Punto Italiano
Er hat nichts weniger als das Panino erfunden. Wir haben Vincenzo am Zähringerplatz besucht.
Im italienischen Spezialitätenladen Punto Italiano gibt es nicht nur den stärksten Espresso der Stadt für 3 Franken oder ein Birra Moretti für 2 Franken 50, sondern gleich noch Geschichten aus dem Leben von Vincenzo mit dazu. Er ist der Erfinder des Panino und hat uns sein Geheimnis verraten.
Seit heute kenne ich den Mann, der das Panino erfunden hat. Vincenzo steht hinter der Aufschnittmaschine in seinem kleinen Laden Punto Italiano am Zähringerplatz. Im Hintergrund läuft der Fernseher. Velofahrer strampeln am Giro d’Italia den Vulkan Ätna hoch. Vincenzo verschränkt die Arme über seinem Bauch und schaut kritisch auf den Bildschirm, dann dreht er sich wieder zu mir und fragt, ob ich von dieser Frau gehört hätte, die in den Vulkan gefallen sei. Um Himmels willen, nein! Vor zwanzig Jahren stieg eine Schweizerin für das perfekte Ferienfoto auf den Ätna. Sie lehnte sich etwas zu weit nach vorne und fiel in den Krater hinein. «Sie isch einfach verchochet», sagt Vincenzo, holt kurz Luft und setzt dann noch einen oben drauf: «Das war ihre Hochzeitsreise!» Ich muss laut lachen. Er hat einen Sinn für das Tragikomische, der Vincenzo.
Vincenzo schneidet weiter Schinken, Salami und Käse auf und drapiert alles hübsch auf drei Platten. Eine Bestellung, die gleich von einer jungen Frau abgeholt wird. Kaum ist sie mit einem Fuss aus dem Laden draussen, lacht mich Vincenzo stolz an: «Weisst du, was sie dafür bezahlt hat? 160 Franken.» So frisch und günstig bekommt man bei niemand anderem ganz Italien auf dem Silbertablett serviert. In der Glasvitrine hat er regionale italienische Fleisch- und Käsespezialitäten (es lohnt sich, vormittags gegen 11 Uhr beim Laden vorbeizugehen und sich die Vitrine anzuschauen, bevor sie dann um 13 Uhr leergekauft ist). Die Panini, warme Foccace und Piadine, ob mit Coppa, Rohschinken, Bresaola oder vegetarischen Alternativen, gibt es für durchschnittlich 6 Franken 50.
Die Vincenzo-Variationen heissen: Diamante, Roma, Lanzada, San Daniele oder Capri. Ich versuche, mir die Namen (alles italienische Orte) zu erklären. Vincenzo geniesst den Moment, in dem sich meine Stirn in Falten legt, bis ich ihn dann doch frage, ob er mir erklärt, wie es zu den Namen gekommen sei. «Willst du mich ausspionieren?», lacht er und kann es dann eben doch nicht lassen, mir sein Geheimnis zu verraten. Jedes Panino ist mit einer regionalen Spezialität gefüllt. Das Diamante mit scharfer Salami. Denn in Diamante, an der Küste Kalabriens, steht das einzige Peperoncino-Museum der Welt. Jedes Jahr in der ersten Woche im September steigt dort zudem das Peperoncino-Festival.
«Ich hatte vor dreissig Jahren den Mut, alles in ein Brot hineinzuschieben. Das war eine ganz neue Kultur!»
Dass wir heute alle runde Panini essen, verdanken wir Vincenzo. «Ich hatte vor dreissig Jahren den Mut, alles in ein Brot hineinzuschieben. Das war eine ganz neue Kultur! Vorher legte man Fleisch, Käse und Tomaten auf ein Holzbrett, daneben ein Brotkörbchen», erzählt er stolz, und damit wir uns daran erinnern, dass man früher zusammen um den Tisch sass beim Essen, hat Vincenzo die runde Brotform erfunden, wie ein Teller eben. Der Teig ist selbstverständlich auch seine Erfindung.
Bei Vincenzo kann man nicht mit Karte bezahlen. Der administrative Aufwand für ein EC-Gerät lohnt sich für ihn nicht. Während ich bei ihm im Laden bin, kommen zwei Männer ohne Bargeld, und ich denke mir, die gehen jetzt bequem zur Migros und kaufen sich ihr Kaltgetränk dort. Aber nein, sie entschuldigen sich, dass sie kein Bargeld dabeihaben, gehen zum Automaten und kommen strahlend in den Laden zurück. «Treue Menschen sind selten!», lacht Vincenzo zufrieden, als sie mit ihren Chinottos für 2 Franken pro Dose abziehen. Auf die Treue muss Vincenzo setzen, denn seine Zukunft ist wackelig.
Aber Vincenzo ist schon zu lange in der Stadt, als dass er sich so leicht von den Grossen wegscheuchen lässt. Zu viel Tradition, Geschichte und Emotionen stecken im kleinen Laden (den es seit einundzwanzig Jahren gibt!), wo ich auch Wein und Limoncello oder schick verpackte italienische Pasta kaufen kann. «Das ist alles nur Dekoration! Die Leute wollen nur meine Panini», lacht Vincenzo. Zum Abschied offeriert er mir einen Espresso (Marke: Caffè Giusto, ein Importprodukt aus Campania). Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt ein solides Koffein-High hatte. Das kann man sich durchaus regelmässiger geben für 3 Franken und dabei den Geschichten von Vincenzo zuhören, der so viel erlebt hat, dass es gut für zwei Leben reicht.