie war bereits stark verwest. Ihre Identität war rasch geklärt: Es handelte sich um eine 22-jährige Servierdame, die sich nebenberuflich prostituierte. Auch dieser Fund erschütterte Zürich.

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Das Bezirksgefängnis in 1917. (Bild: Baugeschichtliches Archiv, Fotograf: Linck Ph. u. E, 1917)

Dem Täter drohte die Todesstrafe.

Erst im November 1917 konnten die beiden Fälle geklärt werden. In Basel wurde ein Mann verhaftet: Karl Martin Suter war kurz zuvor aus Deutschland in die Schweiz geflüchtet. Im Nachbarland wurde er wegen des Mordes an einer jungen Teilzeit-Prostituierten gesucht.

Er gestand die beiden Taten rasch – die Beweislast war besonders im Fall de Poiré erdrückend. Die Polizei hatte in Suters Wohnung Blut und Fingerabdrücke gefunden. Bereits im Jahr vor den Zürcher Morden war Suter in die Psychiatrische Klinik Burghölzli eingewiesen worden. Die Diagnose: «Sexualpsychosen». Den damaligen Ärzten gestand er, «immer Lustmordgedanken» zu hegen.

Da der Mörder keinen festen Wohnsitz in der Schweiz hatte, sollte ihm der Prozess in seinem Heimatkanton Schwyz gemacht werden. Anders als in Zürich war dort die Todesstrafe noch nicht abgeschafft worden. Da ihn die Ärzte als zurechnungsfähig einstuften, drohte Suter die Guillotine. Doch es kam nicht zum Prozess: Suter beging in seiner Zelle im Bezirksgefängnis Zürich Suizid.

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