Haar-Schopf
Heinz Hofer, der Coiffeur ohne freie Termine, ist verschwiegener als der Pfarrer nach der Beichte.
Wer sich von Heinz Hofer die Haare schneiden lässt, weiss, dass er im Voraus mehrere Termine ausmachen muss. Seit 1970 ist der Haar-Schopf am Neumarkt die erste Adresse für das klassische Herrenfach.
Heinz Hofer war der Allererste, der mir als Mädchen die Haare schneiden durfte. Mit vier war ich mir sicher, dass auch Haare Gefühle hätten, und schrie bei jedem Schnitt wie am Spiess. Zum Glück lag die «Tierwelt» auf dem Zeitschriftenstapel. So ein Zwergkaninchen oder ein Eselbaby haben bekanntlich eine extrem beruhigende Wirkung.
Heute, fast 28 Jahre später, besuche ich Heinz Hofer am Neumarkt 14; es ist Montag, der Coiffeur-Sonntag. Nach elf Jahren als Angestellter hat Heinz Hofer 1981 den Salon übernommen. Immer wieder hat er andere neben sich im Salon beschäftigt, seit Ende letzten Jahres ist er jedoch alleine und selbstverständlich ausgebucht. «Viele Menschen haben einen Coiffeur und daneben einen Notcoiffeur», sagt Heinz Hofer, der nur in seltenen Fällen der Lückenbüsser ist. 95 Prozent sind Stammkunden, und die machen gleich im Voraus mehrere Termine aus.
45 Minuten reichen für eine frische Frisur im Haar-Schopf. Manchmal muss Heinz Hofer eine Stunde einplanen, für eine aufwändig geföhnte Frisur zum Beispiel. Aber grundsätzlich gilt: Der Schnitt ist die Frisur und das klassische Herrenfach sein Gebiet.
Selten sage ein Mann: «So, Heinz, ich muss dringend jung aussehen.» Und wenn, dann habe das mit einer frischen Liebschaft zu tun.
«Wenn ich eine Idee für einen neuen Schnitt habe, sagen mir Männer oft, mach das, wenn ich in die Ferien gehe, dann ist nachher alles wieder normal», sagt Heinz Hofer und lacht unter seiner gelben Baseballkappe mit dem aufgestickten H hervor. Frauen hätten öfter Lust auf eine Veränderung. Frühlingsschnitt, Sommerfrisur, Herbstfarbe. Nur selten komme übrigens ein Mann und sage: «So, Heinz, jetzt muss ich dringend jung aussehen.» Und wenn, dann habe das mit einer frischen Liebschaft zu tun.
Heinz Hofer hört seinen Kunden gerne und gut zu. Und er erinnert sich sofort an jeden Haarschnitt, wenn man vor ihm auf dem Coiffeurstuhl sitzt. Bevor Heinz Hofer mit der Arbeit beginnt, fragt er, ob die letzte Frisur gepasst habe. Oft hört er dann: «Heinz, ich bin seit vierzig Jahren bei dir, wenn ich was anderes möchte, sage ich es.» Trotzdem: Auch wenn die Kunden im Haar-Schopf wissen, warum sie sich nur von Heinz Hofer die Haare schneiden lassen, will er ihnen die Möglichkeit zu einer Veränderung geben.
«Es gibt wenige Kunden, die in Ruhe Zeitung lesen möchten. Und nur ganz wenige, die gar nicht reden», erzählt mir Heinz Hofer. Mit den meisten Kunden pflegt er langjährige Beziehungen. Fünfzig Jahre ist er nun schon im Haar-Schopf. Er erkundigt sich, wie die Ferien gewesen seien, wie es bei der Arbeit laufe; Hofer erinnert sich sehr genau daran, was seine Kunden zuletzt erzählt haben. Und welcher Beruf lässt das heute noch zu? Gut, der Barkeeper oder der Pfarrer kümmert sich auch ums Zwischenmenschliche. Ich hoffe einen Moment, dass mir Heinz Hofer jetzt Anekdoten erzählt, aber die Geschichten, die Heinz Hofer in seinem kleinen Geschäft schon mitbekommen hat, behält er diskret für sich. Vielleicht gibt es auch für den Coiffeur eine Schweigepflicht?
Bevor ich mich verabschiede, schenkt mir Heinz Hofer ein Shampoo. Prüfend schaut er mein aufgehelltes Deckhaar an und sagt dann, dass Awapuhi, ein hawaiianischer Ingwer, meinem Haar guttun würde. Heinz Hofer ist stolz, dass er diese hochwertige Produktlinie verkaufen darf. Man bekommt sie nur beim Coiffeur, und das Silikon in den Produkten wird nicht aus Plastik, sondern aus Meeressand gewonnen. Und es werden Karotten, Traubenkerne oder eben Ingwer dazugegeben.
Hinter diesen natürlichen Produkten steht Hofer voll und ganz, weil alles frei ist von Parabenen und Sulfat. Ich bedanke mich für das Shampoo und weiss jetzt schon, dass ich wiederkommen werde, um mir ein neues zu kaufen. Und ich werde bei dieser Gelegenheit wieder einmal in die «Tierwelt» schauen. Hach, die Eselbabys.
Adresse
Coiffure Haar-Schopf
Neumarkt 14
8001 Zürich
+41 44 251 31 58
Öffnungszeiten
Dienstag bis Samstag, 8–12 Uhr und 13.15–18.30 Uhr